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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 19.1874

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https://doi.org/10.11588/diglit.13552#0311

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nicht zur Historienmalerei gezählt werden. Der wesentliliche Unter-
schied zwischen diesen Darstellungen und den Werken der eigentlichen
Historienmalerei besteht eben darin, daß es hei der letzteren viel
weniger auf die thatsächliche Wirklichkeit der einzelnen Details in
der dargestellten Handlung — ohnehin ist diese bei sehr frühen Er-
eignissen meist der Vergessenheit anheim gefallen, bis herab auf die
Portraits der dargestellten Personen — als vielmehr darauf an-
kommt, daß die ideelle Bedeutsamkeit des gewählten Motivs
zur deutlichen Anschauung komme. Alle diejenigen Darstellungen
mithin, in welchen zwar eine berühmte geschichtliche Person zur Dar-
stellung gebracht, aber in einer außergeschichtlichen Handlung vorge-
führt wird, gehören nicht zur eigentlichen Historienmalerei, sondern
zur historischen Genremalerei, die in ihrer Art sehr bedeutend sein
kann. Auch hinsichtlich der Auffassungsweise der einen oder andern
Gattung wird ein sehr wesentlicher Stylunterschied bemerklich: das
Historiengemälde, welches der ideellen Größe seines Motivs wegen
auch schon ein entsprechend großes Format verlangt, das bis zu ko-
lossalen Dimensionen gehen darf, erfordert eine einfache, große, mo-
numentale Behandlung, in welcher alle Details, namentlich die zu-
fälligen und dekorativen, entschieden unterzuordnen sind; das histo-
rische Genregemälde, nothwendig kleinerer Dimension, kann dagegen
grade auf solche Details ein gewisses Gewicht legen, weil sie zur
Charakteristik der genremäßigen, gleichsam anekdotenhaften Handlung
wesentlich beitragen.

Ueberblicken wir unter diesem Gesichtspunkt die Ausstellung, so
sind wir in Verlegenheit, welches von den wenigen Bildern, die ge-
schichtliche Motive behandeln, auf den Namen eines „Historienge-
mäldes" im strengern Sinne des Wort Anspruch machen können.
Die einen, wie Keller's „Nero" schildern ohne Zweifel einen be-
deutsamen geschichtlichen Vorgang, aber sie behandeln ihn in einer
Weise, der mit jener von Kanlbach eingeführten „symbolischen" Kompo-
sitionsweise viel zu große Aehnlichkeit hat, als daß man daran glauben
könnte, es sei dem Künstler ernstlich nur um eine Schilderung des
Thatsächlichen zu thun gewesen. Wir wünschten wohl zu wissen,
wie Alma-Tadema dieses Motiv auffasien würde. Die andern,
wie Burmeister's „Scene aus dem Bauernkriege" und Defreg-
ger's meisterhaftes Bild „Letztes Aufgebot der Throler", Linden-
schmits" Walter Raleigh im Tower" u. a. m., so hohe Vorzüge
sie besitzen, entbehren gleichwohl allzusehr des mit der großen Hi-
storie nothwendig verbundenen monumentalen Stylcharakters, um sie
nicht, auch des mittleren Formats wegen, zum historischen Genre zu
rechnen. — Sagen wir es nur sogleich heraus: die Ausstellung weist
— mit einer einzigen Ausnahme — kein Gemälde auf, das den
Titel eines Historiengemäldes im engeren Wortsinne verdiente. Es
scheint demnach, als ob die Zeit der Historienmalerei vorüber sei.

Mit jener Ausnahme meinten wir das umfangreiche Gemälde von
A. Baur „Otto I. an der Leiche seines Bruders Thankmar". Wir
wollen, um etwaigem Mißverstehen Dessen, was wir noch hinsichtlich
der Aufgabe der heutigen Historienmalei zu sagen haben, vorzubeu-
gen, sogleich bemerken, daß wir bei allen Vorzügen der Komposition
und allem Aufwand von Kenntniß in der gewissenhaften Wieder-
gabe der äußerlichen Details in Kostüm rc., doch ein wesentliches
Moment vermissen, was der Darstellung den prägnanten Charakter
des Historischen im höheren Sinne des Worts zu verleihen ver-
möchte: nämlich die historische Bedeutsamkeit des Motivs. Das
Wort „Geschichte" wird zwar von „Geschehen" abgeleitet; aber
schwerlich wird Jemand, der überhaupt von dem sich in der Ge-
schichte darstellenden Entwicklungsprozeß eine Vorstellung hat, be-
haupten wollen, daß Alles, was geschehen und nur weil es geschehen
ist, schon deshalb zur Geschichte gehört, d. h. historische Bedeutsam-
keit besitzt. Selbst jene bei Künstlern oft genug anzutreffende An-

