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Ein Abenteuer mit australischen Wilden.
seine Angst das höchste Stadium erreicht, fing er an, mit mir
über die Unsterblichkeit der Seele zu philosophiren, und mir
aus Epiktet und Marc Anrcl zu beweisen, daß ein verstän-
diger Mann sich eigentlich vor Nichts auf Gottes weitem
Erdboden zu furchten habe — selbst nicht vor Australischen
Wilden. Der anbrechcnde Tag gab ihm endlich wieder Muth
genug, mir zu erklären, daß er nun zwar vom Inneren
Australiens genug gesehen, und dasselbe herzlich satt habe;
daß er gleichwohl mich in der Wildniß nicht verlassen dürfe,
wenn ich noch weiter ziehen wolle; daß er mich dringend bitte,
spätestens am folgenden Tage mit ihm umzukehren, da wich-
tige Geschäfte ihn nach Melbourne zurückriefcn. Wäre es
irgend angegangen, so hätte er mir sicher von einem Briefe
erzählt, den er gestern Abend mit der Eilpost erhalten habe,
und der seine schleunige Rückkehr fordere.
So reisten wir denn noch für heute weiter vorwärts.
Das Helle Sonnenlicht verscheuchte bald im Doktor die letzte
Spur von Furcht, natürlich, so weit dies seine Natur über-
haupt gestattete. Den ganzen Tag über bekamen wir keinen
Menschen zu sehen. Erst gegen Abend erblickten wir in der
Nähe eines kleinen Flusses, der seine Gewässer dem Murray
zuzuführcn schien, eine Farm, deren blau aufsteigcndcr Rauch
uns gastlich winkte. Wir riefen dieselbe an, damit die Hunde
angelegt wurden, und bald befanden wir uns drinnen, wo
eine Schüssel mit dampfendem Fleisch uns andcutete, daß wir
gerade recht zum Abendessen kämen.
„Nun, Mann, wie stcht's mit den Wilden?" waren
auch hier nach der gewöhnlichen Begrüßung, des Doktors erste
Worte. Der Farmer zuckte mißmuthig mit den Achseln und
entgcgnete: „Die Teufelskerle sitzen mir jetzt ganz gehörig
auf dem Leibe; 's sollte mich doch wundern wenn Ihr heute
nicht aus einige gestoffen wäret. Sie werden mir gerade ziem-
lich lästig."
Der Doktor stutzte und sah ihm aufmerksam in's Gesicht.
Doch er durfte seinen Muth nicht gar zu leicht aus dem
Felde schlagen lassen, und dcßhalb rief er mit erzwungenem
Lachen: „Ja, ja, Freund, ich verstehe! — Bange machen,
gilt nicht! — Aus hundert Meilen in der Runde gibt cS
keinen Eingeborenen! — Wir sind schon vier Tage lang im
Busch umhcrgezogen, ohne auch nur Einen von den Schuften
vor unseren Büchsenlauf zu bekommen. — Ja, ja, wir wissen
schon, wie's gemeint ist."
Der Farmer lächelte leise: „Ihr seid dann im Suchen,"
er betonte dieses Wort, „nicht glücklich gewesen. Hättet Ihr
Euch vorgestern hier befunden, so hättet Ihr einen ganzen
Haufen derselben um meine Fenz herum sehen können. Wir
hatten Mühe, sic uns vom Leibe zu erhalten. Sechs von ihnen
ist der Spaß versalzen worden." Damit setzte er sich, als
habe er von den gleichgültigsten Dingen geredet, an den Tisch
und lud uns ein, ein Gleiches zu thun. Aber für den Doktor
war cs mit dem Appetite vorbei; und kaum war abgetragen,
so wußte er auf tausenderlei Winkelzügen das Gespräch immer
und immer auf die Wilden zu bringen, deren viele Eigcn-
thümlichkeitcn uns denn auch Stoff genug zur Unterhaltung
nur um so hartnäckiger in seinem Vorsätze machte, ging ich
endlich aus den Vorschlag ein, und verabredete mit ihm, daß
wir gleich am folgenden Morgen aufbrechen wollten.
In Australien sind die Vorbereitungen zu einer Reise
schnell getroffen. Man braucht da keine Koffer zu packen, weil
cs an jeder Gelegenheit zum Transport derselben fehlen würde;
man braucht keine besondere Reisetoilctte zu machen, weil
für den Busch die schlechtesten Kleider noch immer viel zu gut
sind; und was unsere Zeitung, anlangt, so hatten wir immer
noch vom letzten Puff zu zehren, so daß meine Anwesenheit
nicht nothwcnsig erfordert wurde. Ich durfte daher am fol-
genden Morgen nur Büchse und Jagdranzcn Überhängen, um
zur kürzesten, wie längsten Reise völlig ausgerüstet zu sein.
