38- —
Über unseren Spaziergang kann ich nur sagen,
daß er einfach herrlich Ivar, was mir ein jeder, der
jemals den Weg über den Gianicolo gemacht hat,
gern glauben wird. Rom, das ewige Rom nut
seinen Türmen, Kuppeln, Palästen und Ruinen
liegt eineni dort direkt zu Füßen, die Höhenzüge
der Abruzzen, der Sabiner und Albaner Berge
gegenüber, den Horizont begrenzend, und all diese
Pracht getaucht in die Glorie der scheidenden Sonne,
die hinter Sankt Peter zur Rüste ging. Wo das
Garibaldidenkmcil steht, das künstlerisch ja ganz
annehmbar ist, hat der Blick auf Rom und seine
Umgebung eine Größe und Schönheit, die ganz
überwältigend wirkt. Gerade zu Füßen liegt einem
der imposante Palazzo Corsini mit seiner schönen,
dein Staate gehörigen Bildergalerie, dieser Palast,
in dem Christina von Schweden ihren schöngeistigen
Hof hielt und endlich ihre unruhige Seele aushauchtc.
Gegenüber, hart am Tiber, steht die köstliche Farne-
sina mit Raffaels Galatee und seiner Geschichte der
Psyche, die Giulio Romano nach seinen Skizzen malte,
und überm anderen Ufer erhebt sich die kolossale
Masse des Palazzo Farnese, den Rom an Frankreich
verkauft und damit dem Besucher verschlossen hat.
Etwas rechts davon zeigte mir der Doktor das Dach
des Palazzo Spada, wo jetzt die Statue des Pom-
pejus steht, zu deren Füßen Julius Cäsar unter den
Dolchen der Verschwörer fiel, und noch weiter
rechts — aber nein, man würde keine Ende finden,
zu beschreiben, was alles man von diesem Punkte
aus sieht und was der Doktor mir mit großer Kennt-
nis beschrieb.
Nachdem wir den Eingang zur Passeggiata
Margherita verlassen und an der prächtigen Fontäne
der Aqua Paola vorbei nach San Pietro in Montorio
kamen, besichtigten wir dort den reizenden, graziösen
Tempietto des Bramante, den Isabella von Kastilien
und Ferdinand von Aragonien auf der Stelle
errichten ließen, wo nach damaliger Anschauung
der heilige Petrus den Märtyrertod erlitten haben
soll. Aber wenn auch jetzt nachgewiesen ist, daß
diese Tragödie im Zirkus des Nero auf der Stelle
stattgefunden hat, wo in der Peterckirche der Altar
mit dem Gemälde des Martyriums des Apostels steht,
so bleibt dem kleinen Tempel doch immer der Wert
eines wunderbaren Kunstwerkes. In der Kirche selbst
zeigte mir der Doktor vor dem Hochaltar die Stelle,,
wo ohne Inschrift drunten in der Krypta die un-
glückliche Beatrice Cenci begraben liegt, und dann
traten wir durch Trastevere den Heimweg an.
Müde, aber begeistert von dem Geschauten kam
ich mit meinen! freundlichen Begleiter im Palazzo
Roccasanta wieder an, und diesmal öffnete uns
der Portier, ein stattlicher, großer Mann mit schönem,
echt römischem Kopfe. Der Doktor wechselte ein
paar freundliche Worte mit ihm, worauf auch er mir
ein respektvolles Kompliment über mein gesundes
Aussehen machte, was Herrn v.Eckschmidt zu freuen
schien und nicht, wie heute morgen von seiner Frau,
kurz abgebrochen wurde.
Und' am Abend, als ich mich nach dem Essen in
mein Zimmer zurückgezogen hatte, machte ich dann
die Entdeckung, daß jemand während meiner Ab-
wesenheit den Schreibsekretär revidiert hatte, trotz-
dem er verschlossen war!
Es war nichts in Unordnung gebracht, es fehlte
auch nichts, Papiere, Schreibmaterialien, Schmuck,
alles war vorhanden und lag, wie ich es verlassen,
mit Ausnahme eines ledernen Visitenkartentäsch-
chens, das unter, statt auf einem Päckchen von
zu beantwortenden Briesen lag. Ich bin dessen
ganz sicher, daß ich das Täschchen auf diese Briefe
gelegt, denn als ich beim Herausnehmen meines
Tagebuchs den Sekretär hastig noch einmal öffnete,
fiel es zu Boden, und ich mußte mich bücken, es
aufzuheben, woraus ich es auf das Päckchen legte.