sicht, als ob irgend ein Faktum, das sich an einen großen historischen
Namen anknüpft, eine beliebige Situation, worin sich ein großer,
der Geschichte angehöriger Mann befindet, dadurch allein ein Motiv
zu einem Historienbilde darbiete, ist ein Vorurtheil, welches schon
zu so vielen Mißgriffen geführt und welchem so viele Bilder das
Dasein verdanken, die wenig mehr als anekdotenhaften, im günstigsten
Falle genremäßigen Werth haben. Dies wäre, nun zwar nicht zu
tadeln, denn warum sollen nicht auch Anekdoten von großen Män-
nern dargestellt werden, z. B. „Friedrich II., welcher das bekannte
Plakat niedriger zu hängen befiehlt" und Aehnliches? Aber der
Fehler bei solchen Bildern liegt gewöhnlich darin, daß sie in Di-
mension und Behandlungsweise in einer Form auftreten, welche nur
dem wirklichen Historienbilde zukomnien, hier dagegen als ungerecht-
fertigte Prätension erscheinen.

Was das Baur'sche Gemälde betrifft, so kann man nur zwar
nicht behaupten, daß es in diesem Sinne ein bloßes Genremotiv in
einer den historischen Charakter prätendirenden Form behandelt:
dazu ist der Gegenstand an sich zu ernst, ja tragisch. Dankmar ist
ein älterer Bruder Otto des Großen, des Sohns von Heinrich dem
Vogelsteller; aber als Abkömmling der verstoßenen Hartburg wurde
nicht er, sondern, mit Bewilligung Heinrichs und zu Lebzeiten des-
selben, Otto, der Sohn Mathildens, zum deutschen Könige erwählt.
Dankmar empörte sich gegen seinen Bruder, wurde jedoch besiegt
und in einer Kirche, in die er geflüchtet war, von Soldaten Otto's
getödtet. Die Scene stellt nun den Moment dar, da Otto, in die
Kirche tretend, den am Altar niedergestrecktcn Bruder erblickt, und
schildert dessen Trauer um den Gefallenen. Von einem Genremotiv
kann mithin nicht die Rede sein, ganz abgesehen von dem durchaus
würdigen und, obschon von jedem sentimentalen Beigeschmack freien,
doch tragisch-anmuthenden Stylcharakter, in welchem sowohl Kompo-
sition wie Kolorit gehalten ist. Daß man sich gleichwohl für die dar-
gestellte Situation nicht recht erwärmen kann, kommt lediglich daher,
daß — um es ganz trivial auszudrücken — uns die Geschichte
Otto's, geschweige Dankmars, nicht nur zu fern liegt, sondern
gerade dies Faktum der Empörung Dankmars gegen seinen Bruder,
außer den Geschichtsforschern von Fach im Ganzen doch zu unbe-
kannt sein möchte, um daran ein besonderes Interesse bei dem
Beschauer voraussetzenzu dürfen. Es bleibt also nur noch die Mög-
lichkeit, daß eben diese Empörung und ihre Besiegung von besonderer
Wichtigkeit für den Gang der Geschichte gewesen. Aber selbst wenn
dies der Fall wäre (was es nicht ist), so wird in dem Bilde ge-
rade hierauf kein Accent gelegt, sondern offenbar nur auf den Um-
stand, daß es Otto's Bruder war, der als Empörer getödtet wurde.
Hierdurch aber erhält die Situation, als tragische, dennoch einen
fast genremäßigen Charakter, welcher der Wirkung des Gemäldes
als historischen entschieden Abbruch thut. Kurz, man kommt zu
keiner rechten Einheit der Empfindung über den Vorgang: wäre
das Bild in mittlerer Größe und, unter Vermeidung alles histori-
schen Pathos, das in der gewählten Form etwas Theatralisches er-
hält, entschieden als historisches Genrebild behandelt, so würde seine
Wirkung ohne Zweifel eine viel bedeutendere sein.

Wenn wir also, unter bereitwilliger Anerkennung der mannig-
fachen Schönheiten des Gemäldes und namentlich der bei aller
Realistik der Darstellung doch durchaus würdig gehaltenen Kompo-
sitionsweise sowie des ernstgestimmten, harmonisch wirkenden Kolo-
rits, doch den Einwurf gegen das Baur'sche Werk nicht zurückhalten
dürfen, daß es im Motiv vergriffen ist und daß der Künstler bei
der Wahl eines andern, bedeutsameren und vor Allem dem Be-
schauer näher liegenden Borwurfs mit seinen Darstellungsmitteln
einen ungleich bedeutenderen Erfolg erzielt haben würde, so können
wir andrerseits nicht umhin, Protest einzulegen gegen jene sich in
 
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