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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 18.1906

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Michel, Wilhelm: Kollektiv- und Massen-Ausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.8554#0313

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Wilhelm Michel—München:

Mathilde stegmayer—darmstadt. Kissen und Deckchen mit farbiger Stickerei.

immer aus, so steht es doch fast überall zwischen
den Zeilen zu lesen.

Demgegenüber erfreut sich die Kollektiv-Aus-
stellung einer immerfort steigenden Wertschärjung.
Man findet in ihr alle jene Intimität, die zum wirklichen
Kunstgenüsse einlädt und die man bei der Massen-
ausstellung vergebens sucht. Man rühmt an ihr,
dag sie die Totalität der Persönlichkeit, an welcher
die Kunstbetrachtung unserer Tage fast mehr als
an den einzelnen Werken interessiert ist, vollkommen
zur Geltung bringe. Hier liegen die einzelnen
Schöpfungen nicht mit einander im Streit, sondern
sie unterstützen sich gegenseitig und serjen einander
erst in das rechte Licht. Sie stellen nur verschiedene
Spiegelungen desselben Geistes dar und haben darin
etwas Gemeinsames, das auf den Geist des Beschauers
wohltuend einwirkt.

In dieser Weise etwa hat die graue Theorie
sich über die Präliminarien einer zukünftigen Aus-
stellungsreform geeinigt. Und erfreulicherweise ist
es nicht bei der Theorie geblieben. Unter ihrem
Drucke hat auch die Praxis der Kollektiv-Ausstellung
mehr und mehr Raum gewährt. Fast alle Kunst-
salons haben sie angenommen. In München wird
sie vom Kunstverein zielbewußt begünstigt, und auch
die Sezession ist in diesem Winter zum ersten Male
mit drei großen Kollektionen hervorgetreten, die

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neben dem ideellen Preßeifolg auch großen Anklang
beim Publikum gefunden haben.

Alle diese Anzeichen deuten jedenfalls darauf
hin, daß in der Kollektiv-Ausstellung ein guter
moderner Gedanke steckt, der noch weiterhin seinen
Weg machen wird. Die Massenausstellungen aber
bestehen nebenher noch weiter, scheel angesehen
und von keinem geliebt, und es erhebt sich die
Frage, ob es wünschenswert sei, sie als über-
lebte Ausstellungsform ganz zum alten Eisen zu
werfen. — Ich möchte diese Frage mit aller Ent-
schiedenheit verneinen. So gerechtfertigt es ist, die
Auswüchse der sommerlichen Kunst-Heerschau zu
bekämpfen, so verfehlt erscheint es mir, mit diesen
Auswüchsen auch das Prinzip anzugreifen. Denn
dieses Prinzip hat neben dem der Kollektion eine
unbezweifelbare Berechtigung. Man macht nämlich
bei der Frage der Ausstellungsreform den einen
Fehler, daß man die Kunst zu ausschließlich als
Angelegenheit des einzelnen Produzenten betrachtet.
Weil die großen Kunstmärkte der Einzelpersönlich-
keit ungünstig sind, verwirft man sie. Und weil die
Kollektion dieselbe klar hervortreten läßt, hebt man
sie in den Himmel. Das entspricht dem individualisti-
schen Grundzuge der Zeit, die ja bei allen geistigen
Dingen, bei der Kunst, der Philosophie, der Kritik,
die Radizierung auf das Individuum vorgenommen
 
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