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Mein freier Tag.

Als ich am Theater vorüber kam, standen einige Kollegen
unter der Thüre und Adolf Meyer fragte mich lachend, ob
ich bei dem schönen Wetter einen Spaziergang mache?

„Kennt Ihr den Neid? den hirnverwirrenden, herzzer-
fresfenden Neid?"

Ja, ich beneidete sie, die Glücklichen! Sie hielten ihre
Probe in dem trockenen, traulichen Theater, und ich hatte
frei — frei, um einen Hund zu suchen, der mich von Haut
und Haar Nichts anging. Wenn ich wenigstens wie der
Schneider Zwirn die Geschichte mit einer Zeitungs-Annonce
hatte abmachen können, ich hätte gern die Jnserationsgebühren
für das „Mvxxsrl xsräutto" bezahlt. Allein so glücklich
war ich nicht. Ich mußte selbst suchen, bei dem nieder-
trächtigen Wet — — doch halt! da bog so eben ein weiß-
gelbes Hündchen um die Ecke des Botermarktes — ja — ja
— das ist er! Hurrah!

„Frisch auf zum fröhlichen Jagen!"

„Bella! Bella! Komm, mein Hündchen! Bs! Bs!
BS! Bella!"

„Was locken Sie meinen Hund?"

„Ihren Hund? Ach, entschuldigen Sie, ich dachte es
wäre der Meinige."

„Warum nicht gar, wie können Sie meinen Hund für
den Ihrigen ansehen! Dummheiten, das!"

„Grober Kerl!" brumme ich dem dicken Holländer
nach, und schleiche enttäuscht weiter.

Ich begebe mich in die Regntierkerkstraat 1410, zu
! Jungfrau von Braag, der Näherin. Fräulein Bella hat ihre
! Aufwartung da nicht gemacht. Ich suche die Wohnung des
Theaterfriseur Bamberger auf und finde endlich nach drei
j Stunden, nachdem ich bei fünf falschen Bambergen: gewesen,
(einem Schubkärner — einem Diamantschleifer — einem
alten Professor — einem Häringshändler und einem Kleider-
trödler) den richtigen, um von ihm zu erfahren, daß auch er
die Daine Bella mit keinem Auge gesehen hat. — Ich trabe
weiter — Regen und Wind chikaniren mich um die Wette.
Ich trete in verschiedene Pfützen — falle einer Maste Bettler
in die Hände, welche die dortige Gegend unsicher machen —
erhalte von hausirenden Colleeteuren zahlreiche Offerte in
Lotterieloosen und komme endlich bei der Wohnung des
Musikdireetors an, der leider auch nichts von dem verlorenen
Hundevieh weiß.

Vier Uhr!

„O Therese! O Bella! Bella! hättest Du doch eine
Belladonna im Magen!"

Vom Winde geschüttelt wie eine wackliche Wetterfahne,
vom Regen durchnäßt bis auf die Haut, müde und hungrig,
schaue ich nach einer Restauration, um wenigstens eine kurze
Ruhe zu genießen — und meinen knurrenden Magen zu
befriedigen.

Sorgsamen Blickes spähend zur Rechten und Linken,

Gleich dem Falken voll Gier, dem lüftedurchsegelnden Jäger,

Zieh' durch die kothige Straße eilenden Schrittes ich weiter,
Bis mich mit lieblichem Glanz, winkend ein Wirthshaus-

schild grüßt.

Nein! Glänzend war das Schild nicht. Im Gegen-
theil, es sah recht schmutzig und trübe aus. „Hot wapen
van Neerland,“ so hieß die edle Restauration, in welche
mich mein Hunger trieb. Das Innere, der „Salon", mahnte
an die Geheimnisse von Amsterdam. Ich stellte meinen
Schirm nächst der Thüre nieder, damit er sich dort ungestört
über unser Elend ausweinen tonnte und sah mich in der
Halle um. Recht nette Gesellschaft! Ein Bischen gemischt —
aber einem Charakterspieler ein reiches Feld für Maskenstudien
bietend. Da waren Matrosen — Lastträger — Hausirer
— Kruidenaare, gemischt mit anderen Individuums, von
höchst zweifelhaftem Charakter und noch zweifelhafterer Wäsche.
Ich plaeirte mich in eine ferne Ecke, neben einen alten, ziem-
lich anständigen Herrn, wie mir schien, eine Art armer
Bureaukrat und jedenfalls der Repräsentant der nobleren
Stammgäste des Hauses: „Hst wapen van Neerland“.

Ich bestellte ein Beefsteak. Es kam sofort. Ich mag
die Beefsteaks nicht, welche schon vorräthig sind. Als ich es
kostete, schwebte mir die gemordete Bella vor — sollte Therese
Recht haben? — Ich kostete es wieder — Nein, es war
kein Hundesleisch, obwohl mir der Ochse, dem es entnommen
war, in seiner Jugend ein alter Kater gewesen zu sein schien.
Doch „der Hunger treibt gekochte Schuhsohlen hinunter",
heißt ein süddeutsches Sprichwort. Ich aß, zahlte und wollte
meinen Leidensweg fortsetzen.

„Wo ist denn mein Schirm?"

„Was für ein Schirm?"

„Naive Frage! Mein Regenschirm, den ich da in den
Ständer gestellt habe."

„Haben Sie einen Schirm da hinein gestellt!"

„Na freilich, sonst würde ich ihn nicht suchen."

„Da wird er wohl noch darin stehen."

„Wie Sie sehen, steht er aber nicht mehr da!"

„Sie werden ihn wohl nicht hingestellt haben."

„Mynheer! Ich sage Ihnen aber er stand da und ist
wie es scheint gestohlen worden."

„In meiner Restauration wird nichts gestohlen —
merken Sie sich das!"

„Ich werde mir das merken, sobald Sie mir meinen
Schirm beischafsen!"

„Beweisen Sie mir erst, daß Sie einen mitgebracht
haben!"

„Na, das ist heiter! Eine ganz neue Mode, Diebstähle
in Schutz zu nehmen."

„Wer sind Sie denn eigentlich, Sie — Sie —"

„Wer ich bin geht Sie gar nichts an — ich verlange
meinen Schirm!"

„Und ich werfe Sie hinaus, wenn Sie so fortschreien!"

„Hinauswerfen! Was! Mich? Hinauswerfen, aus einem
Hause, wo ich ein schlechtes Beefsteak heldenmüthig hinunter-
gewürgt und mit 50 Cents bezahlt habe?"
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