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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 50.1915

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Heft 28
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https://doi.org/10.11588/diglit.47351#0617
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kM 28

Va8 Luch für Mle

uns zum Abendessen, und hernach beim Bier er-
klären Sie mir das Nähendere über die postalische
Findigkeit. Und bei dieser Gelegenheit sollen Sie
auch die Adresse der Marie herausfingerln, die jeden-
falls wissen will, ob ihr Bübl richtig bei uns an-
g'kommen ist."
Theodor richtete eineninnigen Blick auf Marianne.
„Wenn Fräulein der gütigen Einladung des Herrn
Vaters zustimmen, will ich gerne, sehr gerne den
Abend im Hause Nachtschatt verbringen."
Marianne reichte dem Beamten die Hand.
„Selbstverständlich stimme ich zu. Gern, sehr gern.
Ich habe ja manches gutzumachen. — Aber jetzt
müssen die Herren erlauben, daß ich als Haus-
mütterchen mich des neuen Hausgenossen an-
nehme." Mit dem Knaben auf dem Arm eilte
Marianne auS der Kanzlei.

Gerührt meinte Nachtschatt: „Wie die Mutter
selig; sie hat das Herz auf dem rechten Fleck. Ich
glaub', jetzt sind die Mucken bei der Mariann' voll-
ständig weg!" Auf die Uhr blickend, bat er dann den
Expeditor, es möglich zu machen, daß noch in dieser
Stunde die beruhigende Nachricht an die Mutter
des Knaben mit der Post befördert werde. „Sa-
xendi," schloß er, „sell geht aber nicht. Ich weiß
ja die Adresse der Marie gar nicht."
„Werd' ich sofort besorgen, Herr Bürgermeister!"
beteuerte der Expeditor.
„Ohne Adress'?"
„Die Witwe Gschwendtner wohnt in Maier-
klopfen bei Erding!"
„Woher wissen Sie denn das?"
„Vom Franzl!"
„Ah, so wohl! Was heutzutag die Post alles

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weiß oder heraustüftelt, nicht zu glauben! Sie ist
viel g'scheiter als die Polizei beinahe!"
Lachend rief im Abgehen Theodor Klein: „Ist
nicht so gefährlich die Gescheitheit bei der — Land-
post. Auf Wiedersehen!"
In der Postkanzlei mußte die Gehilfin Pepi den
bereits geschlossenen Briefbeutel öffnen. Hastig
schrieb Theodor eine Karte an die Witwe Marie
Gschwendtner mit der Nachricht, daß Franzl im
Hause des Bürgermeisters Nachtschatt gut und
freundlich ausgenommen worden sei.
„So, Pepi," sagte er befriedigt. „Jetzt hinein
mit der Karte in den Briefbeutel. Die Kanzlei
müssen heute Sie absperren und auch den Beutel
zur Bahn bringen. Ich bin verhindert, muß bei
Nachtschatt den Abend verbringen. Sehr wichtige
Angelegenheit! Adieu, Pepi!"


klus Mgerien: Lin sjeuschrecüenschwal'm als eiseobahnverkehrshindernis. vrlginalrelchnung von c. Mickens. (5. 613)

„Sehr wohl. Wird alles besorgt!" Ein Lächeln
glitt über das welke Gesicht der Postgehilfin, die so
ziemlich die sehr wichtige Angelegenheit im Hause
Nachtschatt erraten zu können vermeinte. ...
Mit bedeutender Verspätung gelangte bei Nacht-
schatt das Abendessen auf den Tisch. Fräulein Mari-
anne entschuldigte die Verspätung mit Mutter-
Pflichten. Es sei keine kleine Aufgabe gewesen, den
Franzl zu beruhigen und in den Schlaf zu singen.
„Wo jede Erfahrung auf diesem Gebiet fehlt," fügte
sie mit schelmischem Lächeln hinzu. „Jetzt aber
essen, die Herren! Und bevor geraucht wird, soll
Vater! nachschauen, ob der Franzl auch wirklich gut
liegt und schlaft im fremden Kinderbett!. Herr Ex-
Pediü '. müssen wissen, daß das Bettl erst vom Spei-
che« holt und instand gesetzt werden mußte. In
me.^m Kinderbett! liegt jetzt der Franzl!"
ld nach dem Essen suchte Nachtschatt als gut-
gezogbner Familieuvater den neuen Hausgenossen
in Mariannes Schlafzimmer auf.
Als der Vater gegangen war, reichte Marianne
Theodor die Hand. Der Blick sagte alles. Er bat
um Verzeihung, bekundete Liebe und ermunterte
zur Werbung. "

„So darf ich also um Ihre Hand bitten, Mari-
anne?" fragte der Expeditor innig.
Ein Nicken war die ganze Antwort. Der be-
glückende Verlobungskuß folgte sofort.
„Wünsche wohl gespeist zu haben!" rief Papa
Nachtschatt, der zurückgekehrt war, beim Anblick des
Paares und gab alsbald seinen Segen zum Bunde.

Zigarre
Schwa-

Im Hussengi-sbe.
von Md. 6. ssl-negen.
(Nachdruck orrdolen.)
eise knisterte das verglimmende Feuer im
Kamin der gemütlichen Halle. Für eine
Weile herrschte Schweigen, nachdem mein
Vetter, der dicht an dem Tannenberger
Schlachtfelde, sogar neben den Russensümpfen, be-
gütert ist, uns ausgiebig über Kriegsgeschrei, Kriegs-
elend und Russenvernichtung berichtet hatte. Mit
großen, erlebensmüden Augen starrte die Hausfrau
in den Kamin. Ich verfolgte die meiner Zigarre
entsteigenden Rauchwolken, die in dichteren Schwa-


den um die elektrische Birne wogten, um sich dann
auseinander zu ziehen und als ganz feiner Hauch
unter dem Stuck der Decke auszubreiten. Der Vetter
hatte sich weit in seinen Sessel zurückgelehnt, die
Beine lang ausgestreckt, trommelte er düsteren Ant-
litzes mit den Fingern der rechten Hand mechanisch
auf der Lehne. Jene tiefe, feierliche Stille brütete
augenblicklich über uns, während der „ein Engel
durch das Zimmer schweben" soll.
Ordentlich erschreckt fuhr ich zusammen, als Hans
sich plötzlich aufrichtete und mich mit seiner tiefen,
dröhnenden Baßstimme anredete: „Was hast du
eigentlich gestern geschossen?"
„Einen Hirsch und zwei Wölfe. Sie müssen noch
auf dem Vorwerk liegen, wenn du sie nicht holen
ließest!"
„Nein. Hab' nicht daran gedacht. Werde her-
nach den Wagen rübersenden. — Also ein Hirsch!
Weidmannsheil! Mir lief oben in den Kusseln nur
ein Bock vor das Rohr!"
Langsam wandte sich die Hausfrau zu uns und
warf mit einer seltsam müden Stimme ein: „Laß
den Hirsch und deinen Bock dann gleich zur Stadt
bringen, Hans! Zwei Böcke habe ich noch im Eis-
 
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