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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 32.1913

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Breuer, Robert: Die Architektonisierung des Lichtes. Zu neuen Arbeiten von Gottfr. Heinersdorff.
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https://doi.org/10.11588/diglit.7014#0390

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MAX PECHSTEIN - ISERU N - FRIEDENAU.

AUSFÜHRUNG: G. HKINKKSDOKKF- BERLIN.

DIE ARCHITEKT0N1SIERUNG DES LICHTES.

ZU NEUEN ARBEITEN VON GOTTFR. HEINERSDORFF.

Ein Fenster ist dazu da, daß es Licht in
den Raum einlasse; es ist eine Durch-
brechung der Wand. Durch die Fenster wird
die Wand aufgelockert; die Cäsur, in der
die Fenster zu einander stehen, bestimmt den
Charakter des Mauerwerks. Auch den des
eingeschlossenen Raumes. Ob die Stein-
schichtung mit trotziger Festigkeit umfängt,
ob sie sich vielfach öffnet, ob sie gar auf-
gelöst und um den Schein der Stabilität be-
trogen wird: das alles leistet das Fenster, seine
Form, seine Zahl, seine Reihung. Es ist aber
das Fenster nicht identisch mit der Öffnung.
Die Öffnung wird nur als ein Loch empfunden,
das Fenster wirkt als Fläche. Ein Unterschied,
der vielleicht kein unwichtiges Kriterium be-
deutet für das, was die italienische Renaissance
von der deutschen Gotik trennt: die Renais-
sance hatte Öffnungen, die Gotik Fenster. So
sonderten sich die Bauteile der Renaissance,
durch die Tiefen der Öffnungen modelliert, zu

plastischer Klarheit. Während die dunklen,
zwischen den Pfeilern gespannten Fenster dem
Gotischen die unentrinnbare Suggestion des
Raumes, als einer scharfen Aussonderung aus
dem Unbegrenzten, als eines Raumkristalles im
Unendlichen, sicherten. Das gleiche gilt für
den im Innern des Hauses stehenden Betrach-
ter. Auch da ist die Öffnung der Renaissance
das Medium, um die Plastik der Fensterleibung
wahrzunehmen; die Gotik aber will durch das
Fenster den Blick angehalten wissen, daß er
nicht durch die Mauer stoße, nicht hinaus-
schweife. Die Gotik wandelt das Fenster in
einen Teppich, in einen rhythmisch kreisenden
Farbenstrom, der den Blick auffängt und wieder
raumeinwärts drängt. Die Gotik erfindet das
Glasbild; zum mindesten steigert sie das roma-
nische Erbe bis zu dem Grade eines Paradoxon:
das gotische Glashaus, dieses Nebeneinander
nur durch schmale Rippen getrennter Leucht-
flächen ist ein Minimum an Mauer und doch

1013. XI. 8.

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