Über künstlerische Vision.
PROF, ernst Riegel. Silberner Kokosnuss-Pokal.
den Sinnen unmittelbar aufdrängen, wo eine
Vision dem Ganzen zu Grunde liegt. Wer
geneigt ist, dem ersten Eindruck zu miß-
trauen, der kann hinterher eine Probe machen,
um seine Wahrnehmung zu kontrollieren. Er
schließe die Augen und stelle das Bild sich
im Geiste vor. Taucht es blitzartig vor ihm
auf, so ist die Vision vorhanden. Muß er
sein Gehirn anstrengen, um die auseinander-
strebenden Teile erst zusammenzufügen, so
fehlt die ursprüngliche Vision. Der psychische
Vorgang im Künstler und der im Beschauer
gehen einander parallel. Das schöpferische
Erlebnis des Einen reproduziert sich im emp-
fangenden und nachschaffenden Erlebnis des
Anderen. Es ist nicht anders, als sei vom
Seelenzustand des Künstlers etwas als geheim-
nisvolle Kraft in sein Werk übergegangen: und
zwar gerade der Zustand seiner ersten Er-
regung, weil dieser der schöpferischste und
nachhaltigste ist.
Mit Klimts »Jurisprudenz« ergeht es mir so,
daß ich bei geschlossenen Augen die größte
Mühe habe, mir das Ganze zu rekonstruieren.
Vor allem wollen Oben und Unten durchaus
nicht zusammen gehen und jede Farbe ruft
mich gleichsam einzeln an. Hingegen kann
ich die Liebermannschen »Netzeflickerinnen«
mir in jedem beliebigen Augenblick vor das
geistige Gesicht zitieren. Sie kommen immer,
nicht mit jedem Detail, aber doch als große,
bestimmte und einheitliche Anschauung. —
Prof. e. riegel—darmstadt. Silberner Pokal.
Ehrenpreis für den Schiessverein Darmstadt.
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PROF, ernst Riegel. Silberner Kokosnuss-Pokal.
den Sinnen unmittelbar aufdrängen, wo eine
Vision dem Ganzen zu Grunde liegt. Wer
geneigt ist, dem ersten Eindruck zu miß-
trauen, der kann hinterher eine Probe machen,
um seine Wahrnehmung zu kontrollieren. Er
schließe die Augen und stelle das Bild sich
im Geiste vor. Taucht es blitzartig vor ihm
auf, so ist die Vision vorhanden. Muß er
sein Gehirn anstrengen, um die auseinander-
strebenden Teile erst zusammenzufügen, so
fehlt die ursprüngliche Vision. Der psychische
Vorgang im Künstler und der im Beschauer
gehen einander parallel. Das schöpferische
Erlebnis des Einen reproduziert sich im emp-
fangenden und nachschaffenden Erlebnis des
Anderen. Es ist nicht anders, als sei vom
Seelenzustand des Künstlers etwas als geheim-
nisvolle Kraft in sein Werk übergegangen: und
zwar gerade der Zustand seiner ersten Er-
regung, weil dieser der schöpferischste und
nachhaltigste ist.
Mit Klimts »Jurisprudenz« ergeht es mir so,
daß ich bei geschlossenen Augen die größte
Mühe habe, mir das Ganze zu rekonstruieren.
Vor allem wollen Oben und Unten durchaus
nicht zusammen gehen und jede Farbe ruft
mich gleichsam einzeln an. Hingegen kann
ich die Liebermannschen »Netzeflickerinnen«
mir in jedem beliebigen Augenblick vor das
geistige Gesicht zitieren. Sie kommen immer,
nicht mit jedem Detail, aber doch als große,
bestimmte und einheitliche Anschauung. —
Prof. e. riegel—darmstadt. Silberner Pokal.
Ehrenpreis für den Schiessverein Darmstadt.
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