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11)4

Die Zwanziger-Putzerin.

großen und einen kleinen Stall, eine Holzkammcr, und ein
längs der Brandmauer des Nachbarhauses lang und schmal
hinlaufcndes Schindeldach auswies, unter dem einige Feuer-
leitern und eine Anzahl brauner lederner Feucreimcr hingen,
welche Geräthschaften den Tauben und den Spatzen zu Pro-
menaden, Tanzsäle», Grotten und Verstecken dienten. In dieser
Hälfte des Hofes, die die kahlere war, roch es nach Pferden,
nach Kuhmist, nach Holz, nach Geflügel, und hin und wieder
vielleicht auch nach Ratten. Dagegen die andere Hälfte des
Hofes, die obere, schien im Vergleiche ein Bild aus der Tro-
pcngegend aufzuweisen. Inmitten standen drei alte, dicke und
hochstämmige Akazienbäume, welche ein breites, dichtes, grünes
Blätterdach bildeten, das den Raum darunter zu einem ge-
schützten Zelte machte, während die wcitgestrcckten Acste mit
dichtem grünen Behänge links und rechts aus dem moosigen
Schindeldache des Hauses selbst ruhten. Am Erdboden wuchs
in einzelnen Streifen saftiges hohes Gras, andere zeigten den
nackten Boden. Unter dem Mittelraume befand sich eine höl-
zerne Bank, und auch einige Stühle standen umher. Auf dem
ganzen Tableau aber lag warm und satt voller Sonnenschein,
und durchsickcrte das grüne Dach, an dem sich kaum ein Blatt
rührte, daß das Halbdunkel durchsunkelt und durchblitzt von
Sonnenschcinstreisen war. Die Hausfront links, welche nach
der Straße zu führte, lag ganz im Lichte, dagegen die Mittel-
fronte und die zur rechten Seite waren durch die Bäume völlig
geschützt. Dort rechts ging eine Thürc nach dem Hofe, welche
zu beiden Seiten zwei Fenster als Fortsetzung der Front hatte.
Da Thür und Fenster offen standen, so konnte man aus
den ersten Blick erkennen, daß jene Eckfronte die Küche ent-
hielt. Das war aber noch eine gute alte Küche, geräumig
und zugleich auch dckorirt gleich einem Laboratorium. In-
mitten befand sich der Herd, groß, breit, von Ziegeln ausge-
maucrt, so rein und weiß getüncht, als sei er mit Linnen Über-
hängen, und nur inmitten zeigte sich ein emsig zusammen ge-
kehrtes graues Häufchen Asche, und rückwärts stand ein hohes
schwarzes eisernes Gerüst, mit allerlei Räderwerk und Ketten,
schier wie ein Folterwerkzeug anzuschauen, und es war doch
das unschuldigste und zugleich sinnreichste Ding von der Welt,
nehmlich ein sogenannter „Brater", in den der eiserne Spieß
gesteckt zu werden pflegte, an dem das gerupfte Geflügel stak,
und der in Bewegung gesetzt wurde, indem man das sehr
primitive Uhrwerk des „Braters" mittels eines Drehschlüssels
■ aufzog. Auch diese Manipulation verschwand schon längst vom
Erdboden, gleich den Möpsen, den ungefüllten Georginen, der
Zunderbüchse und dem Schwcfelfaden. Freilich weiß auch heute
Niemand mehr, was ein ordentlicher, am Spieße gebratener
Braten eigentlich sei, aber das intcressirt auch Niemanden mehr,
man denkt lieber an Gcldmachcn, als an gutes Essen.