Den Doktor traf ich schon meiner harrend. Da cs Anfangs
Juni war, so begannen schon die Nächte und Morgen ziemlich
kühl zu werden, und mein Gefährte hatte sich daher in einen
dicken Pelzrock geworfen, dessen langbehaarter Kragen sein
rundes rothes Gesicht einrahmte, während eine Mütze von
Fuchspelz seinen Kopf bedeckte. Eine große Brille mit grünen
Gläsern, ein Paar Wasserstiefeln, die dem kleinen dicken Mann
bis an den Bauch reichten, eine Botanisirtrommel und eine
riesige Donnerbüchse, mit welcher er sicher auf zehn Schritte
einen Elephanten gefehlt hätte, machten seine übrige Armatur aus.
Kaum eine Stunde hinter Melbourne nahmen uns schon
die endlosen Salzgebüsche auf, die, für Wiederkäuer ein lieb-
licher Anblick, durch ihr mattes Graugrün den Menschen leicht
in eine trübe und melancholische Stimmung versetzen. Bei uns
indessen trat diese Wirkung nicht ein. Die frische Luft, und
hin und wieder ein Scherz stimmten uns heiter; ich brach
durch das Buschwerk die Bahn und mein Reisegenossc folgte
mir, bald lachend, bald wieder fluchend und prustend, wenn
ein thaufeuchter Zweig ihm in's Gesicht geschlagen hatte.
Die tüchtige Motion war das beste Mittel gegen seine Hypochondrie
und als wir Abends i» einer Farni unser einfaches Mahl
verzehrten, sprach und gebehrdete er sich schon so, als ob er
lebenslang kein anderes als ein Jägerleben geführt habe, und
ging in seiner Vermessenheit so weit, eine Begegnung mit
Wilden herbeizuwünschen, um ihnen die Wirkung seiner treuen
Büchse weisen zu können: Er wußte nämlich so gut als ich,
daß seit Monaten kein Wilder in der Nähe sich hatte blicken
lassen.
So zogen wir vier Tage lang fort. Auf jeder Farm,
in welcher wir einkehrten, strick der Doktor seine Kampfbegicr
heraus, aber stets erst, nachdem er sich sorgfältig erkundigt
hatte, ob Wilde in der Nähe hausten. — Vielleicht glaubte
er zuletzt selbst an seinen Muth.
Nach und nach wurden die Ansicdlungen seltener und
am Abend des vierten Tages sahen wir uns, zum großen
Schrecken meines Gefährten, genöthigt, unser Nachtquartier
unter Gottes freiem Himmel aufzuschlagcn. Der Doktor schlief
fast die ganze Nackt über nicht. Bald rief er mich bei Namen,
aus Furcht, ich möchte ihn in der Wildniß allein gelassen
haben; bald machte er mich auf ein Rascheln im Laube aus-
merksam, in der Bcsorgniß, es seien Wilde; und zuletzt, als
Ein Abenteuer mit australischen Wilden.
seine Angst das höchste Stadium erreicht, fing er an, mit mir
über die Unsterblichkeit der Seele zu philosophiren, und mir
aus Epiktet und Marc Anrcl zu beweisen, daß ein verstän-
diger Mann sich eigentlich vor Nichts auf Gottes weitem
Erdboden zu furchten habe — selbst nicht vor Australischen
Wilden. Der anbrechcnde Tag gab ihm endlich wieder Muth
genug, mir zu erklären, daß er nun zwar vom Inneren
Australiens genug gesehen, und dasselbe herzlich satt habe;
daß er gleichwohl mich in der Wildniß nicht verlassen dürfe,
wenn ich noch weiter ziehen wolle; daß er mich dringend bitte,
spätestens am folgenden Tage mit ihm umzukehren, da wich-
tige Geschäfte ihn nach Melbourne zurückriefcn. Wäre es
irgend angegangen, so hätte er mir sicher von einem Briefe
erzählt, den er gestern Abend mit der Eilpost erhalten habe,
und der seine schleunige Rückkehr fordere.
So reisten wir denn noch für heute weiter vorwärts.
Das Helle Sonnenlicht verscheuchte bald im Doktor die letzte
Spur von Furcht, natürlich, so weit dies seine Natur über-
haupt gestattete. Den ganzen Tag über bekamen wir keinen
Menschen zu sehen. Erst gegen Abend erblickten wir in der
Nähe eines kleinen Flusses, der seine Gewässer dem Murray
zuzuführcn schien, eine Farm, deren blau aufsteigcndcr Rauch
uns gastlich winkte. Wir riefen dieselbe an, damit die Hunde
angelegt wurden, und bald befanden wir uns drinnen, wo
eine Schüssel mit dampfendem Fleisch uns andcutete, daß wir
gerade recht zum Abendessen kämen.
„Nun, Mann, wie stcht's mit den Wilden?" waren
auch hier nach der gewöhnlichen Begrüßung, des Doktors erste
Worte. Der Farmer zuckte mißmuthig mit den Achseln und
entgcgnete: „Die Teufelskerle sitzen mir jetzt ganz gehörig
auf dem Leibe; 's sollte mich doch wundern wenn Ihr heute
nicht aus einige gestoffen wäret. Sie werden mir gerade ziem-
lich lästig."
Der Doktor stutzte und sah ihm aufmerksam in's Gesicht.
