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(5 Die Drossel.

Da sitzet auf ihrem hölzernen Spahn
Im Käfig, der sic umgattert.

Weil sie in's Weite nicht fliegen kann,

Ganz fröhlich die Drossel und flattert.

D'rum, wenn das Leben schwer Dich drückt
Und Nichts Dir will gelingen,

Und wenn Dir nichts auf Erden glückt
Und Jubeln vergeht und Singen,

Und necken Dich auf des Lebens Bahn
Frau, Unglück und andere Gespenster,

So schaffe Dir eine Drossel an

Und hänge sie an Dein Fenster. vr. ücilrr.

Das gcschcidtc Hündchen.

Auf dem Oberamt saß der Aktuar Müller, bis über die
Ohren in seine Akten vertieft, als plötzlich heftig an die
Thüre gepocht wurde. Auf sein „herein!" trat rasch eine
junge Dame in das Zimmer, die in höchster Aufregung die
Worte hervorstieß: „Herr Aktuar, helfen Sie! Sie müssen,
Sie werden mir helfen! Ich beschwöre Sie!"

Der Aktuar war kein bloßer Aktenmensch, er war ein
Mann von Gefühl; zudem war ihm die Dame nicht unbe-
kannt, und ihr Vertrauen, ihre Hingebung in Verbindung
mit ihrer Schönheit rührten ihn tief. „Was ist vvrgefallcn,
mein Fräulein?" rief er, „ich bitte, reden Sie! Wenn irgend
meine Pflicht es erlaubt—" „O gewiß, Sie können helfen,
wenn Sie nur wollen! Sehen Sie, gleich wird man ihn
bringen, hierher zu Ihnen!" „Aber wen denn?" „Wen
anders als meinen Liebling, meinen herzigen kleinen Joli?
Ach, das arme Thier, es hat's gewiß nicht in böser Absicht
gethan, er ist ja so lieb, so gutartig —" „Bitte, was hat
er denn gethan, Ihr Joli?" „Er hat aus Versehen, o ge-
wiß, blos aus Versehen — Jemanden gebissen. Aber nur
ein klein wenig, nur in's Bein. Und überdies war es blos
ein Bauer. Er schritt au mir vorüber, ich höre einen Schrei,
ich wende mich um, da steht der Bauer und ruft: „Das Thier

Das gescheidte Hündchen.

hat mich gebissen! und hält das Bein in die Höhe. Un-
glücklicher Weise war ein Polizeisoldat in der Nähe, der arg-
lose Joli lauft ihm gerade in die Hände, er faßt ihn —
gleich werden sie mit ihm da sein. Ach helfen Sie, retten
Sie! Ich verzweifle."

Der Aktuar machte eine bedenkliche Miene. „Eine böse
Geschichte, mein Fräulein," sagteer. „Sie wissen, es spuckt
in unserer Gegend mit wuthverdächtigen Hunden, und cs sind
deßhalb die strengsten Verordnungen gegeben. Jndeß", fügte
er tröstend bei —- ein flehender Blick aus schönen Augen
hatte ihn getroffen, „ich will thun, was ich kann. Begeben
Sie sich jetzt nach Hause! Hier, durch diese Thüre, wenn ich
bitten darf, man soll Sie nicht sehen, und die Leute kommen
schon." Die bekümmerte Schöne entfernte sich eilig.

Der Aktuar kaute an seiner Feder; der Fall war klar,
und das Gesetz wegen bissiger Hunde lautete bestimmt.. Er
kaute noch immer, als der Bauer hereintrat, gefolgt von dem
Polizeidiener, der den Verbrecher auf dem Arm trug. „Es
ist gut," sagte der Aktuar, nachdem der Polizeisoldat kurz
seinen Rapport abgestattet hatte, „sperren Sie das Thier hier
in das Nebenzimmer." Es geschah. „So, nun sind Sie
entlassen. Ich werde jetzt den Kläger vernehmen." Das
Verhör begann.

Aktuar: „Also Ihr seid gebissen worden?"

Bauer: „Ja, Herr Aktuar."

Aktuar: „Wohin? Laßt sehen."

Bauer: „Hier, in die Wade."

Aktuar: „Wie ging das zu?"

Bauer: „Ich ging auf der Straße daher, auf einmal
spüre ich einen heftigen Schmerz in der rechten Wade und
schreie Au weh! Wie ich mich umwende, steht das Hundle
hinter mir und reißt noch das Maul auf, daun rennt es
davon. Aber der Polizeidiener Halls gleich gepackt."

Aktuar: „War es derselbe kleine Hund, der eben hie-
her gebracht worden ist?"

Bauer: „Ja, der war's."

Aktuar: „Habt Ihr Euch vielleicht ein besonderes
Kennzeichen au ihm gemerkt?"

Bauer: „Ja, als er so dastand und das Maul auf-
riß, da sah ich, daß er einen gar schönen Federschwanz hatte."

Der Aktuar spielte mit der großen Papierscheere, die
auf seinem Schreibtische lag. „Einen Federschwanz, sagt
Ihr? das ist wohl ein Schweif, der recht schöne buschichte
Haare hat?"

Bauer: „Ja, so ist's, Herr Aktuar."

Aktuar: „Nun gut, wir wollen ihn betrachten, ich
will den Hund holen."

Er ging iills Nebenzimmer — die Papierscheere hatte
er in Gedanken in der Hand behalten — und kam gleich
darauf mit Joli zurück, den er auf den Tisch stellte und fest-
hielt. „Das scheint mir kein so rechter Federschwanz zu
sein. Sehet selbst her." Der Bauer betrachtete das Thier
und trat betroffen drei Schritte zurück. „Das Hundle ist's,"
sagte er, „das kann ich beschwören, aber der Federschwanz ist fort."
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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Das gescheidte Hündchen"
Weitere Titel/Paralleltitel
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Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Sorge
Bitte <Motiv>
Muff
Dame <Motiv>
Karikatur
Schreibtisch
Hundebiss
Satirische Zeitschrift
Aktuar <Versicherung>
Thema/Bildinhalt (normiert)
Aufregung

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 47.1867, Nr. 1147, S. 6

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Rechteinhaber
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