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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 22.1908

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Michel, Wilhelm: Vom Monumentalen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7006#0398

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Vom Monumentalen:

PROFESSOR AI.IHN MULLER DARMSTADT.

Herren-Zimmer in poliertem Tabasco-Mahagoni.

Ausführung : Hof - Möbelfabrik Joseph Trier — Darnistadt.

tausend Strebungen, die wir in uns selber
vorfinden? Dürfen wir unseren Sehnsüchten
nachgeben? Müssen wir ihnen mißtrauen?
Wo liegt unser Positives? Was haben wir,
was haben wir nicht? Wo fangen unsere
Illusionen an, wo hören sie auf? Es fehlen
uns die elementarsten Grundlagen zu einer
geistigen Bilanz. Wie sollen wir da Klarheit
über Aktiva und Passiva erhalten ?

Die zweite Schwierigkeit liegt darin, daß
es dem modernen Menschen überhaupt an
Kraft, an künstlerisch-kultureller Aktivität
mangelt. Uber die verwirrenden Ansprüche
des Details trägt nur eine tüchtige Lebens-
fülle hinweg. Erkennen hilft da nicht viel;
Kraft, in Erkennen umgesetzt, tut not. Aber
seit den Zeiten der Renaissance geht die Ent-
wicklung des Menschen immer mehr der Ver-
feinerung, der Differenzierung entgegen. Die
Sensibilität steigt, die Fähigkeit zur Überwin-
dung der Atome, die eigentliche Herrscher-
tugend, erfährt eine Einbuße.

Das sind die Schwierigkeiten, die sich
den monumentalen künstlerischen Prägungen
entgegenstellen. Von ihnen habe ich oben
gesagt, daß sie vielfach unterschätzt werden.
Es ist eine eigentümliche Erscheinung des
heutigen Kunstlebens, daß gerade Künstler
von zarter, umgrenzter Begabung, Künstler
von gemindetter und zerspaltener Vitalität
unter den monumentalen Ambitionen stehen.
Sie glauben, es sei genug, irgendwie abseits
zu stehen, um über das gefährliche Detail
hinauszukommen. Und die heutige Mensch-
heit ist nur zu sehr geneigt, jedem Schwäch-
ling, der mit großen Gesten und schönen
Priesterallüren kommt, aufs Wort zu glauben.
Aber das Nebendrauß-Stehen allein macht es
nicht; Einsamkeit ist gut, aber die Einsam-
keit des Siegers soll es sein, nicht die des
Besiegten.

Daher kommt es, daß man den zahl-
reichen monumentalen Bemühungen der Zeit
gegenüber ein leises Mißtrauen nicht leicht

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