Also hat jemand mit einem Nachschlüssel meinen
Sekretär geöffnet, ihn durchstöbert und dieses Päckchen
mit Briefen gelesen. Ties würde an sich nichts auf
sich haben, denn die Briefe enthalten nichts, was
einen Fremden interessieren könnte, auch sind sie
nur mit Vornamen unterzeichnet; aber es ist doch
sehr unangenehm zu wissen, daß jemand seine
Nase in Dinge steckt, die ihn nichts angehen, und daß
mein Schreibsekretär einen zweiten Schlüssel hat,
der nicht in meinen Händen ist. Oder kann man
Schlösser mit einem Dietrich nicht nur öffnen, son-
dern auch wieder zuschließen?
Wer aber ist dieser Neugierige — um's zart aus-
zudrücken — gewesen? Die Mariuccia? Die Frau
des Portiers? Oder dieser selbst? Allen dreien
wären die deutsch, französisch und englisch ge-
schriebenen Briefe böhmische Dörfer gewesen, und
ich halte es für ganz ausgeschlossen, daß Leute
aus diesem Stande nur der Neugierde wegen einen
Schreibtisch durchsuchen würden. Bleibt also nur
— Frau Mvdesta! Es ist ein häßlicher Verdacht,
so häßlich, daß man ihn eigentlich gar nicht hegen
-ss V35 Luch für Mle . -
dürfte, aber um alles in der Welt: was anders soll
ich denken und glauben? So also war mein Einfall,
der mich dieses Heft verstecken ließ, eigentlich ein
sehr guter — vorausgesetzt, daß dieser Jemand nicht
auch unter der Matratze nachgeschaut hat, was ich
aber kaum glauben möchte, denn Frau Modcsta —
Sie ist nach ihrer eigenen Aussage, während ich
mit dem Doktor fort war, nicht aus dem Hause,
folglich auch nicht aus der Wohnung gekommen,
wer also hätte sich in ihrer unmittelbaren Nähe die
Zeit nehmen können, im anstoßenden Raume meine
Sachen zu durchsuchen? Also muß der häßliche Ver-
dacht notgedrungen auf sie fallen. Was tun, spricht
Zeus? Nichts! Denn wenn ich Lärm schlage, was
käme dabei heraus? Nichts als wieder Lärm,
was ebenso garstig wie ungebildet ist. Ja, wenn
ich die Sache mit dem Täschchen nicht so genau
wüßte, wenn ein Irrtum darin wenigstens mög-
lich wäre — so aber stehe ich vor einer sehr unbe-
haglichen Gewißheit, und mir bleibt nichts anderes
übrig, als nach einer Anstandsfrist, eben um einen
Krach zu vermeiden, dieses Haus zu verlassen.
Wenn das der Doktor wüßte! Wär's nicht seinet-
wegen, so packte ich heute noch meine Sachen und
ginge morgen meiner Wege. Aber er ist so gut,
so freundlich, ein so vollkommener Gentleman, daß
ich ihm das nicht antun kann.
Ich habe große Lust, bei meinem nächsten Aus-
gange einen Zettel in meinen Schreibtisch zu legen
mit dem guten Rat darauf, sich gefälligst vor der
Durchsuchung genau zu merken, wie die Sachen
liegen, denn ich sei ein sehr ordentliches Menschen-
kind, das seine Sachen im Finstern zu finden pflege.
18. September.
Man sagt, daß in Erfüllung geht, was man
die erste Nacht in einen! neuen Hause träumt.
Nun wüßte ich zwar beim besten Willen nicht,
was von meinem Traume dieser ersten Nacht im
Palazzo Roccasanta in Erfüllung gehen könnte, aber
er steht heute im Lichte der Sonne noch so deutlich
vor mir, daß ich ihn malen könnte, und wenn die
Vernunft mir nicht sagte, daß es eben nur ein Traum
gewesen sein kann, so würde ich darauf schwören, die
Sache im wachen Zustande erlebt zu haben.
