Etwas über das Grübe///.
MALER ADOLF BEYER—DARMSTADT.
»Rote Anemonen«
zu Grunde. So tiefsinnig der Gedanke ist, so
verfehlt erscheint er mir schon aus dem Grunde,
weil vor der Staffelei das Auge des Beschauers
sich in der Höhe des Bildes befindet, in der Halle
aber viel tiefer. Dieselbe Art von Grübelei,
welche hier den Meister leitete, könnte einen
andern dazu verführen, einen Bismarckturm ein-
fach durch Drehen der Bismarcksilhouette von
Helmspitze bis zum Fuße um eine senkrechte
Achse zu erzeugen.
Unangebrachte Grübelei ist es auch, wenn
ein Künstler sich sagt, eine Figur, die einen
Balkon trägt, muß den Eindruck machen, als laste
das Gestein in ganzer Schwere auf ihren Schultern.
Viele solcher Figuren, die sich mit fürchterlichen
Gliederverrenkungen und Muskelanschwellungen
Segen die Steinmassen stemmen, verunstalten
unsere Architekturen. Der feinfühlige Grieche
•egte unbedenklich die größten Lasten auf die
Köpfe zarter Jungfrauen und erregte dadurch die
angenehme Illusion, als ob der Stein ein leichtes
Gebilde sei, unter das man sich ohne Gefahr
egeben könne. Unsere Bildhauer verstärken mit
a"en künstlerischen Mitteln nur die unangenehme
mpfindung von der dräuenden Schwere des
Gesteines.
Ich glaube die meisten Theorien über den
beabsichtigten Ausdruck des Tragens, des Bindens
und einiger anderen Funktionen von antiken Bau-
gliedern beruhen auf falschen Grübeleien. Wenn
der Grieche einen runden Wulst unter eine eckige
Deckplatte setzte, so tat er es wohl einfach in
dem Gefühle, daß Abwechslung nicht schaden
könne, wenn er auf den Gesimsen Blattreihen
anbrachte, so geschah es gewiß nur in dem
Bestreben, eine Richtung anzudeuten, d.h. eine
Bewegung vorzutäuschen, wo in Wirklichkeit gar
kein Leben ist, wenn er die Wülste unter andern
auch mit flechtartigen Ornamenten schmückte,
so braucht dabei die Absicht des Bindens gar
nicht vorgelegen zu haben, sind doch die Bänder
ganz locker geflochten, und was in aller Welt
hätte wohl ein um einen Pfosten gewundenes
Band zu halten?
Das Grübeln ist gewiß eine schöne Sache,
hat aber einer keine Anlage zu einem Philosophen,
so wird er gut tun, sich bei all seinen Arbeiten
schlecht und recht nur auf Tatsachen zu stüßen,
die klar vor aller Augen liegen; denn nichts
wirkt lächerlicher als der mißlungene Ausdruck
einer beabsichtigten Geistreichigkeit.
OTTO SCHEFFERS—DESSAU.
«08. I. 10
77
MALER ADOLF BEYER—DARMSTADT.
»Rote Anemonen«
zu Grunde. So tiefsinnig der Gedanke ist, so
verfehlt erscheint er mir schon aus dem Grunde,
weil vor der Staffelei das Auge des Beschauers
sich in der Höhe des Bildes befindet, in der Halle
aber viel tiefer. Dieselbe Art von Grübelei,
welche hier den Meister leitete, könnte einen
andern dazu verführen, einen Bismarckturm ein-
fach durch Drehen der Bismarcksilhouette von
Helmspitze bis zum Fuße um eine senkrechte
Achse zu erzeugen.
Unangebrachte Grübelei ist es auch, wenn
ein Künstler sich sagt, eine Figur, die einen
Balkon trägt, muß den Eindruck machen, als laste
das Gestein in ganzer Schwere auf ihren Schultern.
Viele solcher Figuren, die sich mit fürchterlichen
Gliederverrenkungen und Muskelanschwellungen
Segen die Steinmassen stemmen, verunstalten
unsere Architekturen. Der feinfühlige Grieche
•egte unbedenklich die größten Lasten auf die
Köpfe zarter Jungfrauen und erregte dadurch die
angenehme Illusion, als ob der Stein ein leichtes
Gebilde sei, unter das man sich ohne Gefahr
egeben könne. Unsere Bildhauer verstärken mit
a"en künstlerischen Mitteln nur die unangenehme
mpfindung von der dräuenden Schwere des
Gesteines.
Ich glaube die meisten Theorien über den
beabsichtigten Ausdruck des Tragens, des Bindens
und einiger anderen Funktionen von antiken Bau-
gliedern beruhen auf falschen Grübeleien. Wenn
der Grieche einen runden Wulst unter eine eckige
Deckplatte setzte, so tat er es wohl einfach in
dem Gefühle, daß Abwechslung nicht schaden
könne, wenn er auf den Gesimsen Blattreihen
anbrachte, so geschah es gewiß nur in dem
Bestreben, eine Richtung anzudeuten, d.h. eine
Bewegung vorzutäuschen, wo in Wirklichkeit gar
kein Leben ist, wenn er die Wülste unter andern
auch mit flechtartigen Ornamenten schmückte,
so braucht dabei die Absicht des Bindens gar
nicht vorgelegen zu haben, sind doch die Bänder
ganz locker geflochten, und was in aller Welt
hätte wohl ein um einen Pfosten gewundenes
Band zu halten?
Das Grübeln ist gewiß eine schöne Sache,
hat aber einer keine Anlage zu einem Philosophen,
so wird er gut tun, sich bei all seinen Arbeiten
schlecht und recht nur auf Tatsachen zu stüßen,
die klar vor aller Augen liegen; denn nichts
wirkt lächerlicher als der mißlungene Ausdruck
einer beabsichtigten Geistreichigkeit.
OTTO SCHEFFERS—DESSAU.
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