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Von Michaelis

Wie aber nun erzählen, waS sich begab, als Laufner
mit dem wieder gefundenen Kinde in das stille Wohngemach
trat, wie die Mutter dem bestürzten Mägdlein bebend ent-
gcgenlicf, wie sie cs stürmisch heranzog an's Licht, wie ihre
Augen begehrlich das von der kalten Reise glühende Antlitz
deö Kindes beschauten, wie sic das Kind an sich preßte und
herzte und mit Thränen und Küssen bedeckte und wieder be-
schaute und von Neuem umschlang und an ihre Brust drückte!
Welch' Durcheinanderredcn, welche abgerissene, stammelnde
Worte, welch' Weinen und Lachen, welche Trunkenheit der
Freude! Auf dem Tisch lagen die Kleidchen des Kindes
ausgcbrcitet. Frau Genovefa und Sabine hatten, während
der Vater das Kind zu holen gegangen war, gemeinsam alle
jene Stücke betrachtet und wieder erkannt, da war selbst der
geweihte Schaupfcnnig, den die Mutter ihrem Kinde umge-
hängt, des Zahnens wegen, und den die Kleine noch trug,
als sie so spurlos verschwunden war. Es war ein Abend
voll Aufregung, ein Rausch des Entzückens, und doch zugleich
ein Abend voll tiefer Wehmuth. Erinnerte doch das lieblich
herangewachsene Mägdlein die Eltern so, lebendig daran, wie
viele, viele Jahre der Freude am Gedeihen ihres Kindes
ihnen verloren gegangen. Nun mußte ein Bett herbei-
geschafft werden für das betäubte, ermüdete Kind. Die alte
Sabel jagte in freudiger Hast und Aufregung durch'ö ganze
Haus, eine Bettstatt wurde hcrbcigetragen in den Schlaf-
gadcn, Kulter und Lailachen und Dcckclachcn herzugeschlcppt
und am Ofen gewärmt. Im ganzen Hause hatte sich die
Kunde verbreitet, Herr Laufner habe sein verloren Kind mit
heimgebracht, und die Mägde kamen durch's Gemach und
schauten neugierig nach dem Mägdlein, das ermüdet und be-
täubt auf dem Spanbett saß, gcliebkost und geherzt von der
unter Thränen lachenden Mutter. Ein Nachtimbiß war auf-
gestellt, aber wer vermochte zu essen? Magdalcne nicht vor
Müdigkeit und Betäubung, die Eltern nicht vor Freude und
Aufregung. Als aber das wiedergefundene Töchterlcin drinnen
im Schlafgaden in den durchwärmten Betten den ersten
Schlummer seit zehn Jahren im Vaterhause schlief, da saßen
die von freudiger Erregung fast trunkenen Eltern noch lange
beisammen. Laufner berichtete seiner Gattin, wie sich dies
Alles zugetragcn, und Frau Genovefa horchte in schweigendem
Staunen und unter häufigem Weinen zu, bis Laufner tief
bewegt seine Erzählung mit den Worten schloß: „Ja Vcfel,
die heilige Mutter Gottes, die unser Leuchen am heiligen
Christmorgcn so lang und inbrünstig angerufen, hat uns das
Kind wieder geschenkt und dem armen verlassenen Kinde die
Eltern!" Es war Mitternacht geworden und die Freude-
müden Eltern suchten ihr Lager auf. Herr Laufner trat
an's Fenster. Das Jahr ging leise zu Ende, leise und un-
bemerkt brach das neue an. Oben am Himmel glänzten
die Sterne in funkelnder Pracht. Hin und wieder in der
Gasse war noch ein Fenster erhellt, dort mochte wohl der
Eine oder die Andere in des Jahres letzten Augenblicken die
Zukunft erforschen in geschmolzenem Blei oder durch andere
Vorzeichen. Deö Kaufmann's Herz aber, als er hinaufblickte

bis Silvester. 163

zum Sternenhimmel, der in die Gasse hineinschaute, war ein
wortloses, stilles, inbrünstiges Dankgcbct.

