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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 19.1874

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https://doi.org/10.11588/diglit.13552#0290

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282

Kunstkritik.

Die aftatlrmtfrhe HunstauKstellung in Berlin.

(Fortsetzung.)

«I. llrligiöse Malerei.

Mit Allgemeinen haben wir den differenten Charakter
der die religiöse Malerei auf der Ausstellung repräsen-
tirenden Werke ihren Sonderrichtungen nach bereits
angegeben. Unwillkürlich drängt sich dabei die Frage
i auf, welches denn nun eigentlich derjenige Charakter
oder sagen wir „Styl" sei, welcher als der dem heu-
tigen religiösen Bewußtsein und Gefühl angemessenste bezeichnet wer-
den könnte; allein giebt es denn heutzutage ein religiöses Volksbe-
wnßtsein von der allgemeinen und klaren Bedeutung, daß man wie
im Mittelalter mit dem Finger darauf Hinweisen konnte? Wenn
wir unsere ganze Ueberzeugung aussprechen sollen, so müssen wir
sagen, daß die religiöse Kunst in dem einfachen Sinne des Worts
seit der Reformation eigentlich zu Grabe getragen ist; nicht etwa,
weil die Reformation den Inhalt des religiösen Volksbewußtseins zer-
stört habe — im Gegentheil sie hat ihn von vielen Schlacken und
abergläubischem Krimskrams gereinigt —, sondern weil sie die Un-
befangenheit des allgemeinen Glaubens oder, wenn man will,
Aberglaubens aufgehoben und das individuelle Gewissen zum Abso-
lution ertheilenden Priester erhoben hat. Man mag sagen was
man will: der Glaube, gleichviel welchen Inhalt er habe, also auch
der Aberglaube ist poetischer als die Moralität, welche nur den
kategorischen Imperativ kennt, und was noch den vielfachen, aus
der Reformation hervorgegangenen Formen des Christenthums an
positiver Gläubigkeit anhaften mag: sie sind, vom Gesichtspunkt künst-
lerischer Berwerthung betrachtet (und davon ist ja hier nur die
Rede), nur abgeblaßte und nüchterne Kopien des ursprünglichen lebens-
vollen Bildes, das in der religiösen Volksanschauung sich abspie-
gelte. Um deutlich zu machen, was wir meinen, brauchen wir nur
auf die Baukunst hinzuweisen: was der katholische Kirchenbaustyl
sei und welchen Rcichthnm an bedeutungstiefen Formen, welche un-
erschöpfliche Quelle an künstlerischer Anschauung er darbiete, darüber
herrscht kein Zweifel; nun frage man sich, was denn der evangelische
Kircheiibanstyl bedeute und, wenn er wirklich existiren sollte, was er
an künstlerischen Elementen besitze? — die Frage dürfte auch den
fanatischsten Anhänger der Reformation in Verlegenheit setzen.

Machen wir davon die Anwendung auf das sehr heikliche Thema
der religiösen Malerei der Gegenwart; und wir wollen, um die
Ungeduld derjenigen Leser, welche von uns hauptsächlich ein Urtheil
über die ausgestellten Bilder erwarten, zu zügeln, sogleich bemerken,
daß wir solche allgemeinen Untersuchungen, die ein Princip er-
örtern, für viel wichtiger halten als die mehr oder weniger lobende
oder tadelnde Beschreibung einzelner Bilder; ohnehin ist wenigstens
ein religiöses Bild — die „Kreuzigung" von v. Gebhardt — auf
der Ausstellung, welches ohne solche principielle Erörterung gar
nicht endgültig beurtheilt werden kann.

Es kann wohl Niemandein cinfallen zu behaupten, daß es
heutzutage überhaupt eine originale religiöse Kunst gebe, in dem
Sinne, wie man von einer solchen zur Zeit des Cinguecento sprechen
kann; ja, es darf vielmehr aus den oben angegebenen Gründen
geradezu behauptet werden, daß eine originale Entwickelung der reli-
giösen Malerei, wenn sie wirklich religiösen Charakter, im aus-
schließlich konfessionellen Sinne des Worts, behalten will, für alle
Zukunft unmöglich sei. Die eine Thatsache, daß es dem Kultur-
bewußtsein der modernen Zeit an der dazu nöthigen Unbefangenheit

