Einleitung.
19
Althistorische Namen sind die Straße „Über den Steinen“, der Tie und
der Kiethof. Über die erstere ist schon oben gesprochen und die Vermutung
geäußert, daß die Richtstätte mit den Gerichtssteinen zwischen Ölstraße, Darre und
der Straße Über den Steinen gelegen hat, weil dieser Platz offenbar später
bebaut ist, als die ringsherumliegenden Häuserblöcke entstanden sind.
Der Tie ist in zahlreichen Orten nachgewiesen, zum Teil heute noch vor-
handen. Es ist der Platz, auf dem unter der Linde die öffentlichen Angelegen-
heiten der Gemeinde beraten, das Burmal oder Burding gehalten, auch Zuwider-
handlungen gegen die Anordnungen der Gemeinde zur Verantwortung gezogen
wurden; also war es auch Gerichtsstätte.1 Außerdem war es der Festplatz für
Spiel und Tanz.1 2 Der Name wird oft mit Thing gleichgesetzt,3 doch läßt sich
diese an sich auffällige Gleichsetzung nicht beweisen. In Aschersleben erscheint
eine Mittelform „auf dem Tiege“ (Plan von 1798). Diese könnte die Ableitung
von Tieg = Damm4 rechtfertigen, wenn der Tie nicht überall ein freier Platz
wäre, der mit einem Damme gar nichts zu tun hat. Die Frage nach der Her-
kunft des Wortes muß darum noch unentschieden bleiben. Dasselbe gilt von
Kiethof, eine Bezeichnung, die mit wendischem Kietz = Fischerdorf zusammen-
gebracht wird. Dieser Stadtteil heißt im Volksmunde auch Schwedenkammer.
Ein noch rätselhafterer Name ist ferner die Bezeichnung: der Liebe Wahn.
Wahn ist offenbar Ortsbezeichnung, wie er denn anderwärts als solche erscheint,
so bei Osnabrück als Dorf, ebenso im Rheinland mehrere Male; alle liegen in
niederdeutschem Sprachgebiet. Ich vermute, daß das Wort zurückzuführen ist
auf Wuhne, gotisch vinja, althochdeutsch wunni = Wiese oder Weideplatz,5 später
auch Weg. Der erste Bestandtteil bedeutet dann lieblich.
Auf die Blutgerichtsbarkeit deutet die Armesündergasse, die vom Hohen
Tore nach Norden führt, wo in der Nähe der alten Heerstraße nach Winningen
der Galgen stand. Auffallend ist der Name Krügerbrücke für eine Straße. Er
erklärt sich nur durch einen Wasserlauf, der hier früher geflossen sein muß
(s. o.). Der Straßenname Düsteres Tor deutet entweder auf die Befestigung der
Stephansstadt, wenn man das einst vorhandene Tor am westlichen Ende annimmt,
oder auf ein Tor zum Stephansplatz, zu dem jetzt ein sog. Schling führt. Ich
halte das erstere für das wahrscheinlichere.
Von Märkten sind außer dem „Markte“ schlechthin zu nennen der Zippel-
markt, der Hopfenmarkt und der Holzmarkt. Der erste kann die Vermutung
nahe legen, daß der Platz schon vor der Gründung der Stephansstadt als Stätte
des Verkehrs gedient hat, wobei an ein Marktprivilegium aber noch nicht zu
denken ist. Doch ist darüber nichts überliefert. Wenn er als Zippelmarkt auch
nach Errichtung des großen Marktes um die Stephanskirche herum sein Dasein
fristete, so mag das seinen Grund in besonderen lokalen Verhältnissen gehabt
1 H.-Z. 29, S. 416 f. (Varges).
2 H.-Z. 18, S. 192 (Jacobs).
3 So auch von Straßburger, H.-Z. 29, S. 252.
4 Straßburger, Progr. 1894, S. 12.
5 Vgl. Danneil, Geschichte des Magdeb. Bauernstandes, S. 4; Arnold, Ansiedlungen und
Wanderungen d. St. zu Wanfried, das auch auf wun, wunna = Weide zurückgeführt wird.
