Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 19.1874

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13552#0310

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
302

mit welchem er umhüllt ist, stets darin enthalten, wenn er auch
mit seiner bunten Schaale so verwachsen ist, daß er nicht mehr in
nakter Reinheit herausgeschält zu werden vermag. Das Märchen
dagegen ist als solches lediglich poetische Erfindung, es schwebt völ-
lig außer allem Zusammenhang mit der realen Welt, der es nur,
um überhaupt verständlich zu sein, die allgemeinen Lebensformen ent-
lehnt; es bewegt sich in jener geheimnißvollen Sphäre dämmernder
Existenz zwischen Erde und Himmel, in welcher die Gesetze des rea-
len Lebens ihre logische Kraft einbüßen und die Umrisse der Dinge
mit dem umgebenden Zwielicht zu undeutlichen Nebelgestalten zer-
fließen.

Hieraus folgt von selbst, daß die Sage — eben ihrer realen
Unterlage wegen — für die bildende Kunst einen festeren Formen-
stoff darbietet als das Märchen: letzteres sollte (außer auf orna-
mentale Weise in Anlehnung an die Architektur) am schicklichsten
nur als freie Illustration der poetischen Darstellung verwerthet
werden, während die Sage — wir erinnern an den Kaulbach'schen
Carton zur „Hunnenschlacht" — in ernst historischer Gestaltung
auftreten kann. Für die Staffeleimalerei aber werden sich beide
Gattungen nur schwer verwerthen lassen, außer etwa als Dämme-
rungs- und Mondscheinbilder, welche durch die Verdunstung des
Kolorits zu einer halbfarbentönigen Zwielichtstimmung von vorn
herein auf den Eindruck der realen TagesbeleuchMng verzichtet. Um
ein Beispiel einer solchen wohlgelungenen Stimmung zu geben, er-
innern wir an das treffliche Bild G. Spangenberg's „Der
Rattenfänger von Hameln". Denn durch Nichts wird der Eindruck
des Phantastischen und Wunderbaren, welcher der eigentliche Hebel
der poetischen Stimmung sowohl der Sage als des Märchens ist,
gründlicher zerstört als durch eine koloristische Behandlung in jener
hellen, freundlichen Tagesklarheit, wie sie das erste beste Genrebild
aus dem realen Volksleben zeigen kann.

Wenn wir nun unter diesem Gesichtspunkt die noch vorhande-
nen hiehergehörigen Bilder betrachten, so ist von vorn herein zu
sagen, daß keins derselben diesen in der Sache selbst liegenden An-
forderungen genügt. Schwache, aber nicht sehr gelungene Versuche
haben Tschautsch in seiner „Titania und Oberon" (aus dem Som-
mernachtstraum) und Bürck in seiner „Rückkehr aus Walhalla"
gemacht. Beide haben geglaubt, die angestrebte Mondschein- und
Dämmerlichtsstimmung durch einen koloristisch dankbaren Kontrast
von Lampen- und Fackellicht effektreicher machen zu müssen und da-
durch die nothwendige Phantastik der Stimmung zerstört. Wir ver-
kennen die Schönheiten namentlich des Tschautsch'schen Bildes kei-
neswegs: es ist sehr glücklich, besonders in der leichten und freien
Bewegung des Elfentanzes, komponirt und vortrefflich gemalt, aber
der Doppelschein des Lichtes beeinträchtigt die Einheit des poetischen
Eindrucks doch in nicht geringem Grade. Das Extrem davon —
und in solchen Extremen erkennt man am besten die Fehlerhaftigkeit
des Princips — sieht man in dem Bürck'schen Bilde. Im ersten
Augenblick glaubten wir, es handele sich darin um einen nächtlichen
Fischfang, bis der aufgerichtete Kopf der ganz realistisch behandelten
weiblichen Gestalt unfern Blick auf die gespenstige Figur des in den
Wolken reitenden todten Helden lenkte. Der auf der Spitze des
Kahns angebrachte brennende Pechkorb soll dem Anschein nach eine
Art Opferfeuer darstellen, in Wahrheit dient er nur dazu, den Kon-
trast der Mondschein- und Feuerbeleuchtung zu effektuiren. Daß
aber dadurch der ganze Zauber der Scene bis zur lächerlichen Mas-
kerade herabgedrückt und zerstört wird, scheint dem Künstler nicht
cingeleuchtet zu haben. Die am Steuer sitzende Begleiterin des
stehenden, betenden Mädchens ist durch den Körper des letztem be-
schattet und nur vom Mondlicht beleuchtet: Alles ganz hübsch effek-
tuirte Kontraste, die aber die ganze Situation trivialisiren und den

gespenstigen Vorgang oben als bloße Theaterdeköration erscheinen
lassen.

