70 Verbrechen und Unglücksfälle.
ließ sich dieselbe wechseln.
Reiseabenteuer in Norwegen.
Sonderbar, wie sich unmerklich das harmonische Geläut
weidender Heerdcn in einen schrillen, ängstlichen Glockcn-
ton umwandelte, die schöne glänzende Sonncnschcibe zu einer
flackernden Wagenlaterne zusammenschrumpfte und statt des
lieblichen Gesanges heimkehrender Hirten die rauhe Stimme
eines Schaffners mir in die Ohren schallte: „Station B.—
3 Minuten Aufenthalt!" — Grausamer Schaffner—grau-
samere Eisenbahndircction! — Ist es denn unumgänglich
nothwendig, den glücklich entschlummerten und von den Schön-
heiten eines ländlichen Paradieses so süß träumenden Passa-
gier durch die sonore Mittheilung der scheußlichen Thatsache:
„Station B. — 3 Minuten Aufenthalt!" in die schnöde
Wirklichkeit zurückzurufen?! O, nur zu wahr ist die oft
gesungene und gesagte Klage, das Dampfroß habe uns die
Poesie des Reifens geraubt.
„O, hier sitzt erst ein Mensch!" — (dieser Mensch
war ich!) ruft der Schaffner. Die Thür, die sich, im Ein-
verständniß mit mir, heftig klemmte, weicht der Gewalt des
muskulösen Conducteurs und eine Gestalt, triefend von Nässe,
Reiseabenteuer in Norwegen.
wird zu mir hercingeschoben. „Verfluchtes Wetter! —"
Ich wagte nicht zu widersprechen. „Aber gar nichts gegen
die Schneestürme Norwegens! —" „Hm! Hm!" „Sic
waren nicht in Norwegen?"
„Ich war nicht da;" — verächtliches Achselzucken:
„Dann kennen Sie gar nichts!" Ich gab zu, gar nichts zu
kennen und glaubte dadurch die Verachtung meines neuen
Reisegefährten in so hohem Maße anzuregen, daß er mich
;u den ländlichen Fluren meines Traumes zurückkehren lassen
würde. — Weit gefehlt! —
Mit einem starken Ruck hatte er die Emballage seines
Kopfes herunter und sah mich mit einem Paar dunkler un-
ruhiger Augen an, die seinem bleichen, mageren Gesicht, das
von langem Haar eingefaßt war, einen unheimlichen — ich
möchte sagen — wahnwitzigen Ausdruck gaben.
Mit einem zweiten Ruck öffnete er eine Reisetasche und
holte aus derselben eine Karte — eine Spezialkarte von Nor-
wegen, die er mit fieberhafter Geschwindigkeit entfaltete, indem
er dabei bis dicht zu mir heranrückte.
„Sehen Sie —"
Ich wendete eilt, daß ich gar nichts sehe.
„Halten Sie einen Augenblick!" Er schob mir die
Karte auf den Schooß, stieg auf die Bank und versuchte die
an der Decke des Wagens befestigte Lampe aus ihrem Ge-
häuse zu nehmen. Vergebens bedeutete ich ihm, daß dieselbe
gleichzeitig das Nebencoupv zu erleuchten habe —
„Thut nichts — im Nebencoupv ist wahrscheinlich Nie-
mand — oder die Leute schlafen!" Ich wünschte mit Sehn-
sucht im Nebencoupv zu sein! — Er hatte die Leuchte wirklich
heraus und stieg damit siegesfreudig, wie weiland Aladin
mit seiner Wnnderlampc, von der Bank herunter. — „Sic
sehen, hier wo dieser Oelfleck ist —" er hatte mittels
der für wissenschaftliche Zwecke wahrscheinlich nicht con-
struirtcn Lampe soeben einen Oelfleck von der Größe eines
mäßigen Tellers auf die Karte gemacht — „Sie sehen hier
das Dovre Fjeld-Gebirge, welches sich zwischen Trondhjem
und AggerhuuS in südwestlicher, dann westlicher Richtung
hinzieht. Das Gebirge ist, wie Sie leider hier auf der
Karte nicht sehen können, rauh und zerklüftet — kahle Felsen
ließ sich dieselbe wechseln.
