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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 19.1874

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https://doi.org/10.11588/diglit.13552#0053

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45

Kunstkritik.

Kunst mul Kunstinäustrie in iler WeltnuristeNung.

XIIN

oße Väter haben selten große Söhne. Ich weiß nicht,
ob man ein Recht hat, dieses Wort aus das moderne
Hellas anzuwenden, sofern der alte Streit noch immer
nicht ausgetragen, ob die heutigen Griechen Nachkom-
men der 'alten Hellenen oder aber eingewanderte Slaven
sind. Schließen wir uns aber denen an, welche sich
zur ersteren Anschauung bekennen, so berechtigt uns die griechische
Abtheilung des Jndustriepalastes wie der Kunsthalle zugleich auf
den obigen Erfahrungssatz zurückzukommen. Dabei dürfen wir aber
auch nicht ungerecht sein, sondern müssen bedenken, wie schwer es
dem auf klassischen Boden Nachgeborenen wird, den Manen seiner
Voreltern gerecht zu werden, wenn sie wie die heutigen Künstler
und Kunstindustriellen Griechenlands uns zum Vergleich heraus-
fordern und den gewagten Versuch machen, den Maaßstab der An-
tike an die Leistungen der Gegenwart legen zu lassen.

Man hatte in Wien den Begriff Kunst officiell ziemlich enge
gefaßt und in Folge dessen die Auszeichnung durch die „Kunst-Me-
daille", die freilich hinterher unendlich tief im Werthe sank, nur den
Schöpfern hervorragender Leistungen auf dem Gebiete der „bildenden
Kunst" in Aussicht gestellt, dagegen den Autoren aller jener Muster-
Objekte, welche außerhalb der fünfundzwanzigsten (der eigentlichen
Kunst-) Gruppe neben ihrem anderweiten, mehr oder minder ideellen
oder materiellen Werth auch noch durch die Schönheit der Er-
scheinung glänzten, nur die gewöhnlichen Auszeichnungen der Ehren-
Diplome, Fortschritts- und Verdienst-Medaillen zuzuerkennen für gut
befunden. Das war freilich ein arger Mißgriff, denn er schloß
z. B. einen Architekten, der in der achtzehnten Gruppe (Bau- und
Civilingenieur-Wesen) ausgestellt, von der Kunstmedaille principiell
aus, wie bedeutend auch der künstlerische Werth seiner Leistung sein
möchte, während andrerseits folgerichtig Gegenstände von weit ge-
ringerer künstlerischer Bedeutung als ein ähnlicher aus der acht-
zehnten Gruppe zur Konkurrenz um die Kunstmedaille berechtigte.
Die Folge davon war die Schaffung eines nahezu an Begriffsver-
wirrung streifenden Zustandes, der namentlich in der italienischen
und griechischen Abtheilung des Jndustriepalastes hervortrat. Dort
wie hier sahen wir so zahlreiche plastische Werke ausgestellt, daß
wir fast auf den Gedanken kamen, sie seien principiell aus der Kunst-
Halle ausgeschlossen.

Wer sich für Geschichte im Allgemeinen und für Kunstgeschichte
im Besonderen interessirt, der betrat die griechischen Abtheilungen
ohne Zweifel mit einer gewissen Spannung, was Griechenland, die
erste Stätte antiker Kunst und Wissenschaft, nach dieser Seite hin
leisten werde. Ist auch schon das zweite Jahrtausend verflossen, seit
der Schwerpunkt menschlicher Geisteskraft in Hellas lag, so mußte
doch die Ausstellung Griechenlands immerhin noch mit einem Ge-
fühle von Pietät betreten werden. Die Erwartungen der Alter-
thumsfreunde sind aber nur sehr im Allgemeinen erfüllt worden,
insofern dieselben auf den Anblick antiker Originale verzichteten.
Was die neue Kunst anlangt, so wurden die Erwartungen noch
weniger erfüllt.

Das heutige Griechenland hat unter seinen Malern strenge ge-
nommen nur einen, Nikiphoros Lhtras aus Attika, aufzuweisen,
dessen beide Bilder „Kanaris,. Branderschiff" und „Neujahrstag
nüt ihrem kecken Geist, ihrer wirkungsreichen Farbe und ihrem
frischen Vortrag Manches an sich tragen, was darauf hinweist, daß
der Künstler in Paris gebildet wurde.

