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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 50.1915

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Heft 28
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https://doi.org/10.11588/diglit.47351#0615
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den Brief ehrfürchtig nnd ahnungs-
voll, zugleich aber auch ahnungslos
an. Eine bittere Sorge verursachte
die Frage, wie dieser unter Umstän-
den gefährliche Brief zugestellt wer-
den sollte. Die Postagentur, das
heißt der Postexpeditor und die Post-
gehilfin, hatte ja keine Ahnung, wo
die Tochter der Verkehrsexzellenz
wohnte. Aus triftigen Gründen
wollte Herr Theodor diesen Brief nicht
im Glaskasten aushängen. Diese Bloß-
stellung mußte vermieden werden.
Eine Fremdenliste mit Angabe der
Wohnungen der Sommerfrischler gab
es damals noch nicht. Riechen konnte
die Post nicht, wo die Sommerfrisch-
ler wohnten. Liegen lassen den Brief
und abwarten, bis nach ihm ver-
langt wurde, das erschien Herrn
Theodor nicht zulässig, da der Brief
der Tochter des Verkehrsministers ge-
hörte, die wegen verspäteter Aus-
händigung möglicherweise beim Papa
Beschwerde führte.
Die Gehilfin Pepi riet, es solle
der Herr Expeditor amtlich beim
Bürgermeister anfragen, wo die
Ministerstochter wohne. Theodor
stimmte zu. Streng dienstlich schrieb
er das Nötige auf einen Bogen Amts-
papier, legte den Brief an die Mi-
nisterstochter bei, verschloß das Dienst-
schreiben und schickte die Gehilfin
amtlich zum Bürgermeisteramts.
Nach Verlauf einer Stunde brachte
Pepi den für die Ministerstochter
bestimmten Brief wieder zurück. Er
trug jetzt den Vermerk: „Ortspolizei-
lich nicht gemeldet, Wohnung unbe-
kannt. Gemeindevorstehung Ruhpol-
ding. Nachtschatt, Bürgermeister."
Beigefügt war das Dienstsiegel.
Herr Theodor griff mit allen
Fingern in seine Locken. „Saxendi,
ist das eine z'widerne Sach'!"
Pepi meinte: „Vielleicht weiß die
Gendarmerie, wo die Ministerstochter
wohnt?"
„Ist recht, gehen S' gleich kurzer-
hand mit dem Brief zur Gendarmerie-
station! Der Wachtmeister soll den
dienstlichen Vermerk draufschreiben
und das Dienstsiegel draufdrucken!"
Pepi verschwand. Ihre Arbeit
verrichtete der Expeditor unter Ver-
zicht auf seine dienstfreien Stunden.
Die Gehilfin brachte den Brief
nach einiger Zeit zurück, der jetzt den
zweiten Vermerk trug: „Adressatin
zurzeit hierunbekannt. Königliche Gen-
darmeriestation Ruhpolding. Mayer,
Wachtmeister." Darunter standen
Dienstsiegel und Datum.
Theodor stöhnte. Ihm war die
Sache mehr als peinlich. Er konnte
unmöglich über den vorgeschriebenen
Dienstweg hinausgehen. Wohl dachte
er in einer Anwandlung von Findig-
keit daran, sofort beim Minister an-
zufragen, wo in Ruhpolding zurzeit
seine Tochter wohne. Aber die
Dienstvorschriften gestatteten diesen
Ausweg nicht. Außerdem war es
zweifelhaft, ob der Minister in Mün-
chen anwesend war. Besonders wich-
tig konnte der Brief nicht sein, denn
er war nicht „Eingeschrieben", auch
fehlte die Angabe „Durch Eilboten".
Es war demnach ein gewöhnlicher
Schreibebrief.
„Kannst nichts machen!" sagte
Theodor Klein zu sich. Einen Tag
wartete er. Die Adressatin erschien
nicht in der Postagentur; auch sonst
fragte niemand nach eingelaufener
Post für die Baronesse.
Fräulein Pepi meinte: „Z'ruckgehen lassen sollten
wir das Ding an den Aufgabeort! Sollen sich
die Posterer in München an dem Malefizbrief die
Finger verbrennen!"
Für sich forschte Theodor Klein in drei Wirts-
häusern nach der Baronesse und fragte auch in einer
Fremdenpension nach. Vergebliche Mühe!
Das Mögliche war getan.
Der „z'widere"Brief erhielt dendrittenpostalischen
Vermerk: „Ohne Wohnungsangabe nicht zustellbar.
Königliche Postagentur. Klein, Postexpeditor."

