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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 19.1874

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https://doi.org/10.11588/diglit.13552#0231

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der Venus, Leda und den Schwan, Jo und Zeus dargestellt
und dabei die Grenzen des Anstandes mehr oder weniger ein-
gehalten oder auch überschritten. Aber selbst im letzteren Falle
begegnen wir dort und da noch immer dem Strebeil, das Nra-
terielle zu vergeistigen.* *)

Dagegen kailn man sich auch ohne Anlage zur Prüderie
eines unangenehmen Gefühles nicht erwehren, wenn man sieht,
wie ein bedeutender Künstler seine Freude daran hat, einen
durchaus edlen und rein geistigen Stoff durch Betonen des Ma-
teriellen herabznziehen, zudem in einem Falle, in welchem dies
nicht einmal motivirt erscheint. Unter den drei göttlichen Haupt-
tugenden ragt „die Liebe" über ihre Schwestern „Glaube" und
„Hoffnung" empor, und so hat sie auch Raphael in seiner
Predella der „Grablegung" in der-Gallerte Borghese zum
Mittelpunkt seiner Kompositionen gemacht. Sie erscheint als
die reinste, edelste Empfindung, es ist nichts Irdisches an ihr,
sie ist ganz eine Tochter des Himmels. Das. Geschlechtliche
an ihr tritt so in den Hintergrund, daß wir dessen uns
kaum mehr bewußt werden. Dagegen ist die „Caritas" Kaul-
bach's ganz und gar Weib und nichts als Weib in des Wortes
sinnlichster Bedeutung, ein Weib, das Liebe gewährt und wieder
Liebe verlangt. Umsonst suchen wir in diesen Zügen den Aus-
druck jenes göttlichen Ursprunges, der sie von ihrer irdischen
Schwester, der Vulgivaga, unterscheidet. Und wenn nun Kaul-
bach so weit ging, daß er einen halberwachsenen Jungen, der
neben seiner Mutter steht, von der nackter: Brustwarze mit der
Zunge die überströmende Milch wegschlürfcn läßt, so war das
ein Mißgriff, der sich ebenso schwer begreifen als entschuldigen
läßt. Man niag sich immerhin an den schönen üppigeil Formen
der Kanlbach'schen Weibergestalten erfreuen, aber an dieser Stelle
hätte man auf die volle Brust und die drallen Arme gern ver-
zichtet, und ein so großer Knabe, der gegen alle Natur nach

verliert das Recht aus den Ehrennamen eines „Künstlers von Gottes Gnaden".
Diese Sachen werden für alle Zeit — wenn sie auch das Tageslicht der
Oeffentlichkeit scheuen — einen Schandfleck für die Geschichte der modernen
deutschen Kunst bilden. (Damalige Bcm. d. Red.)

*) Nun also! Dies ist aber schwerlich von den oben erwähnten Kom-
positionen Knulbach's zu behaupten, man müßte denn die konzentrirteste Raf-
finerie eine geistige Potenzirung nennen. (Damalige Bem. d. Red.)

der Mnttcrbrnst verlangt, ist zum mindesten eine widerliche Er-
scheinung, wenn nicht etwas Schlimmeres. — Wie reizend Kanl-
bach's Kindergestalten incist sind, ist bekannt, reizendere als die,
welche die Caritas umgeben, hat er vielleicht nie geschaffen.
Dagegen liegt in dem Faltenwurf der.Gewandung viel Kon-
ventionelles, mit dem man sich schwer befreunden kann. Auch
möchte man glauben, die Draperie des Schooßes der Haupt-
figur sei ohne alle Rücksicht, auf das natürliche Gewicht des
prächtigen Jungen gezeichnet, der zwischen den Knien der
Mutter steht."

