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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 21.1907

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Jaumann, Anton: Die Stickerin Florence Jessie Hösel
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https://doi.org/10.11588/diglit.6700#0393

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Die Stickerin Florence Jessie Hösel.

FLORENCE JESSIE HÖSEL BERLIN.

Nadelinalerei.

vielleicht gerade deshalb. Vielleicht hätte
ihrer Kunst die Schule den zartesten, köst-
lichsten Flaum der Ursprünglichkeit abgestreift,
vielleicht verträgt sich Können, Fertigkeit,
Korrektheit gar nicht mit Tiefe der Beseel-
ung und reiner Kraft des Ausdrucks. Sicher
hätte uns die Schule des seltenen Schauspiels
beraubt einer echt primitiven Künstlerschaft
(durchaus verwandt den Primitiven des Tre-
cento, der altdeutschen Kunst) in unserer
überbildeten, überkultivierten Zeit.

Florence Hösel wird auch keine Schule
machen. Sie hat keinen erlernbaren Stil. Wer
ihr nachfolgen will, muß seine eigene Person
einsetzen, muß sich redlich mühen und sich
ganz hingeben, wie sie's selbst getan hat. —

Florence Hösel ist Engländerin ihrer Ab-
stammung nach; ihre Wiege stand in Süd-
Afrika. In Deutschland wuchs sie auf und
erhielt Ausbildung im Gesang. Erst vor wenigen
Jahren entpuppte sich ihre Begabung für die
Stickerei. Seitdem arbeitet sie mit einem
bewundernswerten Fleiß und hat schon ein
recht umfangreiches »Werk« aufzuweisen.
Mehrere Museen haben bereits Arbeiten von
ihr erworben, die ja zweifellos mit ihrer Kunst
zur Zeit vollkommen allein steht.

Die Rasseästhetiker werden von diesen
Angaben in einige Verlegenheit geraten.
Tragen diese Bildstickereien nicht unver-
kennbarsten deutschen Charakter'? Sie sind
voller Phantastik, ungelenk, aber ehrlich in
der Form, und so wundervoll >beseelt«. Frau
Hösels Art weicht allerdings beträchtlich ab
von der einer Jessie-King, Mackintosh, New-
bery usw. Das rührt aber doch kaum davon
her, daß sie schlesische Motive benützt und
daß sie in Deutschland lebt. Es ist etwas
voreilig, naive, unfertige Kunstübung mit
starken seelischen Werten sogleich für uns in
Anspruch zu nehmen, wie es oft geschieht.

Wohl aber ist ihre Kunst eine weibliche
Kunst im vollsten und besten Sinne. Als
Frau griff sie zur Nadel, um ihre Phantasien
zu verwirklichen. Die Liebe zur Nadelarbeit,
zum Verkehr mit den weichen bunten Ge-
weben ist der Frau angeboren. Jeder Stich
dieser Stickereien aber enthüllt eine schier
mütterliche Liebe zu den zarten Stoffen und
Werkzeugen. Sie pflegt den Faden. Sie
führt und spannt und dreht und legt ihn so,
daß er alle Tugenden seiner Farbe, seiner
Struktur entwickeln kann. Sie weckt das
geheimnisvolle Leben, das in allem Gesponnen

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