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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 19.1874

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https://doi.org/10.11588/diglit.13552#0230

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nur an seinen Widersachern zu rächen. Man mag über den
„Madonnen-Kultus" denken, wie und was man will, für den
Künstler muß der ihm zu Grunde liegende Gedanke von höchstem
poetischen Werthe sein, und cs steht ihm übel, au, die Sache so
in den Koth zu ziehen, wie es Kanlbach gethan; wobei er noch
zu allem Ueberfluß bei sich selber ein Anlehen machte, indem er
die reizende Kindergruppe in Güll's Kinderliedern und -Sprüchen
karrikirte. Was den künstlerischen Werth der Federzeichnungen
anlangt, so steht derselbe fast durchweg so tief, daß man dort
und da au die Illustrationen erinnert wird, mit welchen Schul-
jungen die Buchbinderblätter ihrer Lehrbücher zu schmücken
pflegen." —

Ein anderer Korrespondent berichtete gleichzeitig darüber:
„W. v. Kaulbach's Weise des künstlerischen Prodncirens — seine
beliebte Symbolisirung politischer Zeitpointen — sinkt hinsichtlich
der Erfindung mehr und mehr zur geistlosen Rebusmach er ei
herab. Er hat „Zeichnungen zur Zeitgeschichte" (wozu ja auch
schon sein „Peter d'Arbuez" zu rechnen ist) veröffentlicht, die
in Lichtdruck (soll das auch symbolisch sein?) erscheinen.
„Das schärfste Bild" — so künden die Zeitungen und meinen
damit nicht die Schärfe des „Lichtdrucks", sondern der Tendenz,
was für die künstlerische Bedeutung der Kompositionen gewiß
charakteristisch ist — „ist der unfehlbare Papst mit dreifacher
Krone, versteckt hinter einer Christnsmaske, durch deren Mund
er ein Bündel Blitzstrahlen schiebt. (!) Darunter ist zu lesen:

Willst dich hinter Christi Maske verstecken,

Mit dein Bannstrahl die Welt erschrecken,

Lassest fluchen den Mund, der nur Segen sprach,

Wir verlachen den kalten Wetterschlag.

Da der künstlerische Werth der Zeichnungen ungefähr auf
gleichem Niveau wie die Poesie der Worte steht, so wollen wir
uns einer näheren Beschreibung der letzteren entheben."

Wir können — ohne dem Gesagten etwas hinzuzufligen —
mit dieser Gattung der Kaulbach'schen Production abschließen.
Eine dritte, sehr umfangreiche Klasse umfaßt seine Illustratio-
nen zu den Werken Shakespeare's und Goethe's. Die-
selben sind, dllrch zwei renommirte Verlagshandlungen, Nicolai
und Bruckmaitn, theils in edelster Knpferstichmanier, theils in
photographischer Nachbildung vervielfältigt und höchst luxuriös
ausgestattet, in den weitesten Kreisen des „kunstsinnigen" Publi-
kums verbreitet und haben auch in der kritischen Presse lebhafte
Anerkennung gefunden. Mau frage aber einen intelligenten Künst-
ler, was er davon hält und mau wird erstaunt über die Antwort
sein — falls man überhaupt eine erhält. Was uns betrifft, so
haben wir nie Anstand genommen, unser Urtheil darüber dahin
abzugeben, daß in allen diesen Kompositionen auch nicht ein
Funken von dem Geiste Shakespeare's oder Goethe's enthalten
ist. Es sind gefällige, zum Theil sehr geschickt arrangirte Bilder
mit den bekannten Kaulbach'schen Typen, aber eine Charakteristik
in: Sinne der Dichter, eine Verkörperung ihrer Gedanken und
Anschauungen darf man nicht darin suchen.

Es würde uns zu weit führen, wenn wir dies hier noch ein-
mal au einzelnen Beispielen Nachweisen wollten (denn es ist hin-
länglich seiner Zeit geschehen), und so gehen wir denn schließlich zur
Betrachtung einer vierten Klasse von Darstellungen über, die wir
der Kürze halber die allegorisch-satyrische neunen wollen.