Von Tschautsch, der sich überhaupt in der Darstellung mär-
chenhafter Situationen zu gefallen scheint (wir erinnern an sein
„Dornröschen" ans der Ausstellung vor zwei Jahren) und dieselben,
wie nicht zu leugnen, mit ebensoviel Geschmack wie malerischem Ge-
schick behandelt, ist noch ein anderes Bild ausgestellt: „Schneewitt-
chen". Es stellt die Trauer der guten Gnomen an dem blumen-
geschmückten Sarge Schneewittchens dar und erfreut das Auge des
Beschauers durch seine höchst gefällige Komposition und schöne stille
Färbung. Ein wenig mehr Mystik in der Tonstimmung hätte dem
Eindruck nicht schaden können; für unsere Empfindung ist zu viel
Tageshelligkeit und demzufolge Daseinsrealität darin. Auch hier
haben wir wieder, wie oben, eine Steigerung in's Schlimme zu
notiren, nämlich bei Burmeister's gleichnamigem Bilde „Schnee-
wittchens Leichenbegängniß". Was dort sich immerhin innerhalb
einer idealistisch behandelten Sphäre poetischer Wahrheit hielt, er-
scheint hier in trivialer Lebendigkeit, als ob der geschilderte Vor-
gang nicht blos dem Wunderreiche erfindender Phantasie, sondern
gleich einem beliebigen Genrestück dem realen Leben entnommen sei.
Daß dadurch der poetische Hauch des lieblichen Märchens ebenso«
zerstört wird, als wenn dem eingefangnen Schmetterling durch täp-
pisches Zugreifen der goldene Staub von den Flügeln gewischt wird:
davon scheint der Künstler keine Ahnung zu haben.

III. Historie. Historisches Genre. Miltairisches.

Wir übergehen die andern noch vorhandenen Sagen- und Mär-
chenbilder ihrer Unbedeutenheit wegen, um uns nunmehr mit den
„historischen" Bildern zu beschäftigen. Hier müssen wir nun
sogleich bemerken, daß wir die der neueren Geschichte angehöri-
gen Kriegs- und militairischen Bilder, namentlich diejenigen, welche
ihre Motive dem deutsch-französischen Kriege entnommen, überhaupt
nicht als Geschichtsbilder betrachten und daher in einer beson-
deren Abtheilung behandeln werden. Wir halten es für nöthig,
uns über den Grund für diese Ausschließung zu erklären. Es ist
bekannt, daß man — auch in Geschichtswerken — die Thatsachen
der Gegenwart und nächsten Vergangenheit, so bedeutungsvoll und
epochemachend sie sein mögen, doch nicht zur „Geschichte" zu rechnen
pflegt. Von solchen nämlich ist, weil wir ihnen zu nahe stehen und
subjektiv dabei allzusehr betheiligt sind, eine objektive Anschauung
nicht möglich; und dies bei einer geschichtlichen Darstellung im stren-
geren Sinne durchaus nothwendig. Auch in der Kunst zeigt sich
dieser Unterschied sehr merklich, und zwar besonders darin, daß die
Künstler, welche Gegenstände einer entfernt liegenden Vergangenheit
behandeln, die ideelle Bedeutung derselben in der Komposition über
die blos reale Wahrheit vorwalten lassen, während sie die der Zeit
nach näher gelegenen Scenen mehr unter dem Gesichtspunkt der
treuen Wirklichkeit aufzufaffen und wiederzugeben bemüht sind. Dies
geschieht nicht etwa blos darum, weil die Wirklichkeit hier bekannter ist
als dort, sondern weil bei der Betrachtung der in der Zeit entfernter
liegenden Thatsachen das Bedürfniß vorwaltet, die allgemeine Be-
deutsamkeit des historischen Ereignisses befreit und, wenn man will,
gereinigt von den Zufälligkeiten der bloßen Wirklichkeit, zur Er-
scheinung zu bringen. Die meisten militairischen Bilder der Aus-
stellung, sofern sie bedeutungsvolle Motive aus den letzten Kriegen
behandeln, denen man ja an sich einen hohen geschichtlichen Werth
ebensowenig wird absprechen können, wie den hervorragenden Per-
sönlichkeiten, welche dabei mitgewirkt haben, sind doch mehr nur eine
gemalte Chronik der Gegenwart, Erinnerungsblätter an eine große
Zeit, die wir alle miterlebten; allein „Historien-Gemälde" im spe-
cifischen Sinne des Worts sind sie nicht und können daher auch
 
Annotationen