Reiseabenteuer in Norwegen.
Sonderbar, wie sich unmerklich das harmonische Geläut
weidender Heerdcn in einen schrillen, ängstlichen Glockcn-
ton umwandelte, die schöne glänzende Sonncnschcibe zu einer
flackernden Wagenlaterne zusammenschrumpfte und statt des
lieblichen Gesanges heimkehrender Hirten die rauhe Stimme
eines Schaffners mir in die Ohren schallte: „Station B.—
3 Minuten Aufenthalt!" — Grausamer Schaffner—grau-
samere Eisenbahndircction! — Ist es denn unumgänglich
nothwendig, den glücklich entschlummerten und von den Schön-
heiten eines ländlichen Paradieses so süß träumenden Passa-
gier durch die sonore Mittheilung der scheußlichen Thatsache:
„Station B. — 3 Minuten Aufenthalt!" in die schnöde
Wirklichkeit zurückzurufen?! O, nur zu wahr ist die oft
gesungene und gesagte Klage, das Dampfroß habe uns die
Poesie des Reifens geraubt.
„O, hier sitzt erst ein Mensch!" — (dieser Mensch
war ich!) ruft der Schaffner. Die Thür, die sich, im Ein-
verständniß mit mir, heftig klemmte, weicht der Gewalt des
muskulösen Conducteurs und eine Gestalt, triefend von Nässe,
Reiseabenteuer in Norwegen.
wird zu mir hercingeschoben. „Verfluchtes Wetter! —"
Ich wagte nicht zu widersprechen. „Aber gar nichts gegen
die Schneestürme Norwegens! —" „Hm! Hm!" „Sic
waren nicht in Norwegen?"
„Ich war nicht da;" — verächtliches Achselzucken:
„Dann kennen Sie gar nichts!" Ich gab zu, gar nichts zu
kennen und glaubte dadurch die Verachtung meines neuen
Reisegefährten in so hohem Maße anzuregen, daß er mich
;u den ländlichen Fluren meines Traumes zurückkehren lassen
würde. — Weit gefehlt! —
Mit einem starken Ruck hatte er die Emballage seines
Kopfes herunter und sah mich mit einem Paar dunkler un-
ruhiger Augen an, die seinem bleichen, mageren Gesicht, das
von langem Haar eingefaßt war, einen unheimlichen — ich
möchte sagen — wahnwitzigen Ausdruck gaben.
Mit einem zweiten Ruck öffnete er eine Reisetasche und
holte aus derselben eine Karte — eine Spezialkarte von Nor-
wegen, die er mit fieberhafter Geschwindigkeit entfaltete, indem
er dabei bis dicht zu mir heranrückte.
„Sehen Sie —"
Ich wendete eilt, daß ich gar nichts sehe.
„Halten Sie einen Augenblick!" Er schob mir die
Karte auf den Schooß, stieg auf die Bank und versuchte die
an der Decke des Wagens befestigte Lampe aus ihrem Ge-
häuse zu nehmen. Vergebens bedeutete ich ihm, daß dieselbe
gleichzeitig das Nebencoupv zu erleuchten habe —
„Thut nichts — im Nebencoupv ist wahrscheinlich Nie-
mand — oder die Leute schlafen!" Ich wünschte mit Sehn-
sucht im Nebencoupv zu sein! — Er hatte die Leuchte wirklich
heraus und stieg damit siegesfreudig, wie weiland Aladin
mit seiner Wnnderlampc, von der Bank herunter. — „Sic
sehen, hier wo dieser Oelfleck ist —" er hatte mittels
der für wissenschaftliche Zwecke wahrscheinlich nicht con-
struirtcn Lampe soeben einen Oelfleck von der Größe eines
mäßigen Tellers auf die Karte gemacht — „Sie sehen hier
das Dovre Fjeld-Gebirge, welches sich zwischen Trondhjem
und AggerhuuS in südwestlicher, dann westlicher Richtung
hinzieht. Das Gebirge ist, wie Sie leider hier auf der
Karte nicht sehen können, rauh und zerklüftet — kahle Felsen
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Verbrechen und Unglücksfälle"
"Reiseabenteuer in Norwegen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)