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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 22.1908

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Utitz, Emil: Zweckmässigkeit und Schönheit: Eine ästhetische Betrachtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.7006#0031

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eine andere Frage kurz gestreift: kann etwas
schön sein, das in Wirklichkeit gänzlich un-
zweckmäßig ist? Für den Betrachter jedenfalls,
solange sich die Unzweckmäßigkeit im Ein-
druck nicht ausprägt. Sobald aber der Be-
trachter sich irgendwie — etwa durch prak-
tische Benutzung — von ihr überzeugt, wird in
ihm ein ähnliches Gefühl wachgerufen, wie es
uns vor Panoptikumfiguren oder Marmortapeten
erfaßt. Hat er nun einmal diese Unzweckmäßig-
keit bemerkt, wird sich auch beim bloßen Be-
trachten nicht wieder der ästhetische Genuß ein-
stellen, weil ihm das Ganze schwindelhaft, auf
Betrug hin gearbeitet dünkt, während ein anderer,
der den Sachverhalt noch nicht kennt, ruhig
den gefälligen Eindruck genießt. Ein Arbeiten
auf derartige Täuschungen hin gehört vor das
Forum der Ethik und nicht Ästhetik. Denn
Gegenständen gegenüber, die ihre Bestimmung
nicht erfüllen, sondern lediglich Wert vor-
täuschen , können sich nur Leute wohlfühlen,
die in Äußerlichkeiten aufgehen, oder die von
Protzentum und falscher Eitelkeit geschwellt sind.
Von derartigen Geschmacksverirrungen befreien
kann nur ethische Erziehung, da Charakter-
mängel zugrunde liegen.

Wir sagten vorhin, daß der Eindruck der
Zweckmäßigkeit durch wirkliche Zweckmäßig-
keit hervorgerufen wird, aber daß es auch
viele Fälle gibt, wo dies nicht zutrifft. Sie
wollen wir jetzt kurz erörtern. Denken wir
etwa an ein Haus. Ein gewisser Schmuck, eine
gewisse Betonung des Tores erwecken den Ein-
druck des Gastlichen, Einladenden, und je nach
Eigenart bald des Freundlichen, bald des Fest-
lichen. Ein breites Dach kann anheimelnd, trau-
lich u. s. w. wirken. Ein wenig Farbe trägt
wesentlich bei zum Eindruck des Hellen, Fröh-
lichen , Gewinnenden u. s. w. Harmonie der
Verhältnisse ruft in uns bald den Eindruck des
stolz Aufragenden, bald den des breit und ge-
mächlich Ruhenden u. s. w. hervor. All dies
trägt dazu bei, uns ein Haus traut, wohnlich,
freundlich, behaglich u. s. w. erscheinen zu lassen.
Und wenn ein Haus dies alles in Wirklich-
keit leistet, ist es im hohen Grade zweck-
dienlich. Dies können wir natürlich als bloße
Betrachter gar nicht beurteilen; aber den Ein-
druck einer solchen Zweckmäßigkeit empfangen
wir, und wie wir sahen zu großem Teil durch
Mittel, welche mit wirklicher Zweckmäßigkeit
nicht das geringste zu tun haben. Wird denn
ein Haus zweckmäßiger durch ein geschmück-
tes Tor, durch ein besonders breites oder
hohes Dach, durch Farbe u. s. w. ? Sicher-
 
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