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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 22.1908

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Michel, Wilhelm: Vom Monumentalen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7006#0403

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Vom Monumentalen.

PROFESSOR AI.HIN Mll.l.ER DARMSTADT.

Bücher-Regale in der Richter-Bibliothek.
Hänge- und Stehlampen von Louis Busch—Mainz.

verzweifelten Versuche genötigt, aus einem
hochentwickelten Kunstgewerbe eine ange-
messene Architektur hervorgehen zu lassen.
Wir besitzen architektonische Nutzgebilde von
guten künstlerischen Qualitäten. Aber von
dem modernen Monumentalbau sind wir noch
sehr, sehr weit entfernt.

Wie steht es in der Literatur? — Die
Lyrik, die Kleinplastik des Wortes, steht in
hoher Blüte; es wäre literarisches Sansculotten-
tum, das zu bestreiten. Aber an dem großen
Drama, das Form und Leben auf ihren
höchsten Punkten vermählt, versuchen sich
unsere Dichter seit Jahrzehnten vergebens.
Hauptmann heißt die Erfüllung nicht; ob sie
Ibsen heißt, wird zum mindesten stark
bezweifelt.

So ist die Frage des Monumentalen heute
gelagert. Niemand bezweifelt, daß eine
Epoche ihr letztes Wort erst dann gesprochen
hat, wenn sie zu monumentalen Selbstdar-
stellungen gelangt ist. Niemand bezweifelt,
daß auch unsere Zeit nach diesem höchsten

Ausdruck streben darf und muß. Aber der
Negationen, die sich heute diesem Streben
entgegenstellen, sind so viele, daß man an
einer baldigen Erfüllnng dieses Strebens schier
verzweifeln möchte.

Als Ergebnis dieser Ausführungen möchte
ich festgehalten wissen, daß der Monumental-
künstler ungewöhnlicher Lebensenergien be-
darf und daß daher jeder sich das monumentale
Streben versagen sollte, der diese Kraft nicht
in sich fühlt. Leichtfertiger Optimismus ist
in diesem Punkte jedenfalls nicht angebracht,
bedeutet von kulturellem Standpunkte aus eher
eine Schädigung als eine Förderung. Ruhiges,
stetiges Schaffen von innen heraus, Schaffen,
das nicht von der Sehnsucht, sondern aus
innerer Fülle stammt, das führt am sichersten
zum Ziel. Man vergißt heute zu oft, daß
Schaffen heißt: Wachsen lassen!; man ver-
wechselt es zu oft mit Treiben und Züchten.
Wenn ich ein Ziel klar erkannt habe, muß
ich dann auch schon fähig sein, darnach zu
streben? —

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