Wir konnten nicht umhin, diesen bedenklichen Aeußerungen
nnsers Berichterstatters folgende Schlußbemerkung hinzuzufügen:
„Kaulbach hat also nrit diesem Bilde auf's Neue den Beweis
geliefert, daß ihm die künstlerische Empfindung für die Innig-
keit und Tiefe edler Weiblichkeit abgeht, daß seinem der schel-
mischen Satyre einerseits und der abstrakten Symbolik andrer-
seits zngewendeten Gestaltungstrieb das ernste Ideal, der reine,
jungfräulich-keusche Schönheitstypus verschlossen ist. Selbst in
seinen großen historischen Kompositionen wird er daher sofort
konventionell oder verfällt in stereotype Wiederholung, sobald er
die Sphäre idealer Weiblichkeit berührt."

Und hiemit schließen wir unsere Charakteristik Kaulbach's,
iildenr wir uns gestatten, noch eine persönliche Bemerkung hinzu-
zufügen: Es gab eine Zeit — als Kaulbach an seinen Cartons
zum „Kinderfries" im Neuen Museum zeichnete, also in den
fünfziger Jahren — da wir, wie alle Welt, von Kaulbach's
großartiger Gestaltungskraft sehr eingenommen waren. Wir
haben damals, in unserm Enthusiasmus, sogar Vorlesungen
über den Wandgemäldecyklus gehalten, worin wir allerdings mit
Entschiedenheit auf die Unverträglichkeit solcher abstrakten Sym-
bolik mit der fast genremäßigen Lebendigkeit der Figuren und
namentlich mit der koloristischen Darstellungsweise hingewiesen.
Je weiter aber der Cyklus vorschritt, desto weniger waren wir
davon erbaut, und als nun später Karilbach mit seinen andern
Koinpositionen auftrat, erkannten wir den durchaus falschen, ja
künstlerisch verwerflichen Weg, den sein unzweifelhaft bedeutendes
Gestaltungstalent einschlug, llird in dieser Ueberzeugung sind
wir je länger desto mehr bestärkt worden. M. Sr.

Korrespondenzen.

tu, Anfang Juli. (Permanente Ausstellung im
künstlerhause.) A. de Bensa wirft sich ganz
ms das Machinistenfach — auf eine Kapitalsanlage
bekanntlich, die selten dankbare Zinsen trägt. „Das
nglische Pferderennen", „Die Feldschmiede" und „Der
Verbandsplatz" sind drei solche Gemälde mit ge-
drängter Komposition, worin manche Fignr gewiß. ihre Existenz-
berechtigung nur dem zufällig übrig gebliebenen Raume auf der
Leinwand zuschreibt) freilich kann Solches bei diesem.Genre nicht
stark gerügt werden, denn unmöglich wird man hier von jeder Per-
son Selbstständigkeit fordern. Aber eS giebt auch in der Massen-
entwicklung natürliche Linien, die, so willkürlich und unregelmäßig
sie auch sein mögen, dennoch zu bemerken und zu beachten sind)
darin wird uns jeder Recht geben, der einmal in Italien, dem

Lande der Straßenscenen, von einem Dache etwa hinab solche ge-
schaut. Ein freundlicher Wink für Herrn Bensa!.. . Zwei an-
genehme wirkungsvolle Bilder sind „Die Verwarnung" und „Das
Frühstück", das eine von F. Rumpler, das andere von E.
Ritter. — Eine staunenswerthe Sorgfalt in Zeichnung und
Kolorit zeigt Glisenti in seinem „Graveur". Groß und in die
Augen fallend ist Alles in diesem kleinen Bildchen; jede Falte hat
Platz für Licht und Schatten, jeder Zug und jeder Strich seine
wirkungsvolle Aeußerung. Kunst und Kunstfertigkeit streifen sich hier.

Ein Genrebild von F. Friedländer hat den Vorzug eines
überaus glücklichen Sujets. Einer Mutter mit einem Kinde auf
dem Arm kommt ein anderes größeres entgegen, das ein Kanin-
chen frohlockend vorzeigt. Das Jüngere streckt natürlich sehnsüchtig
nach diesem die Aermchey aus, und nach Zügen und Geberden zu
 
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