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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 22.1908

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Michel, Wilhelm: Goethe und die bildende Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7006#0076

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griff von der Antike nicht durch innere, kulturhistorisch-
relative oder auch artistische Kriterien bestimmt war,
konnte es ihm nicht gelingen Wahres und Falsches,
Gutes und Schlechtes, Starkes und Dekadentes zu unter-
scheiden. Der Apoll von Belvedere, die Juno von
Ludovisi sind ihm wohl als Ideale der griechischen Plastik
erschienen. Rafael, die Carraccis, Guido Reni, Domeni
chino bedeuten ihm den Höhepunkt der Renaissance-
Malerei. Es geht daraus hervor, daß sein Urteil nicht
nur schwankte, sondern geradezu mit Sicherheit das
Schlechte, Hohle, Lügenhafte dem entgegenstehenden
Guten vorzog. St. Peter ist ihm ein Gipfel der Bau-
kunst, von der gesamten Frührenaissance erlebt er
nichts, Mantegna vielleicht ausgenommen, dem er das
ungeheuerlich schiefe, nichtssagende Lob spendet, er
sei ins Altertum eingeweiht, er habe sich völlig darein
versenkt. Mantegna und die Antike — das geht nur,
wenn man das Wort antik gleichbedeutend mit »künst-
lerisch« braucht; sachlich hat die Analogie keinen
Sinn. Im allgemeinen, das muß einschränkend hier
hinzugefügt werden, fehlt Goethe weniger da, wo
er von Kunst überhaupt spricht, als da, wo er sich
schwierigen, problematischen Einzelerscheinungen
gegenüber befindet. Sein Kunsturteil hat die Fehler
des Schaffenden, des Aktiven, der niemals ein so an-
passungsfähiger Genießer ist als sein Gegenspiel.
Goethe aber bleibt er auch da, wo er irrt. — w. m.
 
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