Der überaus glückliche Erfolg jener anfangs vergeblich
scheinenden Reise kam aucb dem unbesonnenen Urheber der-
selben, Freigang'ö Toni zu Statten. Zwar ließ ihm Laufner
am folgenden Morgen mit ernsten Worten sein eitles Ge-
schwätz verweisen, aber ein reich NcujahrSgeschenk begleitete
und versüßte die scharfe Zurechtweisung. Die Kinder und
die Wittwe des wackeren Straubinger Webermeisters ernteten
fürderhin die reiche Frucht der mitleidigen Liebe ihres ent-
schlafenen Vaters und Gatten. Als Herr Laufner im näch-
sten Sommer gen Straubing ritt, brachte er, neben der
Kunde, daß Magdalene sein eigenes verlorenes Kind sei,
reiche Geschenke für Frau Kunigunde und deren Kinder mit
und wiederholte alljährlich die erwünschte Spende. Niemals
aber verließ Herr Laufner die Nachbarstadt, ohne nicht hin-
ausgegangen zu sein nach St. Peter's Friedhof, um am
Grabe des Mannes, der seinem Kinde ein freundlich Vater-
haus bereitet hatte, zu stehen und in dankbarer Liebe des
Hingeschiedenen zu gedenken. Das Gefühl des Neides brauchte
sich nicht mehr in die dankbare Empfindung seiner Seele zu
mischen, denn obschon Vater Weiler in des Kindes Herzen
fortlebte, so freute sich doch der wirkliche Vater längst der
innigsten Liebe seiner Tochter.

Helena, so ward nun die glücklich Gefundene wieder
genannt, war bereits zur holden Jungfrau herangeblüht, als
auch das letzte Räthsel: wie und warum die Walburg das
Kind bis Straubing gebracht und dort verlassen habe, gelöst l
werden sollte. Ein gartcnd Weib ward auf den Dörfern im
Weichbild der Stadt ergriffen beim Fclddicbstahl, und in die
Stadt cingebracht. So wüst und zcrstrobclt sie auch aus-
schaute, kam sie dem verhörenden Herrn doch bekannt vor
und endlich wurde ihm klar, cs müsse die Strolchin wohl
gar jene Walburg sein, die mit dem Kinde des Rathsherrn
Laufner vor etwa fünfzehn Jahren verschwunden sei. Herr
Laufner wurde herbeigeholt und dem heimathlosen Weibe un-
vermuthet gegcnübcrgestcllt. Der Schrecken der Frau beim
Anblick des Rathsherrn sprach deutlicher, als die geringe
Aehnlichkeit, welche dieselbe mit der verschwundenen Walburg
trug. Aber standhaft leugnete die Landfahrerin; sic sei von
weit her und niemals hier in der Stadt gewesen.

Doch die hochweise Justiz hatte zu jener Zeit der Mittel
gar viele, den Leuten den Mund aufzuthun zu unfreiwilligen
Geständnissen, zu wahren und zu falschen. Meister Schnurr-
hänslein wurde bestellt, um dem Weibe Beicht' zu hören und
ihm ein gut Geschirr zu machen. Er stellte sich ein mit
mancherlei seltsamen Instrumenten, und als der Landfahrerin
Daumen in den eisernen Schrauben steckten, und die Schnüpe
in Schienbeine und Schenkel schnitten, da bekannte die
Strolchin unter lautem Wehgeheul, sie sei ja die Walburg.
Diesmal hatte die Folter kein falsch Geständnis; erpreßt,
und als jetzt das erste Geständniß heraus war, da erzählte
die Jammernde auf die Frage, was sie mit dem Kinde ge-
macht, das ihrer Obhut anvertraut gewesen, und mit dem
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