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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 20.1907

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Scheffers, Otto: Schreiben und Zeichnen
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https://doi.org/10.11588/diglit.9555#0325

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Schreiben und Zeichnen.

d. h. bezogen auf alle bildlichen Darstellungen,
ähneln sich nicht nur im Zweck, sondern auch
aus dem Grunde, weil der Schriftsteller —
um mich der Deutlichkeit halber dieses nicht
gerade schönen Wortes zu bedienen —
und der Zeichner beim Arbeiten gleiche
Methoden befolgen, und weil beiden während
der Arbeit dieselbe Art von charakteristischen
Fehlern unterläuft.

Der Zweck des Schreibens und des
Zeichnens ist, wie gesagt, Gedanken durch
graphische Mittel zum Ausdruck zu bringen;
denn auch räumliche Vorstellungen sind Ge-
danken. Hier wie dort können die Gedanken
auf ein künstlerisches, wissenschaftliches oder
praktisches Ziel gerichtet sein und alles um-
fassen, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft,
sich auf nahe und fern liegende Dinge erstrecken,
auf solche mit realem Hintergrunde, wie auf

Phantasiegebilde, sich an der Oberfläche halten
oder die tiefsten Probleme der Weltweisheit
berühren. Wie wir ohne die Schrift nicht
imstande wären, einmal gefaßte Gedanken der
Nachwelt zu überliefern, so hätten wir ohne
die Bauten, Skulpturen, Gemälde und Zeich-
nungen der Vergangenheit keine Vorstellung
von dem künstlerischen Empfinden ausge-
storbener Völker, und auf die großen Triumphe
der Technik und mancher Wissenschaft könnten
wir noch lange warten, wenn der Zeichner
nicht die verzwicktesten räumlichen Gebilde
mit mathematischer Genauigkeit festlegen
könnte. Wie die Notwendigkeit, sich schrift-
lich ausdrücken zu müssen, den einzelnen
zwingt, seine Gedanken noch klarer zu ge-
stalten, als sie ihm schon vorschweben, so
übt auch die zeichnerische Betätigung einen
wohltuenden Rückschlag auf die Denktätigkeit

1907. XII. 3.
 
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