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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 20.1907

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Scheffers, Otto: Schreiben und Zeichnen
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https://doi.org/10.11588/diglit.9555#0323

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Schreiben und Zeichnen.

J. KRUG— DARM STADT.

Lusthaus im Rötlie-Krug-Garten.

SCHREIBEN UND ZEICHNEN.

Schreiben und Zeichnen bilden in unsern
Schulprogrammen mit Turnen und Singen
zusammen die Rubrik »technische Unter-
richtsfächer« , d. h. man hält dafür, daß beim
Schreiben wie beim Zeichnen die geistige
Anstrengung nur eine kleine, der »Muskel-
sinn« dagegen eine große Rolle spiele. Dieses
Vorurteil hat dem Zeichenunterricht und dem
Ansehen der Zeichenkunst großen Schaden
zugefügt; unsere künstlerische Kultur befände
sich auf einem andern Punkte der Ent-
wickelung, wenn in weiteren Kreisen etwas
mehr Klarheit über die wirklichen Beziehungen
zwischen den beiden genannten Tätigkeiten
herrschte. Es verlohnt sich daher, obwohl
es schon oft geschehen sein mag, Schreiben
und Zeichnen noch einmal mit einander zu
vergleichen.

Bereits der Umstand, daß die Form der
Buchstaben gar keine Bedeutung für den In-
halt des Geschriebenen hat, während beim
Zeichnen doch jeder Strich ein Ausdruck für
sich ist und in jedem besonderen Falle nur

so und nicht im geringsten anders gestaltet
sein darf, ist Grund genug, den Vergleich
zwischen Schreiben und Zeichnen in dem
landläufigen Sinne von der Hand zu weisen.
Dazu kommt, daß der Schreiber es nur mit
einer begrenzten Zahl von stereotyp gewordenen
Symbolen zu tun hat, die man bereits sieben-
jährigen Kindern in kurzer Zeit anlernen
kann, während der Zeichner bei jedem neuen
Werke vor neuen Formen steht, die er geistig
erst erobern muß.

Einen Sinn bekommt der Vergleich erst,
wenn man die Schrift als ein Mittel, durch sicht-
bare Zeichen zusammenhängende Gedanken aus-
zudrücken, auffaßt, wenn man unter Schreiben
die Kunst versteht, Aufsätze, Abhandlungen,
Erzählungen, Schilderungen usw. anzufertigen.
In diesem Falle ist der Vergleich allerdings
vollkommen, ja, vollkommener als die meisten
Leute glauben. Die Schrift, das Wort also
aufgefaßt als der Inbegriff aller schönen und
wissenschaftlichen Literatur, und die Zeichnung,
auch dieses Wort im weitesten Sinne gebraucht,

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