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j 26 Der Rathskeller

Streich begangen, war darauf sehr zahm und ehrbar gcwor-
; den und hatte zuletzt eine Tochter Marienheims als sein leib-
lich-tugendsames Ehcgemal heimgeführt. Sie hatten nur ein
! Kind, den Jean Baptiste. Er wurde aber ein schlanker,
prächtiger Knabe mit klugen, feuerigen Augen, wilden, schwar-
zen Locken und einem außergewöhnlichen Geiste. Seine Mutter
war früh gestorben und sein Vater wollte aus ihm einen
großen, berühmten Mann machen, der Latein und Griechisch
parliren sollte, wie seine Muttersprache. So hielt er ihm
denn Lehrer auf Lehrer, aber der Jean Baptiste war kein
Freund von trockenen Vocabeln und dem langweiligen Ueber-
sctzen. Anstatt in der Stube zu sitzen und monsu zu kauen,
oder die noch gar bitterere Wurzel tüxto — lungerte er
lieber, die Hände in den Hosentaschen, in der Stadt herum,
durch die engsten, verrufensten Gassen, und dann sagte er,
das sei romantisch — oder er verzierte mit einer besonderen
Virtuosität, vermittelst eines Stückes Kohle, den Leuten die
Häuser. Auch machte er auf Pergament und Schiefertafeln
erkleckliche Arbeiten — Verse und Zeichnereicn, wie es ihm
; gerade in den Sinn kam. Lustige Herren mit Zöpfen, zier-
lichen, spitzen Degen und noch zierlicheren Beinen — steife
Damen mit Reifröckcn und hohen Frisuren — Meerkatzen
und Küchengeschirr u. s. w. Und als der niederländische
Maler Jan Hagel, der sich gerade derzeit in Maricnheim
aushiclt, einige dieser artigen Bildchen in die Hand bekam,
klopfte er dem Jean Baptiste auf die Schulter, redete ihm
\ zu, und meinte, er wäre ein ganzer Kerl und solle nur so
fortfahren; und zum alten Puppenbcrg sagte er, er solle dem
; Jungen die griechischen und lateinischen Bücher vom Halse
i lassen, dabei würde nimmermehr etwas aus ihm werden, denn
! das wäre ein geborener Maler — da hätten Sie aber den
> Alten sehen sollen, wie er herausfuhr und schrie:

Was sagt Ihr, Meister Hagel, was sagt Ihr — ein
j Landstreicher soll mein Sohn werden, ein Vagabund, so ein
! fahrender Gesell, wie 's Hunderte gibt, nichts an und nichts
! in sich. Oho! da kommt Ihr mir recht. Ein Gelehrter
soll er werden — ja, aber nicht so ein Farbenkleckser wie
Ihr meint. Ein llsetor mu^nlÜLus in Hclmstädt — ein
lumen mundi — ja ein lumen cooli — eine Himmelsleuchtc,
wenn's d'rauf ankommt.

Da nahm Jan Hagel sehr kalt seinen Hut, verbeugte
- sich vor dem bös sprudelnden Herrn und sagte ernst und
s feierlich:

Da hilft kein Menschendenken. Was der Jean Baptiste
werden soll, das wird er, so ihn Gott leben läßt — nickte
noch einmal dem Knaben freundlich zu und schritt zur Thüre
hinaus.

Nach dieser Begegnung ward aber mit dem Jean Baptiste
ein ander Spiel angcfangen; er durfte nicht mehr auf den
Gaffen herumschlendcrn, sondern mußte zu Hause bleiben und
lernen — durfte auch nicht mehr zeichnen oder Verse schrei-
ben — höchstens lateinische; aber dazu hatte er keine sonder-
liche Lust. Es war ein rechter Jammer für ihn, immer
die Hofmeister zur Seite, die strenggefaltetcn, wohlgepuderten

von Marien hei m.

Jnformatores, die er doch zum Tod nicht leiden konnte. Ein
Jahr trug er's, da war er 14 Jahre alt geworden, aber
groß und stark wie ein Mensch von 18. Sein Entschluß |
war gefaßt. Eines Morgens hieß cs, der Jean Baptiste sei
durchgcgangen und kein Mensch wiffc, wohin.

Seine beiden Quälgeister, die gelehrten Herren, irrten
jammernd durch die Gassen und suchten ihren verschwundenen
Zögling, denn sie dachten, er wolle ihnen nur ein Schnipp-
chen schlagen, ein Bischen Angst machen, und werde ihnen
baldigst aus irgend einem romantischen Hause von einem
Fenster herab zunicken, dem geschah aber nicht so — in
der Stadt war er nicht zu finden. Da machten sie sich
nun auf sammt dem alten Rathsherrn, der seinem Söhn-
lein nachheulte in allen Tonarten, um ihn auf seinen Irr-
wegen wieder einzuholen und zurückzubringen, als den ver- j
lorenen und nun wiedergefundenen Sohn im Evangelium, i
Zu den drei Thoren Marienheims zog je Einer hinaus auf
einem muthigcn Rößlein und nach 6 Tagen wieder herein, ;
betrübt und traurig wie vordem; denn sic hatten ihn nicht
gefunden. Nun kehrte sich des Alten Zorn aber gegen die
Herren Jnformatores selbst, daß sie schlechte Hennen gewesen
seien, ohne Lust und Liebe zu ihrem Beruf, da sein Küchlein
sich also verflogen habe in die weite Welt. Mit Schimpf
und Schande wurden sie entlassen und der Alte heulte nach
wie vor in seinem Hause herum, ja wenn es ihm cinsiel,
selbst zum Fenster hinaus, daß es klagend schrill die Straße
hinabklang — sein: Jean Baptiste, Jean Baptiste! — bis
der Bürgermeister ihm diese unziemlichen Allotria unter-
sagte, da die Gassenbuben den Namen aufgcgrissen hatten und
ihm eines Tages mit lautem Gaudio nachzogen und seines
Sohnes Namen hinter ihm herriefen unter obligatem anderen
Skandal.

Zehn Jahre waren so vergangen. Der Sommer war
im Scheiden begriffen — mit dem August. Ein feuchter,
wilder Wind trieb die Wolken in drohenden Gestalten über
die Stadt hin. Die Marienstraßc hinunter schritt ein selt-
samer, fremder Gesell, mit zerrissenen Kleidern und einem
zerrissenen Gesichts Sie paßten beide zusammen, denn beide
mochten andere Tage gesehen haben. Der Rock mochte von
Sammt gewesen sein, jetzt war er abgetragen und an vielen
Stellen aus den Nähten. Die Hosen waren in jene unbe-
stimmte Farbe übcrgcgangen, die das Alter verleiht, die seidenen j
Strümpfe waren schmutzig, die Schuhe grob und schienen
. einen weiten Spaziergang gemacht zu haben. Das Gesicht
des Menschen war bleich und eingefallen. Die dunkeln Haare
hingen wirr und ungepndcrt in ihrer ganzen Länge um seinen
Kopf, der Treffenhut saß tief in die Stirne hinein; dir Hände
auf dem Rücken ging er langsam die Straße hinunter, bis
er vor das HauS des alten Puppenbcrg kam. Vor diesem
blieb er stehen, blickte lange vor sich hin — daö Haus an.
Die Thüre war zu — er pochte. Zu ebener Erde öfsnete sich
ein Fenster, ein verrunzeltes Manusgcsicht mit einer spitzen,
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