Müde, wie ich von unserem Spaziergange war,
schlief ich trotz der Entdeckung, daß „jemand" meinen
Schreibtisch durchkramt, sofort ein. Das Bett ist
gut; ich ruhte darin sehr behaglich, und durch das
offene Fenster am anderen Ende des Zimmers kam
die frische Nachtluft erquickend herein. Und da
träumte mir, ich wachte wieder auf, weil sich am
Kopfende meines Bettes irgend eine Gegenwart
bemerklich gemacht hätte, denn ich habe einen sehr
leisen Schlaf. Mein erster Gedanke war: Eine Maus!
Da ich aber zu dem kleinen Prozentsatz meines Ge-
schlechtes gehöre, der sich vor Mäusen nicht fürchtet,
sondern die kleinen Geschöpfe sogar sehr niedlich
findet, so beunruhigte mich die vermutliche Gegen-
wart des Tierchens nicht, und ich legte mich einfach
nur auf die andere Seite, der denFenstern gegenüber-
liegenden Wand zu, und — sah dort, noch im Bereiche
der Nische, eine Gestalt stehen, denn das Zimmer
war vom Mondlicht hell genug erleuchtet, um die
Gegenstände darin genau zu unterscheiden.
Aber auch die Gegenwart einer fremden Person
in meinem verschlossenen Zimmer beunruhigte mich
merkwürdigerweise keineswegs, womit schon der
Beweis geliefert ist, daß es nur ein Traum war,
denn wachend hätte ich doch recht energisch gegen
diesen Eindringling protestiert. Mir träumte also,
daß ich mich auf dem Ellbogen aufrichtete, um die
Gestalt genauer zu sehen, und ich könnte sie malen,
wie sie so auf Armeslänge vor mir stand: es war
eine große, leicht vorgebeugte Frauengestalt, genau
gesagt, eine Dame. Denn ein kostbares, reich mit
Perlen und Gold gesticktes Kleid von schimmernder,
silberdurchwirkter weißer Seide fiel an ihr herab,
gehalten von einem Gürtel mit lang herabhängenden
Enden, der von farbigen Edelsteinen strahlte. Die
über rosenfarbener Seide geschlitzten, bauschigen
Ärmel ihres tief ausgeschnittenen Leibchens waren
mit glitzernden Agraffen verziert, und über ihrem
dunklen, dichtgekräuselten Haar trug sie ein Netz
von Perlen, das mit einer funkelnden Aigrette an
der rechten Seite des Kopfes befestigt war. Ich
sehe ihr Gesicht noch vor mir mit dem weißen,
farblosen Teint, wie man ihn im Süden nament-
lich bei Brünetten sieht, mit den dunklen, sanften
Augen, die wie mit einem Stift gezeichnete Brauen
überragten, mit der zartgebogenen Nase und dem
süßesten Munde, den man sich denken kann. Sie
hielt die linke Hand, an deren Zeigefinger ein
Smaragdring steckte, mit einein weißen Tuche,
dessen Durchbruchmustcr ich erkennen konnte, gegen
den Hals gepreßt, und mit der Rechten deutete sie
in die Nische.
—- ffest 2
Und dann träumte nur, daß ich sie fragte, ob
sie etwas von mir wolle, aber ich hörte keine Antwort,
sondern sah nur, wie sie mir lächelnd zunickte, dann
den Teppich an der Seite der Bettnische in die Höhe
hob und dahinter verschwand.
Im Traume dachte ich dann über den seltsamen
Besuch nach und schlief dabei ruhig wieder ein, und
als ich erwachte, war's noch früher Morgen. Da
ich kein Langschläfer bin, sta.nd ich auf und habe
meinen Traum gleich aufgeschrieben.
Nach dein Frühstück erklärte Frau v. Eckschmidt,
auspacken zu müssen; sic sei gestern noch zu müde
dazu gewesen, und ich erbot mich natürlich, ihr zu
helfen. Nicht, daß mein Verdacht gegen sie ins
Wanken geraten wäre, trotzdem sie ausgesucht
liebenswürdig zu nur war, aber ich hielt diese Ge-
fälligkeit sür meine Pflicht, namentlich da ich ja
ohne Krach scheiden will, bei dem man ja doch nur
den kürzeren ziehen würde.