und Naivetät des Glaubens fehlt, ist nur ein Ring in der Kette
von Ursachen, welche eine wahrhaft moderne und zugleich wahrhaft
originale Fortbildung der religiösen Kunst fast zur Unmöglichkeit
machen. Nichts aber scheint für diese Unmöglichkeit mehr als jene
durchaus prosaisch nüchterne Richtung der modernen religiösen Ma-
lerei zu sprechen, welche an die Stelle des idealen Christus der
klassischen Kunst den sogenannten-„historischen Christus" setzen will.
Denn gerade darin besteht ja der göttliche, d. h. absolute Inhalt
der Christusidee, daß derselbe als über und außer aller Zeit existi-
rend zur Anschauung gebracht wird.

Wenn aber von einer originalen religiösen Malerei im
Sinne des tradionellen Dogmas nicht mehr die Rede sein kann, so
bleibt nur noch die Frage zu stellen, welchem bereits typisch ge-
bildeten Styl etwa sich die moderne religiöse Malerei anzu-
schließen habe, um den Bedürfnissen der modernen religiösen Em-
pfindung relativ am meisten zu entsprechen. Diese Frage ist so
sehr eine offene, daß es jedem Künstler überlassen bleiben muß, sich
nach seiner persönlichen Anschauung zu entscheiden.

Von Interesse ist es nun, daß uns an den Werken zweier auf
der Ausstellung vertretenen Künstler, die durch ein glückliches Un-
gefähr behufs genauer Prüfung in unmittelbare Nähe gebracht
sind, zugleich Beispiele der am weitesten von einander divergiren-
den Richtungen vor Augen gestellt wurden: von Gebhardt's
erwähnte „Kreuzigung Christi" und Jttenbach's „Leos agnus
dei und Mater admirabilis“. Es kann gar keinen größeren Ge-
gensatz geben: aber dieser Gegensatz wird nicht dadurch charakterisirt,
daß man bei ersterem etwa an Albrecht Dürer, bei dem zweiten an
Raphael als Vorbilder erinnert; er ist viel schroffer, weil einseiti-
ger. Was bei Raphael als himmlische Erscheinung wirkt, erhält
bei Ittenbach einen verhimmelten Charakter. Nichts liegt Raphael
ferner als Sentimentalität, bei Ittenbach ist nur Sentimentalität,
statt Tiefe der Empfindung krankhafte Empfindelei. Mit unsäglicher
Mühe, die man der Malerei ansieht und welche deshalb peinlich
berührt, ist Alles, Gesicht, Hände, Mantel und das übrige Bei-
werke zu einer porzellanartigen Glätte und Schönheit abgeschliffen,
aber es ist eine Schönheit ohne Kraft, ohne Innerlichkeit und darum
— ohne Innigkeit. Statt solcher Innerlichkeit und des unbefan-
genen Abglanzes seelenhafter Bewegtheit bloße Aeußerlichkeit, Gestus,
schlaffe konventionelle Lieblichkeit mit pietistischem Augenaufschlag
und sich beobachtet wissendender Heiligkeits-Koketterie.

Wenn die Entscheidung darüber, ob ein religiöses Werk den
„richtigen" Styl getroffen, vor Allem in seiner Wirkung auf den
Beschauer liegt, so möchte das für solche Auffassungsweise empfäng-
liche Publikum höchstens unter alten Betschwestern, welche die Peri-
ode der Weltlust hinter sich haben, und jungen, eben aus dem Se-
minar entlassenen Priestern, die noch im Stadium eines fanatischen
Rigorismus stehen, sich finden lassen.

Werfen wir jetzt einen Blick auf den Gegensatz dazu, auf von
Gebhardt's „Kreuzigung". Daß wir von vorn herein mehr
Sympathie für diese Richtung als für die geschilderte Jttenbach'sche
empfinden, wollen wir gern eingestehen; denn abgesehen davon, daß
ein Ucbermaaß an Härte und selbst eine bis zur Karrikatur ange-
spannte Herbigkeit kraftvoller Empfindung weniger abstoßend wirkt
als eine verwaschene Empfindelei ohne gesunden Lebenssaft, so scheint
cs auch — ganz abgesehen von der Extremität der Richtungen —
 
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