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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 22.1908

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Bredt, Ernst Wilhelm: Tradition oder Fortschritt?: Drei Fragen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7006#0047

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TRADITION ODER FORTSCHRITT?

DREI FRAGEN VON E. W. BREDT.

1. Was wird doch jetzt beständig von
Tradition, von Bodenständigkeit, von
heimischer Bauweise gesagt und ge-
schrieben. Richtiges oder unrichtiges? Mit
historischem Bewußtsein oder nur weils histo-
risch unterrichtet klingt?

An Beispielen seien die Fragen geprüft.
In München hört man jetzt nur vom boden-
ständigen Barock reden. — Wie kommt das
Barock zu dieser Bezeichnung? Ist es nirgend
sonst zu finden? Ist es ureigene Bauform
Oberbayerns ? —

Der gläubige Laie, der die Phrase vom
»süddeutschen Barock« so oft hört wie die
Betschwester das Vaterunser, muß meinen,
nichts sei so sehr der Heimat selbst zu eigen
wie — die Fassade der Theatinerkirche, wie
die Dächer, die wir nach Mansard Man-
sardendächer nennen. —

Aber Mansard war doch ein Franzose?
— Jawohl.

Und die Erbauer der Theatinerkirche
waren auch keine Oberbayern. Der eine
kam aus Italien — der andere hatte seine
Kunst in Frankreich gelernt.

Und was die Fremden damals als Neu
und Fremd hinstellten — nennt man jetzt
»bodenständig«.

Freilich — wir sprechen ja jetzt die
Kirsche Persiens, die Kartoffel Amerikas, die
Pfirsiche, die Aprikose als heimische Ge-
wächse bezw. Früchte an. — Also! ?

Gewiß. — Vielleicht gelingts uns auch
noch, die Banane oder die Dattelpalme
heimisch zu machen.

Aber weshalb soll dann gerade eine der
jüngst eingeführten Früchte — vor länger
heimisch gewordenen — die einschmeichelnde
Bezeichnung »heimisch« tragen?

Das ist doch nicht einzusehen.

Jedenfalls war Gotisch eher eine heimische
Konstruktionsart, eine heimische Form als
Barock — als eine Form, die die Antike des
alten Hellas zu Großeltern und Formen vom
Palaste eines italienischen Fürsten oder fran-
zösischen Königs als nächste Vorfahren hat.

Dagegen läßt sich doch nichts einwenden?

Jetzt rühmt man sogar — wenigstens in
Provinz-Blättern — Kurhäuser, die im Bauern-
stil der betreffenden Landschaft erbaut sind.

Mit Recht? — Ja, wenn das Kurhaus
genau den gleichen Bedingungen zu dienen
hätte wie das Bauernhaus. — Ich denke aber,
ein Kurhaus mit Lesezimmern, Damenzimmern,
Billards, Tanzsaal etc. etc. ist doch etwas
ganz anderes als ein Bauernhaus.

1908. VII. 5.

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