So wanderte denn der Brief zurück nach Mün-
chen 2, Bahnhofpostamt.
Tags darauf war er wieder in Ruhpolding. Er
trug den Vermerk: „Auch in München nicht zustell-
bar. Grassinger, Oberbrieftrüger."
Theodor Klein las den Vermerk und vollführte
einen Luftsprung vor Freude. Entzückt war der
Ruhpoldinger Postexpeditor darüber, daß die Mün-
chener Post einen Brief mit der Beifügung auf der
Adresse: „Tochter Seiner Exzellenz des Herrn Vcr-
kehrsministers" in München nicht zustellen konnte.

Es war ein kostbarer Beweis für Gedankenlosig-
keit und Mangel an postalischer Findigkeit in der
Haupt- und Residenzstadt. Die jubelnde Freude
wurde freilich gedämpft durch den Gedanken an den
wochenlang ausgehängten und als unbestellbar be-
handelten Brief mit der Adresse: ,Monsieur Io eure
L Rubxoläing." Aber dieses Versehen war doch eher
zu entschuldigen als der plumpe Mißgriff in München.
Theodor wollte den verwünschten Brief auf eine
erträgliche, die Postagentur nicht schädigende Art
loswerden. Nach mehrstündigem Sinnieren war

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Hpiginalreichnung von pl-ofessvl- Luton Hoffmann.
der Weg gefunden. Der Expeditor verfaßte ein
Dienstschreiben an das Oberpostamt München mit
der Meldung über den Sachverhalt und der Bitte, es
wolle das Oberpostamt den in Ruhpolding tatsächlich
nicht zustellbaren Brief an das hohe Ministerium
behufs Ermittlung der näheren Adresse gelangen
lassen, nachdem laut Vermerk des Oberbriefträgers
Grassinger auch in München der Brief nicht zugestellt
werden konnte. Das Dienstschreiben nebst Brief
wanderte nun als portofreie Dienstsache „einge-
schrieben" an das Königliche Oberpostamt München.

(5. M)
Nach Verlauf einer Woche summte Herr Theodor
die Melodie des schönen Liedes: „Und der Zopf, der
hängt ihm hinten." Der Brief für die Ministers-
tochter war wieder in Ruhpolding, dazu ein Dienst-
schreiben des Oberpostamtes mit der Mitteilung, daß
erstens das Geeignete gegen den Oberbriefträger
Grassinger eingeleitet worden sei, zweitens die Baro-
nesse nicht in Ruhpolding, sondern in Berchtesgaden
weile, drittens demzufolge der Brief der Postagentur
Ruhpolding mit dem Auftrag überwiesen werde, ihn
nach Berchtesgaden gelangen zu lassen.