19
Althistorische Namen sind die Straße „Über den Steinen“, der Tie und
der Kiethof. Über die erstere ist schon oben gesprochen und die Vermutung
geäußert, daß die Richtstätte mit den Gerichtssteinen zwischen Ölstraße, Darre und
der Straße Über den Steinen gelegen hat, weil dieser Platz offenbar später
bebaut ist, als die ringsherumliegenden Häuserblöcke entstanden sind.
Der Tie ist in zahlreichen Orten nachgewiesen, zum Teil heute noch vor-
handen. Es ist der Platz, auf dem unter der Linde die öffentlichen Angelegen-
heiten der Gemeinde beraten, das Burmal oder Burding gehalten, auch Zuwider-
handlungen gegen die Anordnungen der Gemeinde zur Verantwortung gezogen
wurden; also war es auch Gerichtsstätte.1 Außerdem war es der Festplatz für
Spiel und Tanz.1 2 Der Name wird oft mit Thing gleichgesetzt,3 doch läßt sich
diese an sich auffällige Gleichsetzung nicht beweisen. In Aschersleben erscheint
eine Mittelform „auf dem Tiege“ (Plan von 1798). Diese könnte die Ableitung
von Tieg = Damm4 rechtfertigen, wenn der Tie nicht überall ein freier Platz
wäre, der mit einem Damme gar nichts zu tun hat. Die Frage nach der Her-
kunft des Wortes muß darum noch unentschieden bleiben. Dasselbe gilt von
Kiethof, eine Bezeichnung, die mit wendischem Kietz = Fischerdorf zusammen-
gebracht wird. Dieser Stadtteil heißt im Volksmunde auch Schwedenkammer.
Ein noch rätselhafterer Name ist ferner die Bezeichnung: der Liebe Wahn.
Wahn ist offenbar Ortsbezeichnung, wie er denn anderwärts als solche erscheint,
so bei Osnabrück als Dorf, ebenso im Rheinland mehrere Male; alle liegen in
niederdeutschem Sprachgebiet. Ich vermute, daß das Wort zurückzuführen ist
auf Wuhne, gotisch vinja, althochdeutsch wunni = Wiese oder Weideplatz,5 später
auch Weg. Der erste Bestandtteil bedeutet dann lieblich.
Auf die Blutgerichtsbarkeit deutet die Armesündergasse, die vom Hohen
Tore nach Norden führt, wo in der Nähe der alten Heerstraße nach Winningen
der Galgen stand. Auffallend ist der Name Krügerbrücke für eine Straße. Er
erklärt sich nur durch einen Wasserlauf, der hier früher geflossen sein muß
(s. o.). Der Straßenname Düsteres Tor deutet entweder auf die Befestigung der
Stephansstadt, wenn man das einst vorhandene Tor am westlichen Ende annimmt,
oder auf ein Tor zum Stephansplatz, zu dem jetzt ein sog. Schling führt. Ich
halte das erstere für das wahrscheinlichere.
Von Märkten sind außer dem „Markte“ schlechthin zu nennen der Zippel-
markt, der Hopfenmarkt und der Holzmarkt. Der erste kann die Vermutung
nahe legen, daß der Platz schon vor der Gründung der Stephansstadt als Stätte
des Verkehrs gedient hat, wobei an ein Marktprivilegium aber noch nicht zu
denken ist. Doch ist darüber nichts überliefert. Wenn er als Zippelmarkt auch
nach Errichtung des großen Marktes um die Stephanskirche herum sein Dasein
fristete, so mag das seinen Grund in besonderen lokalen Verhältnissen gehabt
1 H.-Z. 29, S. 416 f. (Varges).
2 H.-Z. 18, S. 192 (Jacobs).
3 So auch von Straßburger, H.-Z. 29, S. 252.
4 Straßburger, Progr. 1894, S. 12.
5 Vgl. Danneil, Geschichte des Magdeb. Bauernstandes, S. 4; Arnold, Ansiedlungen und
Wanderungen d. St. zu Wanfried, das auch auf wun, wunna = Weide zurückgeführt wird.