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Kellmann, Thomas
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland: Baudenkmale in Niedersachsen (Band 7,3): Stadt Einbeck — Petersberg: Michael Imhof Verlag, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.65609#0229
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Wandel in Material, Farbe, Konstruktion und Nutzung, hier: Markt-
platz 15 um 1920, StAE


Singulärer Versuch mit gesägten Sandsteinplatten als Ersatzmaterial, Stiftsplatz 11, Keilmann,
2009

als 45 Jahren rückt der Zeitpunkt einer Neueinde-
ckung in greifbare Nähe. Während beim Kloster
Corvey vor rund zehn Jahren immerhin noch ca.
17.000 qm Dachflächen mit Altmaterial in Sand-
stein umgedeckt wurden, gestaltet sich die
Beschaffung von Altmaterial zunehmend schwieri-
ger. Bei den Einbecker Bürgerhäusern setzte sich
in den sechziger und siebziger Jahren zunächst die
braun engobierte Hohlpfanne durch. Dies hatte sei-
ne Berechtigung, standen diese Dachflächen doch
zunächst vereinzelt neben den weit zahlreicheren
Sandsteinplatten. Dies hatte sich um 1980 gewan-
delt. In dem überarbeiteten, seinerzeit geradezu
vorbildlichen Entwurf einer Gestaltungssatzung von
1980, der die damalige Praxis der Denkmalpflege
gut wiederspiegelt, wurde gleichberechtigt zur
Sandsteinplatte und zur braun engobierten Hohl-
pfanne auch die naturrote Hohlpfanne eingeführt.
Diese hatte sich in den darauffolgenden Jahren
weitgehend durchgesetzt. An wenigen exponier-
ten Stellen innerhalb des Stadtbildes gelang inner-
halb der Städtebauförderung zwischen 1975 und
2005, die Sandsteineindeckung bei rund 14 Bau-
ten zu halten bzw. wiederherzustellen: bei Bau-
straße 24, bei Lange Brücke 2/4 am nördlichen
Ende des Marktplatzes, bei Neuer Markt 33 und
35, bei Hallenplan 2/4, bei Marktstraße 13, an der
Nordseite der Tiedexer Straße bei Nr. 16-22 und
Nr. 30/32 sowie zuletzt bei Tiedexer Straße 19.
Die Bevorzugung der Hohlpfanne anstelle des im
Altkreis Gandersheim dominanten Linkskrempers
liegt ganz in der Tradition der niedersächsischen

Baupflege der dreißiger bis fünfziger Jahre des 20.
Jahrhunderts, die das „niederdeutsche Hohlpfan-
nendach“ als landschaftsgebundene Dachform
etablieren wollte. Für die denkmalfachlich gefor-
derte Kombination von roten Hohlpfannenbehän-
gen an den Giebeln und Sandsteinplatten auf den
Dächern findet sich keine historisch ableitbare
Begründung. Mit dem Verbot der Holzverbrette-
rung schon in der ersten Feuerordnung von 1749
waren nur noch nicht brennbare Materialien mög-
lich. Bei Giebelbehängen wurde in der Regel das
aus Umdeckungen von Dachflächen gewonnene
Altmaterial verwendet. Dadurch können bei den
weniger anspruchsvollen Giebelbehängen im Zuge
einer Resteverwertung oft noch die älteren,
ansonsten nicht mehr brauchbaren Materialien
angetroffen werden. Die fast gänzliche Entfernung
der Außenputze und Fassadenbehänge in den
südniedersächsischen Fachwerkstädten nach
1945 wurde noch 1980 als Ziel im Entwurf der
Gestaltungssatzung formuliert. Zusammen mit den
naturroten Hohlpfannendächern hatte die ange-
strebte Fachwerksichtigkeit und die Vermeidung
monochrom gestrichener Fassaden eine Verein-
heitlichung des Stadtbildes zum Ziel: „In der Ver-
gangenheit wurden Fachwerkfassaden häufig ver-
putzt oder verblendet, und zwar mit einer äußerst
negativen Wirkung für das historische Stadtbild“.
Aufgrund der Erkenntnisse der vertiefenden Inven-
tarisation war gerade das vielschichtige Neben-
einandertypisch für das historische Stadtbild. Erst
mit der industriellen Produktion und der ständig

wechselnden Verfügbarkeit unterschiedlichster
Baumaterialien wurde die Notwendigkeit einer
Regulierung offensichtlich. Die historischen Ersatz-
eindeckungen für Sandstein, die naturrote und die
braun-engobierte Hohlpfanne sowie der Kremp-
ziegel, sind gleichwertig. Der im späten 19. Jahr-
hundert beliebte, besonders hart gebrannte und
damit haltbare Linkskremper aus Großalmeröder
Produktion in Nordhessen ist von hoher denkmal-
pflegerischer Bedeutung. Diese unverwüstlichen
steinzeugartigen Ziegel, die um 1880 in Einbeck
auftauchten (vgl. Benser Straße 1), wurden als ein
frühes Ersatzmaterial für Sandstein verwendet.
Vergleichbares galt für den erst kürzlich durch rote
Hohlpfannen ersetzten rautenförmigen Zement-
dachstein am Neustädter Kirchplatz von 1886 (vgl.
Benser Straße 5). Ausgelöst durch die Aufsto-
ckung um ein Vollgeschoss wurden zeitgleich mit
dem Zementfalzstein auch ein Buntschieferbe-
hang zur Hauptstraße und ein Zinkblechbehang
zur Backofenstraße in Ausführung gebracht. Der-
artige Zementfalzsteine mit einer rautenförmigen
Verstärkung an der Unterseite wurden nach dem
System Wienke bis in die Zeit nach 1900 durch die
Ziegelei Wilhelm Wienke in Harriehausen zwischen
Einbeck und Seesen produziert. Bei diesen heute
nicht mehr hergestellten Produkten macht es kei-
nen Sinn, diese durch Ersatzstoffe zu ersetzen.
Auch die gesägten Sandsteinplatten, die erst- und
letztmalig in Einbeck bei Stiftsplatz 11 zum Einsatz
kamen, können nur als eine recht aufwendige und
gut gemeinte Notlösung bewertet werden.

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