Hier steht nun in erster Reihe eins seiner ältesten Werke,
das nicht nur in seiner Art, sondern unbestreitbar überhaupt von
Allem, was Kanlbach schuf, das bedeutendste und gediegenste,
ja das einzige ist, dem wir unbeschränkt und im höchsten Sinne
des Worts das Prädikat „Meisterwerk" zuerkennen können, da
ihm der unverkennbare Stempel echter Genialität aufgedrückt
ist: sein „Reineke Fuchs". Hier ist in jedem Zuge Charakter,
pointenreicher Humor, ja eine Naivetät, die nicht ohne poetische
Wirkung ist. Dies Werk allein reicht hin, Kanlbach unsterblich
zu machen, was man sonst von keinem andern — mit Aus-
nahme vielleicht seiner „Hunuenschlacht" — sagen kann. Er hat
sich später nur noch einmal unseres Wissens aus diesem Felde
der Thierkomödie versucht, in seinem Cyklus „Das Märchen vom
Zwergkönig Worzel und dem Rattenkönig Fitzliratzli", aber dieser
Versuch reicht bei Weitem nicht an die Ursprünglichkeit und Ge-
nialität des Reineke hinan, obgleich Humor darin nicht zu ver-
kennen ist.

Leider reihen sich aber diesen beiden, immerhin naiven und
darum anmnthigen allegorischen Werken einige andere Kompo-
sitionen an, welche schwerlich geeignet sind, die Achtung vor seinem
künstlerischen Genius zu erhöhen. Es sind dies die — zum
Theil nur wenig bekannt gewordenen Werke: „Caritas", „Die
Erzeugung des Dampfes" und „Wer kauft Liebesgötter". Auch
hier wollen wir uns mit einem Citat begnügen. Unser müncheuer
Korrespondent schrieb darüber in Nr. 40 des Jahrgangs 1868:
. . . „Es giebt Knnstschöpftmgeu, die ausschließlich für gewisse
Kreise bestimmt, vielleicht eine Art von Berechtigung haben und
zweifelsohne dadurch au ihrem Werthe streuggenommen nichts
verlieren, weil der Gegenstand, den sie behandeln, und die Art
und Weise der Behandlung ihren Genuß auf jene Kreise be-
schränkt wissen wollen. Man kann vielleicht behaupten, daß sich
selbst lascive Gegenstände mit einer gewissen Keuschheit der
Empfindung* **)) darstellen lassen, während andrerseits die Lasci-
vität der Darstellung im Stande ist, ein an sich edles Motiv
in den Schlamm der Gemeinheit herabznziehen. Wer Illu-
strationen zu den Memoiren Casanova's sucht, wird bei dem
Anblick des Gebotenen'sicher nicht erröthen, wem aber Kaulbach's
Palinodie zu Goethe's reizendem Gedichte „Wer kanst Liebes-
götter?" in die Hand fällt, wird sich kaum eines Lächelns ent-
halten können, und mau muß ein recht grämlicher Zelot sein,
um desselben Künstlers „Erzeugung des Dampfes" zu ver-
werfen.^*) Hunderte von Künstlern haben Mars in den Armen

*) Wir bemerken hierzu, unter bescheidenem Protest, daß ein an sich
lasciver Gegenstand einen begrifflichen Widerspruch gegen „Keuschheit der
Empfindung" enthält, und daß, wenn in der Darstellung wirklich eine solche
Keuschheit herrscht, der Gegenstand nothwendigerweise aufhört, lasciv zu er-
scheinen. Die Frivolität — um diesen allgemeinen Ausdruck zu wählen —
besteht nicht in der Darstellung des Nackten an sich, sondern in der unedlen
und darum unkünstlerischen Verwerthung desselben zum Zweck sinnlicher
Reizung. (Damalige Bemerkung d. Red.)

**) Wir haben diese Stelle nur mit Widerstreben unverändert gelassen,
müssen aber hier in entschiedener Weise unsere Ansicht dahin aussprechen, daß
uns die hier genannten Kompositionen Kaulbach's, trotz, oder vielleicht gerade
wegen ihrer „Genialität", ein ungemischtes Gefühl des Ekels erregt haben.
Wenn ein hervorragendesLalent sich dazu herbeiläßt, die raffinirte Gemeinheit,
gegen welche die berüchtigten Radirungen Giulio Romano's als Vorlagen für
weibliche Zeichnenschulen erscheinen, mit solchem „urkräftigcn Behagen" illustrativ
zu variiren, wie Kaulbach in der Koniposition „Wer kauft Liebesgötter", der
 
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