Ich folgte ihr also in ihr Schlafzimmer, nahm
die Sachen aus dem Koffer und reichte sie ihr zu
zum Einrüumen in Schrank und Kommode, und dabei
fiel mir ein Kästchen aus der Hand, das im Falle
aufsprang und aus seinen! samtgesütterten Innern
eine Menge Schmucksachen ans den Boden aus-
streute. Natürlich war ich sofort auf den Knien,
um die ganze Herrlichkeit wieder aufzulesen, wobei
ich nicht umhin konnte, für mich die Bemerkung
zu machen, daß alle diese Ketten, Broschen und
Ringe sehr kostbar und von erster Qualität waren und
einen starken Gegensatz zu der einfachen Garderobe
der Besitzerin bildeten.
Ich bat vielmals um Entschuldigung sür meine
Ungeschicklichkeit, Frau v. Eckschmidt aber beruhigte
mich sehr freundlich und meinte lachend, ich solle
mir ja keine grauen Haare darüber wachsen lassen,
es sei ja nichts Zerbrechliches darunter. Dies er-
munterte mich nnklugerweise zum Bewundern der
Schmucksachcn, da ich mir schmeicheln darf, etwas
davon zu verstehen. Es waren ein paar schöne,
alte Stücke aus der Rokokozeit daruuter und auch ein
Ring, der mir als so originell auffiel, daß ich ihn
zur besseren Betrachtung an den Ringfinger meiner
linken Hand steckte. Es ist ein graugrüner, nur ganz
wenig durchscheinender Stein von etwas ovaler
Form, in dessen Mitte ein schwarzes Kreuz einge-
lassen ist. Den Stein umgibt eine Reihe schöner
Brillanten; der Reif ist breit, von dunklem Golde.
„Welch eigentümlicher Ring!" rief ich aus. „Ich
habe noch niemals einen solchen Stein gesehen!
— Ist er alt?"
„Ich weiß es wirklich nicht," erwiderte Frau
v. Eckschmidt. „Aus das, was man unter ,antik"
versteht, dürfte der Ring wohl kaum Anspruch er-
heben. Aber er steht Ihrer schlanken Hand sehr gut
— wollen Sie mir die Freude machen, ihn als
ein kleines Andenken an mich zu behalten?"
Ich wurde glühend rot und zog den Ring hastig
vom Finger. „Gnädige Frau, es war wirklich nicht
Habsucht,' die mich den Ning bewundern ließ!" rief
ich, ehrlich entsetzt über diesen Erfolg meiner un-
überlegten Handlung.
„Das glaube ich Ihnen aufs Wort!" rief Frau
v. Eckschmidt gutmütig lachend. „Habsucht hätte
Sie sicher zu etwas Wertvollerem gezogen. Der Ring
ist wirklich nicht viel wert."
„Mer den Stein habe ich kein Urteil, weil ich
noch nie einen ähnlichen gesehen habe, die Brillanten
aber sind gut, und der Reif ist sehr schön gearbeitet,"
entgegnete ich mit vollster Überzeugung.
„Nun, wenn Sie solch eine Kennerin sind, dann
sollen Sie den Ring erst recht behalten," beharrte
Frau Modesta auf ihrem Worte, indem sie trotz
meines Sträubens meine Hand ergriff und den
Ring daran steckte.
„Ich kann — ich darf — ich will solche Geschenke
nicht annehmen," versicherte ich, wirklich peinlich
berührt.
Sie aber umarmte mich lachend und gab mir
einen Kuß. „Seien Sie kein Gänschen," meinte
sie zuredend. „Von einer alten Frau dürfen Sie
seelenruhig eine solche Bagatelle annehmen. Am
liebsten würde ich Ihnen den ganzen Krimskrams
in dem Kasten da geben, denn ich trage ja doch
nichts davon."