Ringsum die Küchcnwändc, sie glichen fast den Wänden
eines Zeughauses, die reich armirt und dckorirt sich zeigten
mit großen kupfernen Platten, Kesseln, Tellern, alle blankge-
schcucrt daß sie wie'Kricgsschilde funkelten, dazwischen lange
Reihen aller Arten von Töpfen und Kochgeschirren aus rothcm
oder glasirtem Thon, und eben solche Reihen von Brette»,

Tellern, Platten, Walzen aus Holz; ferner zur Abwechslung
aus weißem oder versilbertem Metall allerlei Modeln, um
Speisen in zierliche Formen zu gießen, und endlich eine ganze
Reihe von Sieben mit farbigem Garnzeug, vom größten Ka-
liber, bis herab zum allcrkleinsten und in gleicher Auswahl
Mörser aus Messing, die jeder Apotheke Ehre gemacht hätten.
Zu beiden Seiten der Eingangsthür standen lange schmale
Manipulationstische, und in all' den vier offenen Fenstern
Töpfe mit Gewächsen; ein riesiger, blühender Stock Geranium
oder Storchschnabel, eine hohe Lavendclstaude, mehrere Scherben
mit dem saftiggrüncn zu Blüthenballcn verwachsenen, so wohl-
riechenden Basilienkraute, und dazwischen auch einige Töpfe
mit kurzfadigem Schnittlauch, um das Schöne mit dem Nütz-
lichen zu verbinden. Im Schatten dieser Töpfe lagen hin
und wieder goldgelbe reife runde Paradiesäpfel, oder eine
überreife große Gurke, die sich zu Samen austrocknen sollte,
und endlich auch manchmal eine Schote rothcn Pfesscrs. Links
a» der Wand zunächst dem Fenster zog sich aber eine lange
niedere Bank hin, auf der ein halb Dutzend blankgeschcucrter,
mit kupfernen Reifen versehener Wasscrkübcl standen, wohl
zugcdcckt, und aus einer mächtigen offenen Kufe schauten große
grüne runde Kugeln heraus, riesige Wassermelonen, welche
in der Kühlung lagen.

In diesem Küchcnhciligthumc pflegte cs gewöhnlich gegen
zehn Uhr Morgens stark nach Grünzeug zu riechen, gegen
zwölf Uhr entwickelten sich höchst schmackhafte Suppcngcrüchc,
das Feuer flammte hoch aus, und eine Stunde später roch cs
schon sehr ausgesprochen nach Saucen und Braten, daß Jedem,
wer nur an den Fenstern vorüberging, sogleich der Mund wäs-
sert^ Zwei Stunden darnach jedoch war all' dieser Zauber
spurlos und geruchlos verschwunden, an allen Wänden, auf
allen Tischen Alles wieder blank und weiß und in symmetrische-
ster Ordnung, und die Küche glich einer heiteren freundlichen
Wohnstube, die man etwa nur aus Laune mit Kochgeschirren
geziert zu haben schien.

Und die findige, ordnungsliebende, so reinlich handsamc
Fee, die mit so merkwürdiger Sicherheit und so großem orga-
nisativcm Talent diese heilige Stätte des Kultus der gesunden
und schmackhaften Gastronomie in Ordnung hielt, fast einzig
und allein in allen Departements versah, — denn ein ihr
bcigcgebcncS Küchcnmädchcn hatte eigentlich nur die Hindernisse
und Abfälle wcgzuräumen, welche sich bei täglicher Manipula-
tion ergaben, — war keine junge, hübsche, dralle Linzer oder
Prager Köchin, noch auch ein salonfähiger Cuisinicr aus Paris,
der in seinem Laboratorium wissenschaftliche Vorträge zu hal-
ten pflegt, und aus Bravour ganze Stücke Butter in's Feuer
wirft, um die Flammen lichterloh aufprasseln zu lassen, es
war vielmehr eine ziemlich dicke und alte Dame, dieselbe welche
dort links am Fenster sitzt, und so ziemlich einer weißen Mu-
lattin gleicht. Vor einem halben Jahrhunderte, wenn nicht
noch länger her, erhielt sic in der Taufe den frommen, alt-
kalvinischen Bibclnamen „Sarah", welcher im Ungrischcn noch
j zärtlicher „Schüri" ausgesprochen wird, und daneben dürfte
sic auch einen Vater gehabt haben, denn in ihrem Confirma-
Bildbeschreibung
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