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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 22.1908

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Schaukal, Richard: Gegen das Ornament
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https://doi.org/10.11588/diglit.7006#0025

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C O.CJtJChka.
Zeichnung
Hlr Zink-
ätzung.
Festschrift
der Ic.k. Hof-
nnd Staats-
Druckerci
Wien.

sammenhang mit dem Träger (Gebäude,
Geräte) die ästhetische Gemäßheit. Stil heißt
nichts anders als Gemäßheit. Der Stil ist
keine irgendwo endende Linie, er ist eine in
sich beschlossene »Kugel«, ein Ganzes. Stile
gedeihen alle bis zu einer nicht vorher
bestimmbaren Peripherie-Grenze. Dann bleiben
sie stehen und sterben allsogleich. Wir
nennen solche verstorbenen Stile historisch.
Man registriert sie, und der Freund des
Entwicklungsganges beschäftigt sich ehrfürchtig
mit ihrer Existenz als einem Gewesenen.

Solang ein Stil noch nicht — tot ist,
wandelt sich seine Oberfläche. Der Organismus
wirft sozusagen Häute ab, die erstarren, und
lebt von innen heraus treibend weiter. Die
— theoretisch — übereinander gelegten,
lückenlos aneinander schließenden Schichten
der immer runden Oberfläche bilden die
Tradition. Nur aus der Tradition ist die
jeweils herrschende »Fläche« zu begreifen.

Wir haben heute im Sichtbaren (unsrer
ganzen »Umgebung«) Stil neben Willkür.
Das ist das Übel. Einerseits stehen Erzeugnisse
vergangener Stilepochen da. Es sind ehr-
würdige Zeugen. Anderseits haben wir eminent
Zeitgemäßes. Metall, Glas und Stein sind
seine Faktoren. Nun aber setzt die Willkür
ein und verdirbt den immer wieder zum

Ausdruck seiner selbst strebenden Stil des
Zeitgemäßen, Wirklichen: man verdirbt das
echte Material zum Ornament oder man
fälscht das Material behufs Gewinnung des
Ornamentalen.

Sehen wir uns um: Wir finden Auf-
geklebtes (Historisches auf Zeitgemäßem) und
Nachgeahmtes (Unorganisches). Wir finden
vor allem die beiden teuflischen Brüder: das
Surrogat (unechtes Material) und die dekorative
Fälschung (echtes Material durch Willkür um
die gemäße Wirkung gebracht). Beispiele
für das Surrogat sind: die Ledertapete, das
Gipsgebälk, die papierne »Glasmalerei«; Beispiele
für die Fälschung sind das durch Holzstrich
verdorbene Holz, die zu Steinornamentik
gefälschte Kachel. (Ich danke diese Gegen-
überstellung einer anregenden Bemerkung von
Adolf Loos: »Holz kann man grün, weiß,
rot streichen, nur nicht — holzfarben«.)

Ich biege um eine Straßenecke. Ein
Gaskandelaber fällt mir ins Auge. Er ist an
der Hauswand befestigt. Ein Arm (Gußeisen),
der sich als Ranke gebärdet. Daran die
Glasglocke als Tulpe gestaltet. Unten und
oben ein Zierat aus dem historischen Formen-
buche. Das Ganze eine Scheußlichkeit. Warum
macht man das nicht einfach und schön:
eine glatte Stange, daran die glatte Glaskugel,
 
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