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Bohde, Daniela; Vecellio, Tiziano [Ill.]
Haut, Fleisch und Farbe: Körperlichkeit und Materialität in den Gemälden Tizians — Emsdetten, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.23216#0166
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DER EROTISCHE KÖRPER

Ob auch Tizian dieser Auffassung anhing, kann nicht mit
Sicherheit gesagt werden. Die Entwicklung seines offenen Pinselduk-
tus' könnte ihm auf jeden Fall dazu gedient haben, sich von dem
Negativbild der feinmalerischen flämischen Ölmalerei abzusetzen.
In Dolces oder Aretinos Schriften findet sich aber kein erkennbarer
Niederschlag einer vermännlichenden Funktion des colorito.

Die Frage nach einer Geschlechtszuordnung von Tizians colo-
rito darf auch nicht ganz von den Motiven getrennt werden. Vasari
kritisiert ja nicht direkt und allgemein Tizians Malerei als weiblich,
sondern exemplifiziert seine Vorbehalte gegen Tizians Kunst an der
Darstellung eines weiblichen Körpers.405 Dies ist auch mehr als ver-
ständlich, denn Tizian entwickelt hier nicht nur einen neuen
Umgang mit der Ölfarbe, sondern entwirft auch einen ungewohnt
sinnlichen Frauenkörper.

3. Tizians «Danae» und Michelangelos «Leda»:
Weiblichkeit versus Androgynie

Vergleicht man die «Danae» (Abb. 26) mit der «Venus von Urbino»
(Abb. 24), fällt ein großer Zugewinn an Plastizität auf.406 Die Figur ist
nicht mehr in einen schmalen Streifen eingeschrieben, sondern
greift durch den aufgerichteten Oberkörper und die aufgestellten
Beine Raum. Die Volumen der Glieder sind durch dunklere Schatten
an den Rändern modelliert, zwischen den gespreizten Beinen ent-
steht ein meßbarer Abstand. Gleichwohl ist man nicht, wie bei
Michelangelos verlorengegangener «Leda», auf die Idee gekommen,
sie als Skulptur zu kopieren. Nicht nur ist die Wolke ein Musterstück
für nicht in der Skulptur darstellbare Dinge, sondern die ganze Kom-
position ist stark auf die Bildfläche bezogen.407 Außerdem hat Tizian
mit dem pastosen Farbauftrag auf der groben Leinwand eine kaum
übertragbare haptische Qualität gewonnen (Abb. a8).

Dieser Auftritt Tizians in Rom mit einem Gemälde, das selbst-
bewußt Skulptur verarbeitet, aber die farbliche Wirkung als das
Wesentliche erklärt, mußte eine Herausforderung für den Bildhauer
 
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