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71

Reiseabenteuer

—•_ bis in den Sommer hinein mit Schnee bedeckt — plötz-
liche und jähe Abhänge — kurz, das Ganze trägt den Cha-
rakter äußerster Wildheit!"

Ich war nun schon recht munter geworden und sing
nach und nach an mich mit dem weitgereisten Manne auszusöhnen.
Eine Frage nach Sitten imd Lebensweise des Volkes beant-
wortete er fließend und ziemlich eingehend.

„Ein Abentheuer aber" — fuhr er fort, zu meinem
Schreck die schmierige Lampe, um sie los zu werden, auf
den gepolsterten Sitz stellend — „ein Abentheuer bei der Be-
steigung des Sncehättan muß ich Ihnen doch erzählen,
das Ihnen von den Gefahren einer Gcbirgsreise in Nor-
wegen ein kleines Bild geben mag. — Wir waren, mein
Begleiter — ein englischer Marine-Offizier — und ich, von
zwei kundigen Führern begleitet, gegen 5 Uhr Nachmittags
aus einem elenden Nest, am Fuße des Sneehättan mitten
in der felsigen Einöde gelegen, aufgebrochen, um bis zum
Sonnenaufgang eine Hay — so nennt man hier die weit
sichtbaren Spitzen der Vorbergc — auf der halben Höhe des
Sncehättan zu erreichen. — Im Anfänge ging cs leidlich
rasch vorwärts; bald aber kamen wir an unwegsamere Stellen:
mächtige Felsblöcke versperrten den Weg und wenn wir uns
mühsam um dieselben herum gewunden, gähnte uns eine
Schlucht von unabsehbarer Tiefe entgegen. Wir hatten auf
Mondschein gerechnet, aber zu unserem Unglück bezog sich der
Himmel mit dichten, schwarzen Wolken, die kaum einen
Schimmer des freundlichen Gestirns hindurchlicßcn. Zwar
hatten sich die Führer mit Laternen vorgesehen, doch bald
wurde der Schnccfall so dicht, daß auch dieser letzte Hossnungs-
strahl kaum zwei Schritte vor uns den Weg noch zu be- •
leuchten vermochte."

Mein Interesse für den Mann wuchs von Wort zu Wort;
mit der gespanntesten Aufnierksamkeit lauschte ich seiner Erzählung.

„Mit Mühe und Noth erreichten wir einen überhängen-
den Felsen, der uns wenigstens auf Augenblicke einen Ruhe-
platz unter seinem schützenden Dache bot, denn ein längeres
Verharren würde die von Minute zu Minute steigende Kälte
verboten haben; wir schüttelten den Schnee von unfern Klei-
dern und stärkten uns durch einen erwärmenden Schluck Brannt-
wein. — In diesem Augenblicke aber stieß der eine Führer,
welcher an den Eingang dieser kleinen, natürlichen Felsen-
höhle getreten war, einen Schreckensruf auS. Bestürzt eilten
wir nach vorn und bemerkten, wie die mächtige Schneelast,
welche auf der ziemlich abschüssigen Deckplatte sich angehäuft
hatte, anfing herabzugleiten. Wenn wir blieben, wurden wir
verschüttet — gingen wir auch nur wenige Schritte weiter,
ehe der Mond den Wolkcnschleier durchbrochen, so stürzten
wir unfehlbar in eine der durch die dichte weiße Decke trügerisch
verhüllten Klüfte! — Hier das bleiche, grinsende Gespenst
dcö langsamen Hungertodes — dort vielleicht ein jäher

Sturz — dann Alles vorüber!-Ich war entschlossen,

das Aeußerste zu wagen und erklärte entschieden, die ver-
rätherische Felsenhöhle verlassen zu wollen, während mein
Begleiter schon in jene dumpfe Apathie der höchsten Vcr-

in Norwegen.

zweiflung versunken, weder durch Bitten noch durch Gewalt
zum Weitergehen zu vermögen war. Der Führer, welcher
zuerst jene gräßliche Entdeckung gemacht, hatte unsere Ent-
schlüsse nicht abgewartet, sondern war, schuftig genug, davon
geeilt, in Sturm und Wetter, dem gewissen Tode zu ent-
gehen, um dem gewisseren in die Arme zu stürzen. Der

zweite hatte sich in feiger Furcht auf den Boden geworfen
und tiefe Seufzer waren das einzige Lebenszeichen, das er
von sich gab. So sah ich mich von Allen verlassen, — das
Herz zitterte mir in der Brust — mein Haar sträubte sich
empor und ein kalter Schweiß drang aus allen Poren! —
Schon stürzten mächtige Ballen Schnee herab von der Fels-
dccke und häuften sich — uns vom Leben abschließend —
gegen dieselbe empor: in der Angst des Todes, ohne mehr
recht zu wissen, was ich that, ergriff ich die Laterne — brach
mir mit der letzten Anstrengung meiner Kräfte Bahn durch
die stürzende Schneemasse — das Licht der Laterne erlosch —
tiefe, gräßliche Grabcsdunkelhcit umgibt mich — ich wanke
einen Schritt vorwärts — da fühle ich, wie der Boden unter
meinen Füßen weicht — vergebens suchen meine erstarrten
Hände einen rettenden Halt — —"

Der Mann machte eine Pause, mit seinen großen Augen
gcspensterhaft vor sich hinstarrend; ich selbst aber hatte in
der Aufregung seinen Arm gepackt, ich hing an seinen Lippen
und konnte bei seinem Jnnehalten kaum die Worte heraus-
stoßcn: „Weiter, weiter! —wie wurden Sie gerettet!!?" —

„Ja, da liegt eben der Hase im Pfeffer! — das letzte
Kapitel fehlt mir noch — ich habe selbst noch keine Idee,
wie ich mich aus dieser Klemme ziehen werde!"

„Station Z.!" rief der Conducteur den Waggon öff-
nend. — „Wo ist der Herr nach Z.?"

Ah, das bin ich," rief der Mann seine Sachen hastig
zusammenraffcnd, „leben Sie wohl! Vielleicht fällt Ihnen
ein passender Ausgang ein; dann haben Sie die Güte mich
davon zu benachrichtigen — hier meine Karte!"

Ich rieb mir die Stirn — sah die Karte an — sie ent-
hielt nur die Worte:

„A. bl. F. Schneider, Literat aus Münchhausen."

b>. Schmidt.
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Reiseabenteuer in Norwegen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Ende
Ungewissheit
Eisenbahnzug
Erzählung <Motiv>
Ärmel <Motiv>
Karikatur
Schriftsteller
Spannung
Reisender <Motiv>
Satirische Zeitschrift
Thema/Bildinhalt (normiert)
Aufregung

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 43.1865, Nr. 1051, S. 71
 
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