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Dehio, Georg; Bezold, Gustav von
Die kirchliche Baukunst des Abendlandes (Band 1) — Stuttgart, 1892

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https://doi.org/10.11588/diglit.11368#0541
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Dreizehntes Kapitel: Die Kirchen des Cistercienserordens.

519

anstössig dem gesunden Menschenverstand wie dem asketischen Mönchs-
sinn. Was ihre eigenen Klosteranlagen betrifft, so sollen sie auch nur
scheinen, was sie sind: grosse Wirtschaftshöfe; und die Bauart ihrer
Kirchen soll einfach sein bis zur letzten innerhalb des Zweckmässigen
liegenden Grenze. Weitgehende Folgen in der Kunstgeschichte nach
sich ziehend, liegt dieser Gegensatz zwischen Cisteaux und Cluny doch
eigentlich, wie man sieht, gar nicht in der ästhetischen, sondern in der
moralisch-praktischen Sphäre. Und so werden bezeichnenderweise die 1
Vorschriften für das Bauwesen immer negativ formuliert: keine Türme,
keine Skulpturen, keine Glasmalereien, keine bunten Fussböden u. s. w.
Selbst die Namen »ecclesia«, »basilica« werden als zu hochtönend
zurückgewiesen: die Cistercienserkirche heisse nur »Oratorium«.

Merkwürdige Zeit und merkwürdiges Land, in denen so herbe
Gegensätze der Kunstgesinnung dicht nebeneinander gedeihen konnten.
Während aber das durch den grandiosen Neubau von Cluny unter
Abt Hugo dem Grossen gegebene Muster nicht weit über Burgund
hinaus wirkte (vgl. S. 390), war der baukünstlerische Einfiuss von
Cisteaux bald im ganzen Abendlande zu verspüren. Wo immer Cister-
cienser auftraten, dahin brachten sie ihre Baugrundsätze mit. Die
Möglichkeit lag nahe, dass die Wirkung eine ähnliche wurde, wie die
des Calvinismus im 16. und 17. Jahrhundert. Keineswegs jedoch war
das der Fall. Selbst eine an sich so unkünstlerische, vielmehr anti-
künstlerische Grundstimmung wurde durch die übermächtige künst-
lerische Zeugungskraft des 12. und 13. Jahrhunderts befruchtet und
zu positiver Leistung stark gemacht. Ihr Losungswort sEntsagung
und Arbeit« in die Sprache der Baukunst zu übersetzen, das war die
den Cisterciensern zugefallene Aufgabe, sie schufen den echtesten und .
wahrhaftigsten Mönchsstil, den die Kunstgeschichte kennt.

Das Mutterkloster, das dem Orden den Namen gab, Cistercium
(Citeaux) wurde im Jahr 1098 von dem aus Cluny hervorgegangenen
Abt Robert gegründet. Die Anfänge versprachen nicht viel, und wahr-
scheinlich wäre, gleich so vielem anderen, auch diese Reformbewegung
in engen Grenzen stecken geblieben, hätte nicht rechtzeitig (in den»
Orden eingetreten a. n 13) eines der grössten religiösen Genies, von
denen die Geschichte des Mittelalters weiss, der H. Bernhard, sich in
ihren Dienst gestellt. Während des zweiten Viertels des 12. Jahrhunderts
war er, Päpste stürzend oder schirmend, Königen seinen Willen auf-
zwingend , zum zweitenmal einen Kreuzzug ins heilige Land in Be-
wegung setzend, die erste geistige Grossmacht der Zeit, der Gegenstand,
 
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