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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 21.1907

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Bredt, Ernst Wilhelm: "Die gute alte Zeit" - und wir
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https://doi.org/10.11588/diglit.6700#0157

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-»Die gute alte Zeit«. — und wir.

CAMPBELL & PULLICH.

Eingang zu den Anprobier-Räumen der Schneiderei Jockey-Club in Berlin.

Möbel, am alten Bildwerk und Gerät, das
was für die Gesamtrichtung damaliger Kunst
und Kultur das ausschlaggebende: Die
künstlerisch-manuelle Fertigkeit, die traditionelle
schöne Form, den einheitlichen Geschmack.

Das wird gesehen, aber das wichtigere,
die Voraussetzung für eben dies Gute nicht.

Weshalb nicht ?

Weil der logische Rückschluß nicht gemacht
wird. Das äußere wird gesehen, mehr also
das Kleid, die Maske, nicht aber das Leben.

Das aber zu sehen gilts — wenn wir
tatsächlichen künstlerischen Vorteil ziehen
wollen aus den Kunstwerken längst vergangener
»guter alter Zeit«.

Als Erklärung dieser Forderung eine Frage
in einem Beispiel.

Wer kennt Münchens Kleinod die Johannis-
kirche der Gebrüder Asam nicht? Eine
Rokokokirche von unsagbarem Reichtum und
Stimmungsgehalt. — Alles ist Können. Alles
reif. Was künstlerisch höchste Übung leisten
kann, könnte an dieser einen, an recht
vielen ähnlichen Kirchen und Schlössern
des 18. Jahrhunderts gezeigt werden. Die
Johanniskirche in München wurde von zwei

Brüdern geschaffen. Was wir dort an Architektur,
Malerei, Stuckarbeit, Schnitzerei, Gerät sehen,
ist fast alles von diesem Künstlerpaar. —
Natürlich alles konnten beide nicht selbst
ausführen. Das war gerade so bei anderen
Architekturschöpfungen jener reichen Zeit. —

Und doch welcher Zusammenklang, welche
Einheitlichkeit. Welche Symphonie.

Wie war das möglich ?

Unbedingt nur, weil die Künstler jener
Zeit nur ein großes gemeinschaftliches
Ideal kannten: ihre eigene Zeit.

Sie haßten das Altertümliche, wollten modern
sein, sie dachten bei ihrem künstlerischen
Schaffen an nichts anderes als einer neuen
Formenwelt immer neue Reize, überhaupt ein
Neues abzugewinnen.

Und dieser ausschließlich moderne welt-
tüchtige Sinn bewahrte sie vor jener Sentimen-
talität, die die Hände in den Schoß fallen läßt.

Nicht der Gedanke beherrschte die Welt
»Es war einmalc, sondern das Ideal der
Gegenwart. Als Leitmotiv galt ein »Es werde!«

Das bewahrte die Kunst vor tödlicher Zer-
splitterung und führte sie alle zu jener Einheit,
die wir jetzt »Kultur« oder »Tradition« nennen.

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