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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 19.1874

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https://doi.org/10.11588/diglit.13552#0291

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an sich mindestens zweifelhaft, ob der germanische Geist nicht
doch am Ende eine tiefere Sympathie für die unbefangene und bei
aller Spießbürgerlichkeit rührende Naivetät in der Anschauungs-
weise der alten deutschen Meister habe als für die abstrakte Idea-
lität der großen italienischen Maler.

Wir können, gerade um unser Bedenken gegen die von von
Gebhardt in seiner „Kreuzigung" eingeschlagene Richtung zu mo-
tiviren, nicht umhin, an ein anderes Bild des Künstlers zu erin-
nern, das auf der Ausstellung vor zwei Jahren mit Recht die all-
geineinste Anerkennung fand. Es ist zwar bekanntlich sehr wohl-
feil, bei gewissen Richtungen der Kunst, in denen es mehr wie bei
andern sich um die Frage des Styls handelt, sofort mit den landläu-
figen Beziehungen von „Idealismus", „Naturalismus" und ähn-
lichen hervorzukommen, in der Meinung, daß damit nun Alles oder
doch das Wesentliche gesagt sei. o. Gebhardt's Richtung ist der
beste Beweis dafür, daß solche einseitigen Kriterien den eigentlichen
Wirkungspunkt nicht berühren;, denn bei ihm beruht die Wirkung
gerade darin, daß unter der äußerlichen Form naturalistischer Derb-
heit sich eine Fülle seelischer Elemente mehr verbirgt, als daß sie
zum Ausdruck kommt. In dem vorliegenden Bilde aber ist er —
wie schon in einem früheren: „Einzug Christi in Jerusalem" —
über sich selbst, d. h. über den Realismus, wie er sich auf so
maaßvolle und gesunde Weise in seinem „Abendmahl" ausprägt, in-
sofern hinausgegangen, als er jene immerhin naturgemäße Form
naturalistischer Derbheit nicht nur überhaupt bis zum Gepräge häß-
licher Rohheit potenzirte, sondern — was unsers Erachtens viel
schlimmer — dafür die Maske jener in der roheren Anschauungs-
weise des altdeutschen Mittelalters liegenden Häßlichkeit wählen zu
müssen glaubte. Es ist ein großer Jrrthum, zu meinen, daß, weil
jenen alten naiven Meistern trotz aller Eckigkeit, Ungelenktheit und
Verschrobenheit doch eine große Tiefe und Innigkeit der Enipfin-
dung inne wohnte und in der Darstellung zu Gebote stand, des-
halb auch für eine heutige geläutertere Anschauung der Ausdruck
einer tiefen Innigkeit nothwendig mit eckigen, ungelenken und ver-
schrobenen Gestalten verbunden sein muß. Jene alten Meister und
Die, für welche sie malten, kannten nichts Besseres als solche Formen,
und daß sie im Stande waren, durch sie und trotz ihrer Häßlichkeit
solche Tiefe der Empfindung zur Darstellung zu bringen, so daß
wir selbst heut zu Tage jene Roheit des äußerlichen Gebietes und
die unhistorische Geschmacklosigkeit, die in der Anwendung des mit-
telalterlichen Kostüms auf altpalästinensische Vorgänge liegt, ver-
gessen können über der latenten Schönheit der durch alles dies
häßliche Exterieur hindurch schimmernden Liebenswürdigkeit, Wahr-
haftigkeit und Tiefe der Empfindung: das ist eben ihr Ruhm. Aber
wenn heute ein Künstler kommt und die Alten nicht nur in diesen
ihren Vorzügen, sondern in ihren dem Zeitgeschmack angehörigen
Häßlichkeiten nachahmen oder, wie der beliebte Ausdruck lautet, in
ihrem „Styl" malen will, so macht er sich — so bewundernswürdig
im Uebrigen sein Werk in dieser Beziehung sein mag und gerade
deshalb um so mehr — einfach einer bewußten Geschmacklosigkeit
schuldig, die nur ihre Entschuldigung in einem Mißverständniß
über die Aufgaben der stets ihrer Zeit angehörigen Kunst
findet. —

In dem „Abendmahl" hat sich Gebhardt von solchem Irr-
wege fern gehalten; er hat gezeigt, daß er sehr wohl die Forde-
rungen eines gesunden Realismus mit großer Wahrheit und Innig-
keit der Empfindung zu vermitteln versteht; und es ist doppelt be-
klagens- und tadelnswerth, daß er von diesem mit so großem Takt
und Talent eingeschlagenen Wege abgewichen ist. Es hat ihm in
dieser Beziehung an aufrichtiger Mahnung nicht gefehlt; einer Mah-
nung, die wir ihm seines oben erwähnten, mit dem „Abendmahl"

gleichzeitig geschaffenen Bildes „Einzug Christi in Jerusalem" wegen
ertheilen zu müssen glaubten. Wir können nicht umhin, an eine
Stelle ans unsrer damaligen Berichterstattung zu erinnern, weil sie
besser als eine direkte Auseinandersetzung über die Fehler des hier
in Rede stehenden Bildes unsre Ansicht verdeutlicht:

