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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 32.1913

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Kleine Kunst-Nachrichten
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https://doi.org/10.11588/diglit.7014#0249

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KLEINE KUNST-NACHRICHTEN.

MAI 1913.

T)ERLINER SALONS. Bei Frit3 Gurlitt waren
J_3 die neusten Arbeiten von Henri Matisse zu
sehen. Sie zeigen Motive aus Algier und sind für
das Haus eines Kunstfreundes in Rußland bestimmt.
In diesen beiden geographischen Daten enthüllt
sich vielleicht etwas vom Wesen des Malers. Afrika
und das grenzenlose, dünn bevölkerte, eben erst
nach der Kultur tastende Reich der Steppen: das
Halbwilde, das Unfertige, das Naive, die rührende
Unbeholfenheit des Neugeborenen. Indessen, ist
dieser Matisse nicht gerade ein Raffinierter, ein
Destillat aller bisherigen Kultur? Diese Zweideutig-
keit, dieses Schwanken zwischen ahnender Primi-
tivität und einer überempfindlichen Artistik macht
es fast unmöglich, über diesen Maler, der zugleich
ein Prototyp der neuen, den Impressionismus über-
windenden Generation ist, ein gerechtes Urteil zu
sprechen. Man sieht sehr deutlich die Gefahren,
die diese Malerei des Absichtsvollen der Kunst zu
bringen vermag, und man ist doch in allen Sinnen
entzückt über die Lebensinbrunst dieser Farben-
spiele. Es bleibt freilich die Frage: ob in diesen
Bildern nicht etwa die Absicht stärker ist, als das
Ergebnis. Ob sie nicht etwa mehr Ornament sind,
als persönlich empfundene Natur und damit mehr
Kunstgewerbe, als Kunst. Eine schwere Frage, die
bang über all den Jungen, den Verehrern des
Matisse und den anderen, hängt. Man möchte
meinen, möchte sich zum mindesten damit trösten,
daß erst eine spätere Generation die Antwort
wird geben können. So darf man vorläufig lieben.
— Der „Sturm" brachte uns junge Schweizer. Von
ihnen allen gilt, was eben von Matisse gesagt
worden ist. Nur, dag keiner von ihnen die ele-
mentare Malbegabung des Franzosen aufzuweisen
hat. Am meisten Beachtung verdienen Wilhelm
Gimmi und Walter Heibig. Gimmi weiß tiefe,
sonore Klänge anzuschlagen; Heibig kleidet ge-
fühlige Mädchenakte in Rosa und stellt sie gegen
weißliches Grün und Hellblau. - Bei Paul Cassirer
sah man kecke Naturgriffe von Artur Degner.
Dieser Sechsundzwanzigjährige scheint bestimmt,
ein Virtuose des Aktes zu werden. Er ist gesund
bis zur Robustheit und hat einen nicht unsym-
pathischen Zug zur Karikatur. Erbslöh, der
gegenüber hing, stört ein wenig durch die Kupfrig-
keit seiner pathetischen Farben. Er arbeitet be-
wußter, als seine Jugend erwarten läßt. Breuer.
£

BERLIN. Ein Musterladen. Richard L. F.
Schulz, der allen Freunden schöner Qualitäts-
arbeit seit langem bekannt ist, hat in der Bellevue-
straße einen entzückenden Laden aufgemacht. Er

zeigt darin seine eigenen Fabrikate, vortreffliche,
in Sachlichkeit gesunde und durch die an sie ge-
wandte Liebe jeden Empfindsamen überzeugende
Beleuchtungskörper und anderes bronzenes Gerät.
Er zeigt daneben sehr gewählte Kolektionen
von Keramiken und Gläsern, Silber von Lettre,
holländische Blechgefäße. Es gibt in diesem Laden
nichts, was auch nur im geringsten gegen die Ge-
sinnung des verantwortungsvollen Kaufmanns ver-
stieße; es gibt nichts, was die vielleicht noch immer
wachen schlechten Neigungen des Käufers verführen
könnte. Dieser Laden ist eine Hochschule des
guten Geschmackes und ist zugleich ein Dokument
für die zunehmende Kultivierung des Reichtums, br.

£

LEIPZIG. Im „Kunstverein" zeigte ein Leipziger
_j Maler, Professor Horst Schulze, neue
Arbeiten, darunter ein Triptychon „Scholle" mit den
dazugehörigen Studien. Ein nacktes Weib in der
Mitte hält hoch über dem Kopf eine Erdscholle mit
blühenden Blumen, rechts und links je zwei männ-
liche Akte, mit Felsstücken bewaffnet, in der Pose
des Angreifens rechts, des Verteidigens links. Das
Mittelbild trägt unten, in den Rahmen versenkt, ein
kleines Mosaik von strenger Zeichnung, ein liegen-
des Kind. Die Symbolik ist ein wenig dunkel, rein
bildlich aber gibt es keine Rätsel: fünf Akte, rund
und harmonisch zusammenkomponiert zu raum-
schmückenden Zwecken. Alle künstlerischen Probleme
dieses Werkes sind zeichnerischer Art, und ihre
Lösung zeugt von einem erdrückenden Einfluß
Greiners: ebenso „richtige" Zeichnung, ein kaltes
und abstraktes Licht, das die Körper in kleinen
Intervallen von Hell und Dunkel wie Plastiken mo-
delliert. Man bedauert, dem offenbar ernst und
ehrlich arbeitenden Künstler über dieses mühevolle
Werk nichts Angenehmeres sagen zu können. Die
Studien zu dem Triptychon wirken etwas frischer.
Von den mitausgestellten Landschaften ist eigent-
lich nur die „römische Campagna" zu erwähnen.
Ein „Frauenporträt" in Rot und Gelb bringt unan-
genehme Begegnungen dieser so nahe verwandten
Werte, ist aber mit großer Sicherheit gezeichnet.
Unter all den Bildern ist das beste der „Knaben-
akt" mit dem eindrucksvollen, grotesken Schritt-
motiv, dem auch in der Malerei etwas von der
Frische des wirklichen Sehens erhalten blieb. Man
wird ein wenig an den frühen Hodler erinnert. —
Grein er, der wie zum Vergleich mitausstellt, hat
vor Horst Schulze voraus eine größere Erfahrung
und vielleicht die überlegene Einsicht. In dem
„Porträt einer Italienerin" vermeidet er die Klippe
einer allzugroßen Ausführlichkeit, ja seine Malerei

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