Trotz dieser gewiß sehr freundlichen Worte habe
ich mich dann noch ehrlich gewehrt, das Geschenk
anzunchmen. und erst nachgegeben, als Frau v.Eck-
schmidt empfindlich wurde und mir rundweg er-
klärte, meine Weigerung würde sie beleidigen. Da
gab ich denn nach und stammelte meinen Dank,
der mir nicht von Herzen kam, versprach auch auf
ihr dringendes Ersuchen, den Ring zu tragen, was
übrigens nach allem nun eine Pflicht der Höflichkeit
ist. Ich glaube gern, das dieses Geschenk sehr gut
gemeint ist, und in diesem Sinne mußte ich's ja
schließlich auch annehmen und mich noch dankbar
zeigen, — aber nach der Kürze unserer Bekannt-
Über unseren Spaziergang kann ich nur sagen,
daß er einfach herrlich Ivar, was mir ein jeder, der
jemals den Weg über den Gianicolo gemacht hat,
gern glauben wird. Rom, das ewige Rom nut
seinen Türmen, Kuppeln, Palästen und Ruinen
liegt eineni dort direkt zu Füßen, die Höhenzüge
der Abruzzen, der Sabiner und Albaner Berge
gegenüber, den Horizont begrenzend, und all diese
Pracht getaucht in die Glorie der scheidenden Sonne,
die hinter Sankt Peter zur Rüste ging. Wo das
Garibaldidenkmcil steht, das künstlerisch ja ganz
annehmbar ist, hat der Blick auf Rom und seine
Umgebung eine Größe und Schönheit, die ganz
überwältigend wirkt. Gerade zu Füßen liegt einem
der imposante Palazzo Corsini mit seiner schönen,
dein Staate gehörigen Bildergalerie, dieser Palast,
in dem Christina von Schweden ihren schöngeistigen
Hof hielt und endlich ihre unruhige Seele aushauchtc.
Gegenüber, hart am Tiber, steht die köstliche Farne-
sina mit Raffaels Galatee und seiner Geschichte der
Psyche, die Giulio Romano nach seinen Skizzen malte,
und überm anderen Ufer erhebt sich die kolossale
Masse des Palazzo Farnese, den Rom an Frankreich
verkauft und damit dem Besucher verschlossen hat.
Etwas rechts davon zeigte mir der Doktor das Dach
des Palazzo Spada, wo jetzt die Statue des Pom-
pejus steht, zu deren Füßen Julius Cäsar unter den
Dolchen der Verschwörer fiel, und noch weiter
rechts — aber nein, man würde keine Ende finden,
zu beschreiben, was alles man von diesem Punkte
aus sieht und was der Doktor mir mit großer Kennt-
nis beschrieb.
Nachdem wir den Eingang zur Passeggiata
Margherita verlassen und an der prächtigen Fontäne
der Aqua Paola vorbei nach San Pietro in Montorio
kamen, besichtigten wir dort den reizenden, graziösen
Tempietto des Bramante, den Isabella von Kastilien
und Ferdinand von Aragonien auf der Stelle
errichten ließen, wo nach damaliger Anschauung
der heilige Petrus den Märtyrertod erlitten haben
soll. Aber wenn auch jetzt nachgewiesen ist, daß
diese Tragödie im Zirkus des Nero auf der Stelle
stattgefunden hat, wo in der Peterckirche der Altar
mit dem Gemälde des Martyriums des Apostels steht,
so bleibt dem kleinen Tempel doch immer der Wert
eines wunderbaren Kunstwerkes. In der Kirche selbst
zeigte mir der Doktor vor dem Hochaltar die Stelle,,
wo ohne Inschrift drunten in der Krypta die un-
glückliche Beatrice Cenci begraben liegt, und dann
traten wir durch Trastevere den Heimweg an.
Müde, aber begeistert von dem Geschauten kam
ich mit meinen! freundlichen Begleiter im Palazzo
Roccasanta wieder an, und diesmal öffnete uns
der Portier, ein stattlicher, großer Mann mit schönem,
echt römischem Kopfe. Der Doktor wechselte ein
paar freundliche Worte mit ihm, worauf auch er mir
ein respektvolles Kompliment über mein gesundes
Aussehen machte, was Herrn v.Eckschmidt zu freuen
schien und nicht, wie heute morgen von seiner Frau,
kurz abgebrochen wurde.
Und' am Abend, als ich mich nach dem Essen in
mein Zimmer zurückgezogen hatte, machte ich dann
die Entdeckung, daß jemand während meiner Ab-
wesenheit den Schreibsekretär revidiert hatte, trotz-
dem er verschlossen war!
Es war nichts in Unordnung gebracht, es fehlte
auch nichts, Papiere, Schreibmaterialien, Schmuck,
alles war vorhanden und lag, wie ich es verlassen,
mit Ausnahme eines ledernen Visitenkartentäsch-
chens, das unter, statt auf einem Päckchen von
zu beantwortenden Briesen lag. Ich bin dessen
ganz sicher, daß ich das Täschchen auf diese Briefe
gelegt, denn als ich beim Herausnehmen meines
Tagebuchs den Sekretär hastig noch einmal öffnete,
fiel es zu Boden, und ich mußte mich bücken, es
aufzuheben, woraus ich es auf das Päckchen legte.
