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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 22.1908

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M.: I. Jahres-Versammlung des Deutschen Werkbundes
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https://doi.org/10.11588/diglit.7006#0350

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/ Jahres- Versammlung des Detitschen Werkbundes.

Verein zur Überwindung des Kunstgewerbes •,
denn dieses Wort bedeutet, daß die Gedanken,
die die kunstgewerbliche Bewegung hervor-
riefen, nun in die Tiefe und Breite weiter-
wirken und einen viel reicheren Inhalt ent-
hüllen als die mutigen dekorativen »Neutöner«
der 90 er Jahre sich träumen ließen. Klar
und im besten Sinne schwungvoll war das,
was Friedrich Naumann von der nationalen
und kulturellen Bedeutung des Bundes zu
sagen wußte. Vielleicht am stärksten wirkten
im Geiste aller Zuhörer die Ausführungen
Theodor Fischers nach. Soll ich es wagen,
ihren Sinn in einem Satze zusammen zu fassen ?
Er könnte lauten: Die Maschine hat infolge
verständnisloser Verwendung die Kultur ge-
schädigt; sie muß fortan, nachdem sich ihr
Wesen geklärt hat, als Beförderungsmittel der
Kultur verwandt werden.

Der zweite Tag galt ganz der ernsten
Arbeit. Dr. Wolf Dohm referierte über die
Erziehung des Nachwuchses im Kunstgewerbe.
Als Leitsatz hebe ich hervor: Die Erziehung
des kunstgewerblichen Nachwuchses soll Sache
des Gewerbes, nicht des Staates sein.
»Der Staat leistet die beste Erziehung, wenn
er durch Erteilung guter Aufträge an Künstler
und Gewerbetreibende die Leistung guter
Arbeit fördert.« Neben Wolf Dohm referierte
Hofrat Bruckmann — Heilbronn als In-
dustrieller und Prof. Rudolf Bosselt als
Kunstgewerbeschullehrer. Auch diese Aus-
einandersetzungen zeigten eine erfreuliche
Uebereinstimmung der drei ausschlaggebenden
Faktoren. Man war sich durchaus darüber
klar, daß es ein Idealzustand wäre, wenn die
gewerblichen Schulen ihre Türen schließen
könnten, wenn das Gewerbe allein aus sich
heraus die Erziehung des Nachwuchses so
gut zu besorgen vermöchte, wie es das Inter-
esse der Nation fordert. Solange dies aber
noch nicht der Fall, müsse die Schule ihre
ganze Stoßkraft darauf richten: die Leute zur
Praxis und zur Disziplin des gewerblichen
Lebens zu erziehen. Dabei dürfe sie freilich
niemals dem kleinen Selbstinteresse einer be-
stimmten Erwerbsgruppe, den Sonderinteressen
einer bestimmten Mode dienen. Das Ziel der
Schule reiche weit hinaus über derartige Tages-
ziele; es käme darauf an, selbständige Hand-
arbeiter und charaktervolle Menschen zu er-
ziehen. Um Kunst handle es sich immer
nur für wenige; Qualität und Geschmack, das
wäre das Ziel für die Menge. Es sei nicht
gut, das gewerbliche Schulwesen übermäßig
zu zentralisieren; vielmehr erwiese es sich als

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nützlich, wenn die Schule sich jeweilig den
örtlichen Verhältnissen anpasse. Auch die
Aufstellung eines festen, undurchbrechlichen
Lehrplans sei nur ein Hindernis; hingegen käme
alles darauf an: für diese gewerblichen Schulen
wirkliche Erzieher, Persönlichkeiten, die gründ-
liches Können mit lautester Gesinnung ver-
binden, zu gewinnen. Dohm wies besonders
darauf hin, wie nachdrücklich der Staat seine
erzieherischen Bemühungen unterstützen könnte,
wenn er selbst mit all seinen Aufträgen stets
auf höchste Qualität dränge. Die amtliche
Stelle für das Erziehungswesen müßte mit der
für das Submissionswesen sich geistig iden-
tifizieren. —

Den drei Referaten folgte eine überaus
lebhafte Diskussion, an der sich u. a. Geheim-
rat Dr. von Blaul, Oberregierungsrat von
Dönhoff, Geheimrat Muthesius und Stadtschul-
rat Dr. Kerschensteiner, sowie mehrere Ge-
werbetreibende und Künstler beteiligten. Auch
in den Ausführungen dieser Redner war das
eigentliche Leitmotiv: die Ausbildung des
ganzen Menschen als letztes Ziel der Schule.
Aus der Praxis wußten die Herren der
Regierung einige sehr instruktive Beispiele für
die mannigfachen Schwierigkeiten, die sich
der Durchführung der gewerblichen Schul-
reform entgegenstellen, zu berichten. Doch
überwog bei ihnen und bei allen Teilnehmern
der wiederum sehr gut besuchten Versammlung
die Gewißheit, daß es der gemeinsamen Arbeit
bei freier Entfaltung aller Kräfte gelingen
wird, das Bundesziel auch auf dem Gebiete
des gewerblichen Unterrichtes zu erreichen.
Es wurden dann noch die verschiedenen Punkte
des für das kommende Jahr geplanten Arbeits-
programmes besprochen, unter anderem auch
das Ausstellungswesen, wozu Herr Regie-
rungsrat Albert wertvolle Anregungen gab.

Es folgte die Annahme der Satzungen
und die Wahl des Vorstandes, bestehend aus
den Herren Theodor Fischer, Hermann Mu-
thesius, J. Scharvogel, Gustav Klimt, Gericke
und Bruckmann—Heilbronn. Im Ausschuß
sitzen die Herren Behrens, Kautzsch, Kling-
spor, Pankok, Bruno Paul, Pantenius, Wilhelm,
Jessen, Schmidt, Kreis, Schäfer, Kerschen-
steiner und Grieb. —

Hoffentlich sieht man aus den guten
Worten und der fleißigen Geistesarbeit dieser
Tage bald greifbare Erfolge sprießen.

Jedenfalls ist zu erwarten, daß von nun
an der Werkbund eine maßgebende Rolle in
der Weiterentwicklung des deutschen Wirt-
schaftslebens spielen wird. — m.
 
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