„Was den ersten Eindruck des Gebhardt'schen Bildes (das
„Abendmahl") betrifft, so ist er als ein in gewissem Sinne fremd-
artiger zu bezeichen, denn seine Anffassungsart weicht so gänzlich von
der in der religiösen Kunst seit dem Vorgänge der Italiener der
Blüthezeit eingebürgerten Art der Stylisirnng, namentlich aber von
der heutigen (trotz Cornelius) sich mehr und mehr verweichlichenden
und zu empfindelnder Schönheitssüchtelei verblassenden Weise der
Behandlung religiöser Motive (wie in den Jttenbach'schen Bildern)
ab, daß man sich, hieran gewöhnt, zuerst ganz desorientirt findet.
Denn gerade die bewußte Vermeidung jeder — um diesen Ausdruck
zu brauchen — idealistischen Stylisirnng, sowie die wohlerwogene
Herabziehung der religiösen Typen ans jener abstrakten Sphäre tra-
ditioneller Jdealisirnng in die Anschauungsweise einfacher, aber derber
Realität ist zunächst das äußerlich Charakteristische der v. Gebhardt'-
schen Darstellungsweise. Und daß er diese realistischen Typen nicht
etwa — wie Leys in seiner Anfgalvanisirnngs-Manier
mittelalterlicher Formen — einer sklavischen Nachbildung der
altdeutschen Meister verdankt, zeigten die früher im Künstlerverein
ausgestellten Studienköpfe nach der Natur, unter denen viele die
Motive für die Köpfe ans seinem „Abendmahl" abgegeben haben.

Allein dieser Realismus ist für die von Gebhardt'sche Auf-
fassungs- und Darstellungsweise doch nur die äußere Hülle für einen
tiefen seelischen Inhalt. Denn weit entfernt davon, damit den Ein-
druck einer trivialen Lebens Wir klichkeit zu erzielen, so daß
etwa dieser Christus und besonders diese Jünger, wie
auf den Bildern der alten deutschen und holländischen
Meister, ebenso gut eine Gesellschaft deutscher oder
holländischer Bauern darstellen könnten, Prägt sich in den
v. Gebhardt'schen Jüngern trotz alles Realismus eine Innigkeit der
Empfindung, eine Wahrhaftigkeit inneren Seelenlebens aus, die uns
sogleich der bloßen Tageswirklichkeit und der modernen Gegenwart
entrückt. Bon Nichts ist mithin dieser Realismus ferner als von
jenem sogenannten „historischen Realismus", der aus Respekt vor-
dem „historischen Christus" vor Allem den Orientalen oder gar,
wie auf dem Menzel'schen Bilde: „Christus im Tempel lehrend",
den gewöhnlichen Inden darstellt, sondern es ist ein, allerdings
innerhalb der deutschen Anschaunngsiveise bleibender, aber geistig ge-
läuterter Realismus, wofür wir blos das formelle Vorbild inder-
altdeutschen Malerei finden. . . Das Gemälde ist in jedem Betracht
eine außergewöhnliche und im besten Sinne originelle Leistung. So
in der That vermag der gebildete moderne Geist sich jene einfachen,
aber glaubensstarken Menschen in ihrer Wahrheit zu vergegen-
wärtigen; so in der That haben auch die alten deutschen Meister sich
dieselben in ihrer Weise vergegenwärtigt. Wäre es nun nicht
ein Mißgriff, wenn statt der originalen, dem Modernen
allein möglichen Vorstellungsweisc ein dem modernen
Geiste fremder Abklatsch der mittelalterlichen Anschau-
ung uns vorgeführt würde?"...

Leider hat v. Gebhardt auf diese wohlgenieinte Bemerkung
nicht geachtet. Der höchste Triuniph dieser Art von Darstellung —
falls man sie als berechtigt anerkennen dürfte — besteht in der
außerordentlichen Treue, mit welcher die widerlichsten Verrenkungen
der Glieder, namentlich der Hälse, „im Styl der alten Meister"
wiedergegeben sind. Das Bild müßte, wenn es nicht trotz Allem
sehr ernsthaft gemeint wäre, als abscheuliche Karrikatur wirken.
Allerdings ist Empfindung darin, furchtbarer Schmerz und bis zum
 
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