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1!)

Einige von den Gardincn-Predigten re.

Unsere Mädchen brauchen neue Hüte, aber
woher sollen wir sic nehmen? Mit den fünf
Gulden hätte ich sie sammt den Bändern be-
kommen; nun aber können sie ihre alten fort-
tragcn. Ucbrigens sind cs ja deine Kinder, sic
sind dein Fleisch und Blut, und die Schande
fällt also nur auf dich zurück.

Du weißt vielleicht nicht, daß der kleine
Hanö heute Früh mit seinem Gummiball ein
Fenster zerbrochen hat. Ich wollte es zum
Glaser schicken, aber nachdem du fünf Gul-
den ausgcliehen hast, wollte ich wetten, ha-
ben wir kein Geld mehr, um cs machen zu
lassen. DaS Fenster bleibt also wie cs ist, ,
wir haben ja das schönste Wetter, um den armen Jungen bei
offenem Fenster schlafen zu lasse»! Er hat schon einen Husten
und cs würde mich nicht wundern, wenn diese zerbrochene
Scheibe am Ende noch seinen Tod herbeiführen würde. Wenn
der arme Junge stirbt, so fällt die Schuld seines Todes aus
das Haupt seines Vaters, denn ich weiß gewiß, daß wir das
Fenster nicht machen lassen können. Wie wäre es auch mög-
lich, wenn man fünf Gulden wegschenkt?

Morgen wäre die Police für die Braudassecuranz zu
zahlen; ich möchte wissen, wie wir dies machen sollen? Die
fünf Gulden hätten zweimal dazu hiugcreicht, aber jetzt ist
natürlich vom Assecurircn keine Rede mehr. Und nie kamen
so viele Feuer vor als jetzt! Ich werde die ganze Nacht hin-
durch nicht mehr schlafen können, aber was liegt dir daran,
wenn cö nur heißt: „der Herr Griesmcicr, der ist generös!

Wer fünf Gulden haben will, der braucht nur zu ihm zu
gehen!" . . . Deine Frau und fünf Kinder können alle mit-
einander lebendig in ihren Betten verbrennen, was uns ganz
sicher noch passirt, weil wir die Assecuranz nicht erneuern
können. Und nach so vielen Jahren, die wir versichert wa-
ren!... Aber wie kann man sich noch assecurircn, wenn man
gleich fünf Gulden auf einmal zum Fenster hinauswirft?

Was aus unserm armen, kleinen Mentor wird, mag
Gott wissen; während sein generöser Herr die fünf Gulden
aufzähltc, entwischte er aus dem Laden. Ich lasse ihn nie
allein auf die Straße, weil ich fürchte, daß er von einem
wüthcndcn Hunde gebissen werden und uns selbst alle beißen
könnte. Ich würde mich gar nicht wundern, wenn er mit
der Wuth zurückkäme und diese der ganzen Familie mittheilen
würde. Aber du denkst etwa an deine Familie! . . . Nein,
dazu hat Herr GrieSmeier keine Zeit, denn er muß die Leute
empfangen und anhören, die von ihm fünf Gulden wollen.

Nun spüre ich Rauch im Zimmer. Freilich; ist cS zu
wundern? Schon seit wenigstens acht Tagen sollte der Ofen
ausgeputzt werden. ... Pfui! Es ist zum Ersticken ... Bah,
was liegt meinem Herrn Gemahl daran, wenn er mich morgen
früh todt neben sich im Bette findet? Im Gegenthcil, dann
kann er erst recht das Geld fünfguldcnwcis auslcihcn,
und er wird sich freuen, meiner los zu sein.

Hörst du die Maus, die im Zimmer umherläuft? . . .

Ich höre sie, ich! ... Ich wollte, sie wäre groß genug, um
dich aus dem Bette hcrauszureißcu. „Man muß eine Falle
aufstellcn." Das ist allerdings das einfachste, aber wo daS
Geld hcrnehmcn, um eine zu kaufen, wenn man alle Tage
fünf Gulden einbüßt? . . .

„Horch !. ,. Höre ich nicht unten Lärmen? ... Es würde
mich nicht wundern, wenn Diebe im Hause wären. Es kann
vielleicht auch nur die Katze sein, aber die Diebe werden nicht
ausblcibcn. Die hintere Hauethüre schließt sehr schlecht, aber kann
man das Schloß richten lassen, oder einen Riegel kaufen, wenn
gewisse Leute fünf Gulden wie fü nf Kreuzer ausgeben?...

Unsere Babett hätte morgen zum Zahnarzt gehen solle»,
um sich drei Zähne ausreißcn zu lassen, die ihr Gesicht ent-
stellen. Jetzt ist leider nicht daran zu denken. Ohne die drei
Zähne wäre sie hübsch genug, um einen Reichsgrafcn zu hci-
rathcn; wer wird sie aber wollen, wenn sic die drei häßlichen
Zähne behält? Niemand. Wir werden sterben, und sic allein,
ohne Schutz, als eine alte Jungfer in der Welt zurücklassen.
Aber das ist dir vollkommen einerlei; für dein Kind hast du
kein Geld, denn du brauchst heute und wahrscheinlich auch
morgen und übermorgen und alle Tage fünf Gulden, da-
mit du sie deinen guten Freunden leihen kannst!"

„Somit," sagt Herr Gricsmeicr in einem Commentar,
den er dieser ersten Gardinenpredigt seiner Frau beifügte,
„konnte meine Ursi, die gute Seele, sich keinen Shwal kau-
fen, meine Mädchen mußten aus neue Hüte verzichte», der
kleine Hans war in Gefahr wegen einer zerbrochenen Fenster-
scheibe sterben zu müssen; die Fcucrassecuranz blieb uncrncuert
und dcßhalb stand der ganzen Familie daö Verbrennen bevor,
wenn nicht etwa vorher noch der wüthcndc Hund zurückkam,
um uns alle zu beißen und wüthcnd zu machen. Außerdem
drohte meiner guten Frau der Erstickungstod durch den Rauch
im Zimmer, während uns eine Maus schlaflos machte und
Räuber ausplündcrten, wodurch das Loos unserer armen Ba-
bctt nur noch trauriger werden mußte, da sic nach unserer
gänzlichen Verarmung wegen ihrer drei übercinauder stehenden
Zähne dem unglücklichen Schicksale einer hilf- und schutzlosen
alten Jungfer prcisgcgeben war.

Und dies Alles, weil ich fünf Gulden ausgeliehe» hatte!"...

(Fortsetzung folgt.)
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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Einige von den Gardinen-Predigten, die der ehrsame bürgerliche Strumpfwirker, Herr Ignaz Griesmeier, von seiner tugendsamen Gattin, Frau Ursula Griesmeier, geb. Zankeisen, während seiner 30jährigen glücklichen Ehe zu hören bekam."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Tollwut
Ehefrau <Motiv>
Karikatur
Prophetie
Kind <Motiv>
Tod <Motiv>
Hund <Motiv>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 34.1861, Nr. 811, S. 19
 
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