Theodor Klein wischte sich die
Augen rein. Tränen hatte er gelacht,
Zähren der Freude darüber, daß das
Oberpostamt den Brief wieder nach
Ruhpolding, nicht aber einfach nach
— Berchtesgaden schickte.
Um aber einer Rückwanderung
des Briefes nach Ruhpolding vorzu-
beugen, sandte Klein vorsichtshalber
das Dienstschreiben des Oberpostamtes
mit dem Briefe an das Königliche
Postamt Berchtesgaden „zur weiteren
Behandlung".
Theodors Meinung, daß die Sache
nun in Ordnung und für ihn end-
gültig erledigt sein werde, erwies
sich als bedeutender Irrtum. Der
Brief kam als unbestellbar mit wei-
teren zwei Vermerken zurück nach —
Ruhpolding. Das Berchtesgadener
Postamt erklärte den Brief mangels
näherer Adresse für nicht zustellbar.
Uud das Königliche Bezirksamt Berch-
tesgaden vermerkte: „Polizeilichnicht
gemeldet. Adressatin hier unbekannt."
Jetzt konnte nur eines, allerdings
unter Abweichung von den Dienst-
vorschriften, helfen: Den Minister
selbst um Zustellung des beigelegten
Briefes an seine Tochter bitten.
Und das tat Theodor. Half, was
helfen konnte!
Wenige Tage später hatte der
Ruhpoldinger Postmann eine niedliche
„Nase" in Händen, einen Rüffel
wegen Abweichung von den Dienst-
vorschriften,Kompetenzüberschreitnng
und Belästigung des Ministers. Die
Strafandrohung war dabei nicht ver-
gessen.
Ein Brieflein, zierlich geschrieben,
folgte nach: Der hochmögende Mini-
ster dankte dem Postcxpcditor für
seine zwar dienstwidrige, aber gut-
gemeinte und erfolgreiche Hand-
lungsweise, die allein die Zustel-
lung des Briefes an die Tochter er-
möglicht hatte.
Mit diesem Pflaster auf die vom
Oberpostamt geschlagene „Wunde" gab
sich Theodor zufrieden. Den Brief
des Ministers legte er zum Brief-
lein Mariannes in den Schreibtisch.
Weiche, fast wehmütige Gedanken
stiegen in ihm auf. Dazu etwas wie
Sehnsucht nach der Möglichkeit, einen
Beweis postalischer Findigkeit in
Ruhpolding zu erbringen und sich da-
durch die Hand Mariannes zu er-
ringen.
Mit dem erfreulichen Brief des
Ministers wollte Theodor nicht vor-
gehen. Damit war eigentlich nicht
Staat zu macheu, da der Gedanke,
an den Minister selbst zu schreiben,
doch sehr nahe lag. Gelegenheit zur
Betätiguug postalischer Müdigkeit in
Ruhpolding wünschte sich Theodor
Klein. Ein Geistessieg, ein postalischer
Triumph sollte errungen und der
Beweis erbracht werden, daß der
Postexpeditor auf seinem Gebiet zum
Windesten ebenso beschlagen war wie
Marianne im Französischen.
Eines Tages ordnete das ältliche
Fräulein Pepi die eingelaufene Mor-
genpost ein. Groß war der Einlauf
wahrlich nicht, doch eine postalische
Knacknuß war dabei, eine Postkarte
ohne Adresse und nur auf der Rück-
seite beschrieben. „Wie man nur so
vergeßlich sein kann! Wir sollen jetzt
riechen, wem das Kartl gehört," mur-
melte Pepi und legte die Karte beiseite.
GegenMittag kam Expeditor Klein
in die Kanzlei, um die Helferin im
Dienst abzulöfen. Fräulein Pepi mel-
dete sofort den Einlauf einer Karte ohne Adresse.
„Aha! Eine Gelegenheit zur Betätigung posta-
lischer Findigkeit!" meinte Theodor.
„Gelesen hab' ich, Herr Expeditor, aber heraus-
gebracht hab' ich nichts! Das Kartl liegt auf Ihrem
Schreibtisch. Mit Verlaub geh' ich jetzt esseu. Emp-
fehl' mich, Herr Expeditor!"
„Ist recht, Fräulein Pepi. Guten Appetit! Um
vier Uhr lösen Sie mich, bitte, ab."
„Sehr wohl. Empfehl' mich!" Pepi verließ die
Postkanzlei.
 
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