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178

Geschichten aus der llkrän e.

ungern hier bleiben, denn luciut unser Schmied sich's einmal
in den Kopf gesetzt hat, zn feiern, so kann man ihm Hunderte
bieten, er arbeitet nicht. Er' ist einmal so!"

Der Noth gehorchend, mußte ich nachgeben. Im Grunde
: freute ich mich sogar, hier übernachten zn können, denn ich
hörte den Alten gar zu gern erzählen und heute hatte er mich
auf seine Geschichte von der Eiche noch besonders Neugierig
gemacht, die, ivie alle mündlichen Ueberliefernngen in Klein-
rnßland, gewiß interessant sein mußte.

Nachdem Taras Samsonowitsch noch für ein gutes
Vesper- und Abendbrod Auftrag gegeben hatte, setzte er sich
zn mir in den Schatten der Eiche, zündete sich eine Cigarre
! an und begann:

„Was ich Ihnen hier erzähle, habe ich genau so von
meinem Großvater selig gehört und er von seinem Groß-
vater, meinem Urältervater also. Die Geschichte passirte zur
Zeit, als Bogdan Chmelnicki *) den Kampf für das Vaterland
und den heiligen orthodoxen Glauben kämpfte und sich in der
llkräne Alles — Adel, Kosaken, Bürger und Bauern — für
! diese thcucrstcn Güter erhoben hatte. Kein Wunder, daß
unter einer so großen Volksmasse und in einer so heiligen
Sache so berühmte Helden und Führer erstanden sind und
so ruhmvolle Thaten geschahen, wie sie weder früher gehört
wurden, noch die Welt je tvieder sehen wird.

Nach der Schlacht bei Korsun, als die geschlagenen
Polen in alle Winde auseinander stoben und in ihre Burgen
und Schlösser flüchteten, sandte ihnen der Hetpian, um
ihnen keine Zeit zn lassen sich tvieder zu sammeln, eine
außerordentliche große Anzahl Bolontaire nach, welche die
polnischen Edellentc und Pfaffen schonungslos verfolgten.
Diese Kriegerhaufen sonderten sich sodann zn einzelnen
Kameradschaften, wählten sich einen Führer und zogen nach
Wolhynien und Podolicn, wo sie sich später ansiedelten,
i In der Gegend von Lubcti lebte damals ein in der ganzen
llkräne berühmter Held, welchen man tvegen seiner Wildheit
und außerordentlichen Körperkräfte mit dem Namen „der
Wolf" belegte. Denn damals waren die Wolfe noch nicht
solche Lainmsnaturen wie jetzt, sondern große und starke
Bestien, welchen man nur mit außerordentlicher Anstrengung
beikvmnien konnte. Daher möchte man auch die Thaten,
die man von diesem Helden erzählt, jetzt kaum für möglich
halten, aber sie sind uns von so glaubwürdigen Leuten
j überliefert, daß jeder Zweifel schwinden muß. Er hielt
mit seiner Hand ein Mühlrad in seinem Gange auf, schwamm
j mit einer zweihundert Pfund schweren Last um den Nacken
durch die breite Sula und trug zwei Mühlsteine von je
zehn Pud Gewicht zehnmal hintereinander um sein Hans
und Garten herum. Wer in seine Kameradschaft aufgc-
nommen werden wollte, mußte zuvor eine Probe seiner Kör-
perkraft bestehen: trug er die Mühlsteine dreimal um's Hans
so >vard er sein Kamerad, trug er sie sechsmal, so ward er
sein Bruder.

Unter die auserlesene Schaar dieser Genossen des
„Wolfes" trat auch mein Urahne Samson Korota, in der
That ein wahrer Samson. Er war hoch gewachsen, breit-
schnlterig und, obgleich er erst vier und zwanzig Jahre zählte,
außerordentlich stark. Er trug die Mühlsteine sechsmal um
das Haus und hätte cs noch znm siebenten und achten Mal
gethan, lvenn ihn der „Wolf" nicht davon zurückgehalten
hätte, ans Furcht, von dem Jünglinge selbst in den Schatten
gestellt zn werden.

Mit einer Sotnie*) solcher Helden, welche mehr als
tausend andere aufwogen, zog der „Wolf" nun nach Vol-
hynien. Er wollte dort den Fürsten Wischnewezki erwischen,
welcher sich noch allein hielt. Aber mit ihm war es auch
keine leichte Sache, sich zu messen; er war selbst ein tapferer
Held und hatte eine auserlesene Mannschaft um sich. Grau-
sam und gewaltthätig wurden alle Städte und Dörfer, durch
die er mit seinen Truppen zog, dem Feuer und Schwerte
überliefert, und weder Jung noch Alt geschont.

Einmal nach einem Scharmützel mit dem Fürsten machte
die Schaar des Wolfs vor einem Walde Halt, um daselbst
das Nachtlager aufznschlagen und mein Uhrahne wurde beauf-
tragt, den Wald zn durchspähen, ob keine Polen darin ver-
borgen wären. Es dunkelte bereits als er au eine Quelle
gelangte, ans welcher ein schlank und hochgewachsenes Mäd-
chen Wasser schöpfte. Das Mädchen war so schön, wie man
sie, so zn sagen, weder im Liede findet, noch im Traume
sicht, sah aber dabei so blaß wie der Tod ans und hatte
von Thränen geröthete Augen.

»Armes Kind, ivas machst Du hier?" fragte mein Ahne.

»Ich hole Wasser für meine Mutter."

»Wo ist Deine Mutter?"

„Dort im Walde liegt sie krank und sterbend," ant-
wortete das Mädchen weinend. „Die Soldaten haben unser
Dorf Niedergebrannt, meinen Vater und meinen Bruder ge-
tödtet, der Mutter die Lanze in die Seite gestoßen und wir
würden dem Tode nicht entgangen sein, wenn cs uns nicht
gelungen wäre, hierher in den Wald zn flüchten. Jetzt aber
liegen wir schon den vierten Tag da, ohne Nahrung."

Obgleich mein Ahne der Wolf'schen Horde angehörte,
so war er doch ein gefühlvoller und gottesfürchtiger Mensch.
Er zog ein Stück Brod ans seinem Futtersacke, reichte es
dem Mädchen hin und sagte: „Führe mich zu Deiner Mutter,
vielleicht kann ich ihr in etwas helfen."

Nachdem sie einige Minuten gegangen waren, blieben sie
vor einer Eiche stehen, an deren Fuße eine sterbende Frau,
mit Blut befleckt und mit verbrannten Beinen lag. Als sie
meinen Ahn erblickte, Ivar es als ob sic neu auflebte, und
ihre Angen erglänzten vor Freude.

„Kosak!" redete sic ihn mit schwacher aber durchaus
verständlicher Stimme an: „Nicht aus eigenem Willen

kommst Du her, sondern Gott schickt Dich, um eine hülflose
Waise zu retten!"

') Lies: Chinielnizki, der bekannte Kosakenhetman, starb IU54.

) Compagnie von hundert Mann.
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