Herma?in Urban.
H. URBAN—MÜNCHEN.
Gemälde »Campagna«
Studien, die Ausbuchtung eines vulkanischen
Ufers, worin sich Meer, Himmel und Fels-
wände über- und durcheinanderspiegeln, er-
klären sich nur durch eine ganz genaue
Kenntnis der Mineralogie dieser Gegend.
Die Kunst Urbans aber besteht gerade darin,
aus diesen wissenschaftlich genauen Linien
und Farben eine Vision von so mächtiger
und tiefästhetischer Empfindung erstehen zu
lassen, so überschimmert von dem geheimnis-
vollen Reiz, den die Poesie überall und unter
jeden Bedingungen der Luft- oder Erd-
formation auszuüben vermag, dass sie in
unserer Bewunderung den Platz einnehmen
zunächst dem herrlichsten Poussin und dem
gewaltigsten Böcklin, die wir je erblickten.
Doch möchten wir aus dem vorhergehen-
den nicht schliessen lassen, dass die Kunst
Urbans nur aus Exzentrizität bestehe, und
auf jenen Stellen unseres Planeten geerntet
habe, welche durch Naturereignisse erschüttert
wurden, d. h. in jenen öden Felsgegenden
unter der heissen Sonne, welche an krank-
hafte Stellen der Haut oder an Narben in
einem Antlitz gemahnen. Die Kunst des
jungen Meisters versteht auch vorzüglich sich
ruhigen Motiven anzupassen und er umgibt
mit seinen melancholischen Stimmungen
ebensowohl mächtige wuchernde Vegetation
wie tote vulkanische Erde. Er verstand
das Italien Virgils wieder aufzuerwecken,
und sieht es an auf seine eigene Art, ebenso
wie er ein Italien entdeckt hat, das bis jetzt
vernachlässigt wurde als zu unglaublich für
unsere Augen, welche drei Jahrhunderte auf
klassische Malerei geblickt hatten, d. h. auf
jene Malerei, wo der Norden stets den Süden
abschwächte oder umgekehrt. Herr Staehli
in Bukarest besitzt einen italienischen Vor-
frühling des Künstlers, worin die Grazie
der Komposition mit der Zartheit des leich-
ten ersten Grünes verbunden einen der
edelsten Akkorde der lateinischen Tradition
des Wohlklangs bilden. Als Gegensatz dazu
besitzt das Museum in Budapest eine Schnee-
landschaft, welche eine der packendsten und
wahrsten Wiedergaben des italienischen Win-
ters ist, viel trostloser noch, als der unsrige
477
H. URBAN—MÜNCHEN.
Gemälde »Campagna«
Studien, die Ausbuchtung eines vulkanischen
Ufers, worin sich Meer, Himmel und Fels-
wände über- und durcheinanderspiegeln, er-
klären sich nur durch eine ganz genaue
Kenntnis der Mineralogie dieser Gegend.
Die Kunst Urbans aber besteht gerade darin,
aus diesen wissenschaftlich genauen Linien
und Farben eine Vision von so mächtiger
und tiefästhetischer Empfindung erstehen zu
lassen, so überschimmert von dem geheimnis-
vollen Reiz, den die Poesie überall und unter
jeden Bedingungen der Luft- oder Erd-
formation auszuüben vermag, dass sie in
unserer Bewunderung den Platz einnehmen
zunächst dem herrlichsten Poussin und dem
gewaltigsten Böcklin, die wir je erblickten.
Doch möchten wir aus dem vorhergehen-
den nicht schliessen lassen, dass die Kunst
Urbans nur aus Exzentrizität bestehe, und
auf jenen Stellen unseres Planeten geerntet
habe, welche durch Naturereignisse erschüttert
wurden, d. h. in jenen öden Felsgegenden
unter der heissen Sonne, welche an krank-
hafte Stellen der Haut oder an Narben in
einem Antlitz gemahnen. Die Kunst des
jungen Meisters versteht auch vorzüglich sich
ruhigen Motiven anzupassen und er umgibt
mit seinen melancholischen Stimmungen
ebensowohl mächtige wuchernde Vegetation
wie tote vulkanische Erde. Er verstand
das Italien Virgils wieder aufzuerwecken,
und sieht es an auf seine eigene Art, ebenso
wie er ein Italien entdeckt hat, das bis jetzt
vernachlässigt wurde als zu unglaublich für
unsere Augen, welche drei Jahrhunderte auf
klassische Malerei geblickt hatten, d. h. auf
jene Malerei, wo der Norden stets den Süden
abschwächte oder umgekehrt. Herr Staehli
in Bukarest besitzt einen italienischen Vor-
frühling des Künstlers, worin die Grazie
der Komposition mit der Zartheit des leich-
ten ersten Grünes verbunden einen der
edelsten Akkorde der lateinischen Tradition
des Wohlklangs bilden. Als Gegensatz dazu
besitzt das Museum in Budapest eine Schnee-
landschaft, welche eine der packendsten und
wahrsten Wiedergaben des italienischen Win-
ters ist, viel trostloser noch, als der unsrige
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