Also hat jemand mit einem Nachschlüssel meinen
Sekretär geöffnet, ihn durchstöbert und dieses Päckchen
mit Briefen gelesen. Ties würde an sich nichts auf
sich haben, denn die Briefe enthalten nichts, was
einen Fremden interessieren könnte, auch sind sie
nur mit Vornamen unterzeichnet; aber es ist doch
sehr unangenehm zu wissen, daß jemand seine
Nase in Dinge steckt, die ihn nichts angehen, und daß
mein Schreibsekretär einen zweiten Schlüssel hat,
der nicht in meinen Händen ist. Oder kann man
Schlösser mit einem Dietrich nicht nur öffnen, son-
dern auch wieder zuschließen?
Wer aber ist dieser Neugierige — um's zart aus-
zudrücken — gewesen? Die Mariuccia? Die Frau
des Portiers? Oder dieser selbst? Allen dreien
wären die deutsch, französisch und englisch ge-
schriebenen Briefe böhmische Dörfer gewesen, und
ich halte es für ganz ausgeschlossen, daß Leute
aus diesem Stande nur der Neugierde wegen einen
Schreibtisch durchsuchen würden. Bleibt also nur
— Frau Mvdesta! Es ist ein häßlicher Verdacht,
so häßlich, daß man ihn eigentlich gar nicht hegen
-ss V35 Luch für Mle . -
dürfte, aber um alles in der Welt: was anders soll
ich denken und glauben? So also war mein Einfall,
der mich dieses Heft verstecken ließ, eigentlich ein
sehr guter — vorausgesetzt, daß dieser Jemand nicht
auch unter der Matratze nachgeschaut hat, was ich
aber kaum glauben möchte, denn Frau Modcsta —
Sie ist nach ihrer eigenen Aussage, während ich
mit dem Doktor fort war, nicht aus dem Hause,
folglich auch nicht aus der Wohnung gekommen,
wer also hätte sich in ihrer unmittelbaren Nähe die
Zeit nehmen können, im anstoßenden Raume meine
Sachen zu durchsuchen? Also muß der häßliche Ver-
dacht notgedrungen auf sie fallen. Was tun, spricht
Zeus? Nichts! Denn wenn ich Lärm schlage, was
käme dabei heraus? Nichts als wieder Lärm,
was ebenso garstig wie ungebildet ist. Ja, wenn
ich die Sache mit dem Täschchen nicht so genau
wüßte, wenn ein Irrtum darin wenigstens mög-
lich wäre — so aber stehe ich vor einer sehr unbe-
haglichen Gewißheit, und mir bleibt nichts anderes
übrig, als nach einer Anstandsfrist, eben um einen
Krach zu vermeiden, dieses Haus zu verlassen.
Wenn das der Doktor wüßte! Wär's nicht seinet-
wegen, so packte ich heute noch meine Sachen und
ginge morgen meiner Wege. Aber er ist so gut,
so freundlich, ein so vollkommener Gentleman, daß
ich ihm das nicht antun kann.
Ich habe große Lust, bei meinem nächsten Aus-
gange einen Zettel in meinen Schreibtisch zu legen
mit dem guten Rat darauf, sich gefälligst vor der
Durchsuchung genau zu merken, wie die Sachen
liegen, denn ich sei ein sehr ordentliches Menschen-
kind, das seine Sachen im Finstern zu finden pflege.
18. September.
Man sagt, daß in Erfüllung geht, was man
die erste Nacht in einen! neuen Hause träumt.
Nun wüßte ich zwar beim besten Willen nicht,
was von meinem Traume dieser ersten Nacht im
Palazzo Roccasanta in Erfüllung gehen könnte, aber
er steht heute im Lichte der Sonne noch so deutlich
vor mir, daß ich ihn malen könnte, und wenn die
Vernunft mir nicht sagte, daß es eben nur ein Traum
gewesen sein kann, so würde ich darauf schwören, die
Sache im wachen Zustande erlebt zu haben.
