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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 22.1908

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Schulze, Otto: Hessische Landes-Ausstellung für freie und angewandte Kunst, Darmstadt 1908
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https://doi.org/10.11588/diglit.7006#0367

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Hessische Landes-Ausstellung Darmstadt igo8.

HESSISCHE LANDES-AUSSTELLUNG FÜR FREIE
UND ANGEWANDTE KUNST • DARMSTADT 1908.

RAUMKUNST.

Noch immer ist Darm Stadt einer der
heilkräftigsten und Schönheit-wirkenden
Jungbrunnen des Deutschen Reiches für fort-
schrittlich-kulturelle angewandte Kunst. Noch
immer wenden sich Deutschlands Blicke nach
Hessens Hauptstadt mit großen Erwartungen,
wenn dort die »Mathildenhöhe« sich anschickt,
einer neuen Ausstellung Herberge zu ge-
währen. Dort auf der Höhe ist nach der
Aufteilung des alten Parkes von erster Stunde
ab der feste Wille eines starken und großen
Charakters umgegangen, der scharfen Auges
hinausschaute über die engen Grenzen seines
Landes, das so lange des Dornröschenschlafes
gepflegt hatte. Junge Fürsten mögen aber
solche Stille nicht, nochzumal wenn sie wissen,
daß es draußen lebhafter hergeht.

Großherzog Ernst Ludwig befand
sich einst in solcher Lage; er fand Gefallen
an dem Treiben da draußen als der große
Pan sich anschickte, einen neuen Frühling
zu schwerblütigen Menschen zu entsenden.
Das erste Blühen wurde etwas ungestüm auf
der »Mathildenhöhe« gefeiert, der ersten Aus-
saat reiche Ernte mit einem gewissen Bangen
geborgen. Zogen auch im Laufe der Jahre
etliche der Säer und Mäher weiter, so hörte
darum jedoch die Arbeit da oben nicht auf.
Und so breitete sich das herrliche Gelände
und füllte sich mit Häusern und Gärten und
schmückenden Werken, einzelne die kleine
bunte russische Kapelle um ein Vielfaches über-
ragend. Mancher Name knüpft sich daran,
manche Hoffnung und manches Entsagen.
Echte Kulturarbeit vollzieht sich überhaupt
nirgends anders; die sich ihr widmen sind
Kämpfende, Leidende; nur wenige von ihnen
sind Sieger. Das alles hat die »Mathilden-
höhe « bis heute gesehen; wir alle müssen
das so oder doch ähnlich empfinden, wenn
wir den Tatsachen ins Auge schauen und
erneut in das Land hinein, das man Ger-
manien nennt, darinnen noch Dornröschen
schlafen südlich und nördlich des Mains.
Und heuer reibt man sich die Augen

auf der »Mathildenhöhe;< ob des veränderten
Bildes an Größe und Pracht und Lieblichkeit.
Nicht, daß wir nicht dankbar der früheren
Arbeit und ihrer Schöpfer gedächten, gewiß
aufrichtig dankbar sogar. Aber unsere For-
derungen und Ansprüche selbst sind darauf-
hin gewachsen; Darmstadt hat kein lokales,
sondern ein nationales Programm zu erfüllen
auf sich genommen. Und wir sehen es zum
weitaus größten Teil erfüllt, weil es keine
chinesische Mauer um sich zog, weil die, die
dort schufen, nicht in goldenen Käfigen ge-
halten, sondern in Freiheit direkt mit dem
Herrn der Mathildenhöhe verkehrten. —
Der äußeren Gestaltung des Neuen auf
der diesjährigen Ausstellung ist bereits ein-
gehend gedacht worden. Ich will an den
Kern heran, der dort so wohlgeborgen ein-
geschlossen ist, der in dem gleichen Gebäude
ruht, dessen Schöpfer sich damit in die ersten
Reihen der schöpferischen Baukünstler stellte.
Und es ersteht nichts Vollendeteres, als wenn
Kern und Schale sinngemäß aus einer Hand
hervorgehen, aus einem Hirn und aus einem
Herzen gezeugt werden, wie das hier beim
Nennen des Urhebers als so geschehen betont
werden muß. Hier ist Prof. Albin Müller
Sieger geblieben soweit das Gelände der an-
gewandten Kunst reicht, soweit diese selbst
sich in großen und kleinen Häusern breit ge-
macht hat, dem kleinen Manne im Arbeiter-
Wohnhause, dem begüterten im sogenannten
Eigenhause zu dienen. Ich bin so in dem
machtvollen Banne der Müller'schen Räume
verblieben, daß ich sie schon hier als das
Vollendetste der Raumkunst unserer Zeit be-
zeichnen muß, die ich zu sehen Gelegenheit
hatte. Auch die Räume der »Dresdener Aus-
stellung 1906« treten dahinter zurück, auch
Müllers eigene von dort, über die er so weit
hinausgewachsen ist, daß ich ihn um diese
damalige Leistungen nicht beneiden möchte.
Schon damals sagte ich, daß Müller Bedeuten-
deres leisten müßte und auch leisten könnte —
man müsse ihm nur Gelegenheit dazu geben

1908. xir. 3.

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