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Bohde, Daniela; Vecellio, Tiziano [Ill.]
Haut, Fleisch und Farbe: Körperlichkeit und Materialität in den Gemälden Tizians — Emsdetten, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.23216#0074
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72 DER MYSTISCHE KÖRPER

vom Hauptportal kommenden Betrachters auf. Besonders der Schritt
Magdalenas nach vorn und ihre ausholende Geste bremsen den Blick
des Kirchenbesuchers. Andererseits schauen Magdalena und die bei-
den Statuen nach links in Richtung des Altarraums. Dadurch ist der
Seitenaltar auch auf die Schrägsicht vom Chor und vom Seitenportal
ausgerichtet.150

Wie in San Salvador scheint Tizian geplant zu haben, den Kir-
chenraum durch die Beziehung zwischen seinen drei großen Altar-
blättern zu prägen, wenngleich hier jedes Werk stärker für sich steht.
Wieviele andere Grabmäler sollte die «Pietä» dem Ruhm des Verstor-
benen dienen und war für den noch Lebenden gleichzeitig eine Vorbe-
reitung auf den Tod. Tizian wählte als sein eigener Auftraggeber den
Tod Christi für sein Grabmal aus. Das bot ihm die Chance, seinen
eigenen Tod eng mit dem des Erlösers zu verknüpfen.

3. Zeit des Todes

In Tizians «Pietä» (Abb. 10) nimmt die Figurengruppe nur einen klei-
nen Teil des annähernd vier Meter hohen Gemäldes ein. Sie ist von
der leere Nische und den Statuen umfangen. Diese steinerne Rah-
mung kontrastiert mit den menschlichen Figuren, die sich um den
nackten Leib Christi scharen. Mit diesem Kontrast von Stein und
Fleisch ist etwas Weiteres verbunden: Von der Mitte zum Rand nimmt
die Komplexität der Ikonographie zu, und die Zeichen wandeln sich
von eher natürlichen zu konventionellen. Im Bildzentrum wird der
Leichnam Christi dargeboten, auf ihn beziehen sich die Heiligen in
ihren Handlungen, rundherum aber werden mit den Statuen, Symbo-
len und Inschriften Instrumente bereitgestellt, um das große uner-
gründliche Zeichen, den Körper Christi, auszudeuten.

Unter ihnen sind die griechischen Inschriftentafeln besonders
auffällig. Tizian greift mit ihnen nicht nur auf Sprache als Bedeu-
tungsvermittlerin zurück, sondern wählt das Griechische, das ganz
sicher seinen eigenen Bildungshorizont überschritten hat, da ihm
schon das Lateinische Schwierigkeiten machte. Er scheint wie ein
 
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