Müde, wie ich von unserem Spaziergange war,
schlief ich trotz der Entdeckung, daß „jemand" meinen
Schreibtisch durchkramt, sofort ein. Das Bett ist
gut; ich ruhte darin sehr behaglich, und durch das
offene Fenster am anderen Ende des Zimmers kam
die frische Nachtluft erquickend herein. Und da
träumte mir, ich wachte wieder auf, weil sich am
Kopfende meines Bettes irgend eine Gegenwart
bemerklich gemacht hätte, denn ich habe einen sehr
leisen Schlaf. Mein erster Gedanke war: Eine Maus!
Da ich aber zu dem kleinen Prozentsatz meines Ge-
schlechtes gehöre, der sich vor Mäusen nicht fürchtet,
sondern die kleinen Geschöpfe sogar sehr niedlich
findet, so beunruhigte mich die vermutliche Gegen-
wart des Tierchens nicht, und ich legte mich einfach
nur auf die andere Seite, der denFenstern gegenüber-
liegenden Wand zu, und — sah dort, noch im Bereiche
der Nische, eine Gestalt stehen, denn das Zimmer
war vom Mondlicht hell genug erleuchtet, um die
Gegenstände darin genau zu unterscheiden.
Aber auch die Gegenwart einer fremden Person
in meinem verschlossenen Zimmer beunruhigte mich
merkwürdigerweise keineswegs, womit schon der
Beweis geliefert ist, daß es nur ein Traum war,
denn wachend hätte ich doch recht energisch gegen
diesen Eindringling protestiert. Mir träumte also,
daß ich mich auf dem Ellbogen aufrichtete, um die
Gestalt genauer zu sehen, und ich könnte sie malen,
wie sie so auf Armeslänge vor mir stand: es war
eine große, leicht vorgebeugte Frauengestalt, genau
gesagt, eine Dame. Denn ein kostbares, reich mit
Perlen und Gold gesticktes Kleid von schimmernder,
silberdurchwirkter weißer Seide fiel an ihr herab,
gehalten von einem Gürtel mit lang herabhängenden
Enden, der von farbigen Edelsteinen strahlte. Die
über rosenfarbener Seide geschlitzten, bauschigen
Ärmel ihres tief ausgeschnittenen Leibchens waren
mit glitzernden Agraffen verziert, und über ihrem
dunklen, dichtgekräuselten Haar trug sie ein Netz
von Perlen, das mit einer funkelnden Aigrette an
der rechten Seite des Kopfes befestigt war. Ich
sehe ihr Gesicht noch vor mir mit dem weißen,
farblosen Teint, wie man ihn im Süden nament-
lich bei Brünetten sieht, mit den dunklen, sanften
Augen, die wie mit einem Stift gezeichnete Brauen
überragten, mit der zartgebogenen Nase und dem
süßesten Munde, den man sich denken kann. Sie
hielt die linke Hand, an deren Zeigefinger ein
Smaragdring steckte, mit einein weißen Tuche,
dessen Durchbruchmustcr ich erkennen konnte, gegen
den Hals gepreßt, und mit der Rechten deutete sie
in die Nische.
—- ffest 2
Und dann träumte nur, daß ich sie fragte, ob
sie etwas von mir wolle, aber ich hörte keine Antwort,
sondern sah nur, wie sie mir lächelnd zunickte, dann
den Teppich an der Seite der Bettnische in die Höhe
hob und dahinter verschwand.
Im Traume dachte ich dann über den seltsamen
Besuch nach und schlief dabei ruhig wieder ein, und
als ich erwachte, war's noch früher Morgen. Da
ich kein Langschläfer bin, sta.nd ich auf und habe
meinen Traum gleich aufgeschrieben.
Nach dein Frühstück erklärte Frau v. Eckschmidt,
auspacken zu müssen; sic sei gestern noch zu müde
dazu gewesen, und ich erbot mich natürlich, ihr zu
helfen. Nicht, daß mein Verdacht gegen sie ins
Wanken geraten wäre, trotzdem sie ausgesucht
liebenswürdig zu nur war, aber ich hielt diese Ge-
fälligkeit sür meine Pflicht, namentlich da ich ja
ohne Krach scheiden will, bei dem man ja doch nur
den kürzeren ziehen würde.
