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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 19.1874

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https://doi.org/10.11588/diglit.13552#0312

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der Presse mehr und mehr breitmachende wohlfeile Genialität, wo-
mit — gleichsam unter mitleidigem Achselzucken — auf die Bestrebun-
gen besonders der älteren Düsseldorfer nach historischer Jnhaltigkeit
der Motive hingedeutet wird, um dafür die absolute Indifferenz des
künstlerischen Inhalts als das Evangelium der heutigen Kunst zu
predigen und den ganzen Schwerpunkt des künstlerischen Schaffens in
das virtuose Machwerk der Darstellung zu verlegen. Solches Fort-
und Hinaussein über das Historische als geschichtlich-Bedeutsames
thut so, als ob es sich heutzutage, wo man auch in der Kunst die
Kinderschuhe ausgetreten, gar nicht mehr um irgend einen in Ge-
danken zu fassenden Inhalt, sondern lediglich um das die Augen blen-
dende „Wie" der Darstellung d. h. um die handwerkliche Routine han-
dele, und ahnt nicht, daß es sich nicht nur selber hinsichtlich seines
kritischen Standpunkts und feiner wissenschaftlichen Bildung ein trau-
riges Armuthzeugniß ausstellt — das wäre, wenn es als solches
auch nur erkannt würde, nicht gerade zu bedauern —, sondern leistet
leider auch der mehr und mehr einreißenden Gedankenfaulheit und
Jdeenarmuth unter den Künstlern in höchst beklagenswerther Weise
Vorschub. Man denkt dabei vergleichungsweise unwillkürlich an jene
jugendlichen Studenten, die mit langen Haaren und noch längerer
Pfeife die Straßen gewisser Universitätsstädte unsicher machen und,
in der bequemen Ansicht, daß, da Genialität bekanntlich mit einer
großen Ungebundenheit des Geistes, ja auch wohl mit einer gewis-
sen Portion Liederlichkeit verbunden zu sein pflege, es sich für sie nur
darum handele, möglichst ungebunden und liederlich sich zu geriren, um
möglichst genial zu erscheinen. — Auch in der Kunst nimmt, unter-
stützt von den gleißnerifchen Lobhudeleien solcher Kritiker, die aus
dem Mangel eigner, auf den ewigen Gesetzen der Kunstschönheit
ruhender ästhetischer Ueberzeugung eine Tugend machen, diese ge-
niale Zerfahrenheit und virtuose Ungebundenheit mehr und mehr
überhand; von innerer Nothwendigkeit und poetischer Jnhaltlichkeit,
von einfacher Wahrheit und ästhetischer Gesetzmäßigkeit ist nur noch
als von einem überwundenen Standpunkt, der als altväterisch und
pedantisch in die Rumpelkammer der Kunstgeschichte gehöre, die Rede.
Selbstverständlich bleibt aber dabei für diese Heroen der Genialität
noch immer das Schiller'sche Wort zu Recht bestehen, daß „der
Menschheit Würde in ihre Hand gegeben" sei, eine Phrase — denn
dazu ist sie heutzutage leider geworden —, worin sich die Hohlheit
und glänzende Flachheit dieses ganzen eitlen Treibens mit koketter
Selbstüberschätzung bespiegelt.

Man spricht immer — besonders auf den Künstlerkongressen
und auch in den Kammern, wenn das Budget des Kultusministers
debattirt wird — von dem „tülturgeschlichen Beruf der Kunst",
von ihrem „hohen sittlichen Einfluß auf die Nation" u. s. f., und
stellt sie in dieser Beziehung neben, wenn nicht gar über die Wis-
senschaft. Aber worin, fragen wir, drückt sich denn dieser Einfluß
aus? Etwa in dem hübschen Aeußern, dem glänzenden Kolorit und
der eleganten Form, oder nicht vielmehr darin, daß unter dieser
schönen Hülle ein poetischer Inhalt, eine das Herz ergreifende und
den Geist erhebende Idee sich offenbare, die dann allerdings —
eben weil sie in schöner, d. h. auf die ästhetische Anschauung wirken-
der Gestalt uns entgegentritt — mit größerer Kraft unsere Seele
packt, als wäre sie blos in die verständige Form eines abstrakten
Gedankens gebracht. Wie aber, wenn solcher Inhalt, der allein die
Rechtfertigung für die äußere Schönheitsgestaltung enthält, fehlt —
was bleibt dann noch in dem Werke übrig als ein gleißender, auf
den bloßen Sinnenreiz berechneter Schein? — das Schöne ist Schein,
allerdings, aber nur in dem Sinne, daß die Idee in ihm zur Er-
scheinung kommt. Fehlt dieses ideelle Element, dann ist es auch
mit der Schönheit nicht weit her, am allerwenigsten darf sich solche
ideenlose Schönheit anmaaßcn, einen Einfluß auf die kulturgeschicht-

liche Fortbildung der Menschheit zu beanspruchen. Nur dann, wenn
die Künstler von dieser Wahrheit überzeugt sind, nur dann, wenn
sie ihr Können, ihr Machtalent als bescheidene Dienerin der Idee
betrachten und im Wirksamkeit setzen, nur dann allein haben sie das
Recht, das stolze Schiller'sche Wort auch für sich gelten zu lassen.