Doch er durfte seinen Muth nicht gar zu leicht aus dem
Felde schlagen lassen, und dcßhalb rief er mit erzwungenem
Lachen: „Ja, ja, Freund, ich verstehe! — Bange machen,
gilt nicht! — Aus hundert Meilen in der Runde gibt cS
keinen Eingeborenen! — Wir sind schon vier Tage lang im
Busch umhcrgezogen, ohne auch nur Einen von den Schuften
vor unseren Büchsenlauf zu bekommen. — Ja, ja, wir wissen
schon, wie's gemeint ist."
Der Farmer lächelte leise: „Ihr seid dann im Suchen,"
er betonte dieses Wort, „nicht glücklich gewesen. Hättet Ihr
Euch vorgestern hier befunden, so hättet Ihr einen ganzen
Haufen derselben um meine Fenz herum sehen können. Wir
hatten Mühe, sic uns vom Leibe zu erhalten. Sechs von ihnen
ist der Spaß versalzen worden." Damit setzte er sich, als
habe er von den gleichgültigsten Dingen geredet, an den Tisch
und lud uns ein, ein Gleiches zu thun. Aber für den Doktor
war cs mit dem Appetite vorbei; und kaum war abgetragen,
so wußte er auf tausenderlei Winkelzügen das Gespräch immer
und immer auf die Wilden zu bringen, deren viele Eigcn-
thümlichkeitcn uns denn auch Stoff genug zur Unterhaltung
nur um so hartnäckiger in seinem Vorsätze machte, ging ich
endlich aus den Vorschlag ein, und verabredete mit ihm, daß
wir gleich am folgenden Morgen aufbrechen wollten.
In Australien sind die Vorbereitungen zu einer Reise
schnell getroffen. Man braucht da keine Koffer zu packen, weil
cs an jeder Gelegenheit zum Transport derselben fehlen würde;
man braucht keine besondere Reisetoilctte zu machen, weil
für den Busch die schlechtesten Kleider noch immer viel zu gut
sind; und was unsere Zeitung, anlangt, so hatten wir immer
noch vom letzten Puff zu zehren, so daß meine Anwesenheit
nicht nothwcnsig erfordert wurde. Ich durfte daher am fol-
genden Morgen nur Büchse und Jagdranzcn Überhängen, um
zur kürzesten, wie längsten Reise völlig ausgerüstet zu sein.
Den Doktor traf ich schon meiner harrend. Da cs Anfangs
Juni war, so begannen schon die Nächte und Morgen ziemlich
kühl zu werden, und mein Gefährte hatte sich daher in einen
dicken Pelzrock geworfen, dessen langbehaarter Kragen sein
rundes rothes Gesicht einrahmte, während eine Mütze von
Fuchspelz seinen Kopf bedeckte. Eine große Brille mit grünen
Gläsern, ein Paar Wasserstiefeln, die dem kleinen dicken Mann
bis an den Bauch reichten, eine Botanisirtrommel und eine
riesige Donnerbüchse, mit welcher er sicher auf zehn Schritte
einen Elephanten gefehlt hätte, machten seine übrige Armatur aus.
Kaum eine Stunde hinter Melbourne nahmen uns schon
die endlosen Salzgebüsche auf, die, für Wiederkäuer ein lieb-
licher Anblick, durch ihr mattes Graugrün den Menschen leicht
in eine trübe und melancholische Stimmung versetzen. Bei uns
indessen trat diese Wirkung nicht ein. Die frische Luft, und
hin und wieder ein Scherz stimmten uns heiter; ich brach
durch das Buschwerk die Bahn und mein Reisegenossc folgte
mir, bald lachend, bald wieder fluchend und prustend, wenn
ein thaufeuchter Zweig ihm in's Gesicht geschlagen hatte.
Die tüchtige Motion war das beste Mittel gegen seine Hypochondrie
und als wir Abends i» einer Farni unser einfaches Mahl
verzehrten, sprach und gebehrdete er sich schon so, als ob er
lebenslang kein anderes als ein Jägerleben geführt habe, und
ging in seiner Vermessenheit so weit, eine Begegnung mit
Wilden herbeizuwünschen, um ihnen die Wirkung seiner treuen
Büchse weisen zu können: Er wußte nämlich so gut als ich,
daß seit Monaten kein Wilder in der Nähe sich hatte blicken
lassen.
So zogen wir vier Tage lang fort. Auf jeder Farm,
in welcher wir einkehrten, strick der Doktor seine Kampfbegicr
heraus, aber stets erst, nachdem er sich sorgfältig erkundigt
hatte, ob Wilde in der Nähe hausten. — Vielleicht glaubte
er zuletzt selbst an seinen Muth.
Nach und nach wurden die Ansicdlungen seltener und
am Abend des vierten Tages sahen wir uns, zum großen
Schrecken meines Gefährten, genöthigt, unser Nachtquartier
unter Gottes freiem Himmel aufzuschlagcn. Der Doktor schlief
fast die ganze Nackt über nicht. Bald rief er mich bei Namen,
aus Furcht, ich möchte ihn in der Wildniß allein gelassen
haben; bald machte er mich auf ein Rascheln im Laube aus-
merksam, in der Bcsorgniß, es seien Wilde; und zuletzt, als