Von den griechischen Bildhauern haben nur drei den Muth
gehabt, in der gefährlichen Nähe der Gypsabgüsse alter klassischer
Skulpturfragmente Athens auszustellen. Unter ihnen nimmt Leonidas
Drosis unbedenklich den ersten Platz ein, der mit Vorliebe antike
Stoffe behandelt und namentlich eine ungemein sinnige Gestalt der
„Penelope" schuf, die auf einem Stuhle sitzend mit schinerzlich sehn-
süchtigem Blicke den abgerissenen Faden ihres Gewebes betrachtet.
Von hohem Interesse aber ist insbesondere der von Philippotis
ausgeführte Versuch einer Vervollständigung der berühmten Venus
von Milo, welcher die holde Göttin ihr schönes Antlitz in einem
durch einen Metallrahmen dargcstellten Spiegel betrachten läßt.

Für den Mangel antiker Originale wurden wir durch sehr
schöne Gypsabgüsse Martinelli's entschädigt, der eine vollständige
Sammlung der alten Sknlpturarbeiten der Akropolis von Athen
einschickte, während Moraitis sehr schöne Photographien nach an-
tiken Bauwerken von Athen und der Insel Syra ausstellte, unter
denen jene des erst vor . 12 Jahren unter Leitung des Hofbauraths
Strack in Berlin ausgegrabenen Dionysos-Theaters am südlichen
Abgänge der Akropolis namentlich auffiel.

Von hoher Bedeutsamkeit ist die Gewebe-Industrie Griechen-
lands, namentlich darum, weil sie zum großen Theil in den Händen
der Frauen ruht, weil sie somit zum großen Theil Hausindustrie
und damit die Trägerin nationaler Traditionen ist, die wir übrigens
bis Ungarn und ganz besonders nach Rumänien und Dalmatien
hinüber verfolgen können. Diese Gewebe zeichneten sich zunächst
durch das Vorherrschen orientalischer Auffassung der gestreiften
Muster und glückliche Farbenwahl aus und kamen am deutlichsten
in den malerischen Nationaltrachten zur Anschauung. Sie sind zu
bekannt, als daß ich mich des Weiteren über dieselben verbreiten
dürfte. Sowohl Männer- als Frauen-Kostüme zeigen sich reich ge-
stickt, doch ist die Technik bei den griechischen Goldstickereien weit
einfacher 'als sonst im Orient. Es werden nämlich nur feine ge-
rundete Goldschnüre von bisweilen wechselnder Dicke auf den ge-
gebenen Grundstoff aufgenäht; aber die Ausführung dieser einfachen
Arbeit ist eine so überaus präcise, die einzelnen Goldschnüre folgen
so haarscharf und sicher den schön geschwungenen Linien der Zeich-
nung, daß die Wirkung nach allen Seiten hin eine mehr als be-
friedigende, eine wahrhaft fesselnde ist.

Durch den Zierrath der griechischen Stoffe geht ein Zug der
Stylisirung, der ungemein wohlthut und in seinem Charakter merk-
würdiger Weise nicht blos bei den Slaven Rumäniens, Dalmatiens
und Rußlands wiederkehrt, sondern wie ein rother Faden sich auch
bei den germanischen Völkern Schwedens und Norwegens findet.
Das ist besonders bei den eingewebten oder gestickten spitzenartigen
Verzierungen der Leinwand der Fall, nicht minder bei den reich-
farbigen mit geometrischen Mustern verzierten Decken.

Ein weiterer bemerkensweither Zweig der Haus-Industrie
Griechenlands ist die Spitzenarbeit. Während bei uns im Norden
die griechischen Frauen nichts weniger als den Ruf sonderlichen
Fleißes genießen, beweist die Thatfache, daß fast kein Land Europa's
eine solche Mannigfaltigkeit der Frauenarbeiten anfzuweisen hatte als
Griechenland, daß die Frauen dieses Landes weitaus besser sind als
ihr Ruf in der angedeuteten Richtung, denn sie pflegen nach Ausweis
der Ausstellung neben ihrer ebenso reichen als interessanten Haus-
Industrie fast noch alle modernen Handarbeiten.

Als eine beachtenswerthe Specialität der Haus-Industrie muß
noch eine eigenthümliche Art von Kopftüchern -aus dünnen Baum-
 
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