Kehren wir jedoch von dieser Abschweifung zur Ausstellung zu-
rück, die, wie wir schon in der Einleitung bemerkten, an virtuosem
Machtalent sehr viel, an Ideen dagegen sehr wenig leistet, so wol-
len wir sogleich erwähnen, daß von Baur noch ein zweites Bild
ausgestellt ist, das unter dem Titel: „Märtyrerin" einen Theil
eines Cyklus bildet. Der letztere Umstand ist insofern für die
Beurtheilung wesentlich, als die Situation dadurch weniger umno-
tivirt erscheint, als sie es ohne denselben wäre. In einem Kerker,
der von einer Löwengrube nur durch einige Eisenstäbe getrennt ist,
durch welche die wilden Bestien auf das für sie bestimmte Opfer
Hinstarren, steht ein junges Mädchen im Begriff, den von der Decke
an einem Seil herabgelassenen Korb mit Speisen in Empfang zu
nehmen. Die Gewißheit des ihr bevorstehenden furchtbaren Ge-
schickes hat endlich, wie es scheint, durch lange Kerkerhaft eine Ver-
trautheit mit diesem Gedanken und dadurch eine Apathie bewirkt, welche
sich in ihrer ganzen Haltung, besonders aber in dem bis zur Gleich-
gültigkeit abgestumpften Ansdruck von Gemüthsruhe in den Zügen
ausprägt. Selbst jener etwas sentimentale Abglanz überirdischer
Glückseligkeit, jener Zug von fanatischer Schwärmerei, der in den
Märtyrerscenen älterer Maler sich bei aller Qual des Leibes in
dem zum Himmel emporlächelnden Antlitz der Gepeinigten obliga-
torisch ist, fehlt hier gänzlich; ja es will uns fast — wenn es
nicht Zufall ist — bedünken, als ob darin, daß das emporgewendete
Gesicht der Märtyrerin und ihre erhobenen Hände, statt zum Him-
mel — nach einem von der Decke herabschwebenden Brotkorb ge-
richtet sind, ein stillschweigender Protest realistischer Auffassung ge-
gen abstrakte Jdealistik enthalten sei. Wie dem auch sein mag:
diese der Wirklichkeit sicherlich näher liegende Auffassung hat, gerade
ihrer fast prosaischen Kraft wegen, eine überzeugendere Wirkung, als
es die verhimmelndste Behandlung des Motivs sein könnte. Nur
die Bestien, deren Köpfe uns übrigens etwas kolossal erscheinen,
hätten für unser Gefühl nicht so sehr in den Vordergrund gedrängt
werden soll; uns dünkt, die Wirkung der Situation wäre ergreifen-
der gewesen, wenn man ihre drohende Nähe mehr hätte ahnen als
mit dieser Unmittelbarkeit schauen dürfen. — Was die technische Be-
handlung betrifft, so zeichnet sie sich, wie das obenerwähnte Bild,
durch ein tiefgestimmtes Kolorit und schlichten Vortrag aus.

Wenden wir uns jetzt zu den übrigen der älteren Zeit entnom-
menen Motiven. Was Keller's „Nero" betrifft, so ist über den-
selben schon zweimal in unserm Journal berichtet worden, nämlich
einmal bei Gelegenheit seiner Ausstellung in Wien, das zweite Mal
in einer Korrespondenz über die Ausstellung im Kölner Kunstverein.
Wir können uns daher kurz fassen. Bekanntlich ist der „Nero"
schon öfter zum Vorwurf genommen, von Kaulbach in seinem
Carton „Christenverfolgung unter Nero" und von Piloty. Jedes
der drei Bilder hat seine Eigenthümlichkeit; die des Keller'schen be-
steht, abgesehen von seinem technischen Charakter, in dem Aus- und
Eindruck einer gewissen, aus Uebersättigung stammenden Apathie:
aber das ist ein gefährliches Moment, denn es grenzt nahe an
Langeweile, namentlich wenn, wie hier — vermuthlich um doch eini-
gen Ersatz für die geistige Indolenz zu gewähren — der Haupt-
accent der Wirkung auf die Nebensachen, ein paar hüsche nackte
Körper, Früchte, Blumen, einen großen Hund und dergleichen, so-
wie auf ein tiefgestimmtes, wenn auch etwas schweres Kolorit ge-
legt wird. Nero, die ideelle Hauptperson, spielt, auch kompositio-
nell betrachtet, eine so untergeordnete Rolle, daß er zuerst gar nicht
 
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