Ich folgte ihr also in ihr Schlafzimmer, nahm
die Sachen aus dem Koffer und reichte sie ihr zu
zum Einrüumen in Schrank und Kommode, und dabei
fiel mir ein Kästchen aus der Hand, das im Falle
aufsprang und aus seinen! samtgesütterten Innern
eine Menge Schmucksachen ans den Boden aus-
streute. Natürlich war ich sofort auf den Knien,
um die ganze Herrlichkeit wieder aufzulesen, wobei
ich nicht umhin konnte, für mich die Bemerkung
zu machen, daß alle diese Ketten, Broschen und
Ringe sehr kostbar und von erster Qualität waren und
einen starken Gegensatz zu der einfachen Garderobe
der Besitzerin bildeten.
Ich bat vielmals um Entschuldigung sür meine
Ungeschicklichkeit, Frau v. Eckschmidt aber beruhigte
mich sehr freundlich und meinte lachend, ich solle
mir ja keine grauen Haare darüber wachsen lassen,
es sei ja nichts Zerbrechliches darunter. Dies er-
munterte mich nnklugerweise zum Bewundern der
Schmucksachcn, da ich mir schmeicheln darf, etwas
davon zu verstehen. Es waren ein paar schöne,
alte Stücke aus der Rokokozeit daruuter und auch ein
Ring, der mir als so originell auffiel, daß ich ihn
zur besseren Betrachtung an den Ringfinger meiner
linken Hand steckte. Es ist ein graugrüner, nur ganz
wenig durchscheinender Stein von etwas ovaler
Form, in dessen Mitte ein schwarzes Kreuz einge-
lassen ist. Den Stein umgibt eine Reihe schöner
Brillanten; der Reif ist breit, von dunklem Golde.
„Welch eigentümlicher Ring!" rief ich aus. „Ich
habe noch niemals einen solchen Stein gesehen!
— Ist er alt?"
„Ich weiß es wirklich nicht," erwiderte Frau
v. Eckschmidt. „Aus das, was man unter ,antik"
versteht, dürfte der Ring wohl kaum Anspruch er-
heben. Aber er steht Ihrer schlanken Hand sehr gut
— wollen Sie mir die Freude machen, ihn als
ein kleines Andenken an mich zu behalten?"
Ich wurde glühend rot und zog den Ring hastig
vom Finger. „Gnädige Frau, es war wirklich nicht
Habsucht,' die mich den Ning bewundern ließ!" rief
ich, ehrlich entsetzt über diesen Erfolg meiner un-
überlegten Handlung.
„Das glaube ich Ihnen aufs Wort!" rief Frau
v. Eckschmidt gutmütig lachend. „Habsucht hätte
Sie sicher zu etwas Wertvollerem gezogen. Der Ring
ist wirklich nicht viel wert."
„Mer den Stein habe ich kein Urteil, weil ich
noch nie einen ähnlichen gesehen habe, die Brillanten
aber sind gut, und der Reif ist sehr schön gearbeitet,"
entgegnete ich mit vollster Überzeugung.
„Nun, wenn Sie solch eine Kennerin sind, dann
sollen Sie den Ring erst recht behalten," beharrte
Frau Modesta auf ihrem Worte, indem sie trotz
meines Sträubens meine Hand ergriff und den
Ring daran steckte.
„Ich kann — ich darf — ich will solche Geschenke
nicht annehmen," versicherte ich, wirklich peinlich
berührt.
Sie aber umarmte mich lachend und gab mir
einen Kuß. „Seien Sie kein Gänschen," meinte
sie zuredend. „Von einer alten Frau dürfen Sie
seelenruhig eine solche Bagatelle annehmen. Am
liebsten würde ich Ihnen den ganzen Krimskrams
in dem Kasten da geben, denn ich trage ja doch
nichts davon."
Trotz dieser gewiß sehr freundlichen Worte habe
ich mich dann noch ehrlich gewehrt, das Geschenk
anzunchmen. und erst nachgegeben, als Frau v.Eck-
schmidt empfindlich wurde und mir rundweg er-
klärte, meine Weigerung würde sie beleidigen. Da
gab ich denn nach und stammelte meinen Dank,
der mir nicht von Herzen kam, versprach auch auf
ihr dringendes Ersuchen, den Ring zu tragen, was
übrigens nach allem nun eine Pflicht der Höflichkeit
ist. Ich glaube gern, das dieses Geschenk sehr gut
gemeint ist, und in diesem Sinne mußte ich's ja
schließlich auch annehmen und mich noch dankbar
zeigen, — aber nach der Kürze unserer Bekannt-