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Aus zwei Jahrhunderten.
I Schreibe und Rechne und so vil Latein als sie beim Herrn
Pfarrer lerne, sagt mein Mann, das zusamme ist genug, .das
sie könne durch d' Welt komme, ein auspuzter Kopf und
Gottesfurcht bringe Einen schon vorwärts, sagt Er. Und
' Mancher hat schon vil Hundert Verstndirt und ist erst zu
Nix z'brauche, wie des Pfarrers sein Karl von Nordwciler.
Der hat am Stephanstag seine erste Predigt gethan und
. beim Ausderkirchegehc steht seine Mutter eine Bäurin sich
: die Auge wische. „Nicht wahr, Nachbarin, sagt sie, mei
' Karl hat ihr auch 's Herz recht gerührt." „Des net, sagt
das Bauernweib, aber i han denke müsse, der Karl Hot des
Herrn Pfarrers schon so viel Geld Gekost und jez kann er
erst Nir." Aber Musik lerne unsre Bube und Mädle auch
recht schön beim Schullehrer, und Erdbeschreibung, die ist ja
mein Mann sein Steckenpferd.
So wirds schon recht werde. Versäume thun wir grade
Nir an unfern Kindern und lasse es uns recht Sauer werde
für sie. Ordentlich Acker und Wiesen hat mein Mann auch
; schon Gekauft für alle Fälle, die kan mir und den Kindern
einmal Niemand wcgtrage, sagt Er. Und Rechtschaffene Leut
solle sie einmal ebe werde, das ist die Hauptfach. Da hat
; mir vor vier Woche in der Predigt unser Herr Pfarrer
wohl gefalle. Er hat Einem die Erziehung der Kinder recht
wichtig Gmacht und zum Ausgang Gsagt, man soll ja
Alles Thun was man könne, und dürfe sich wohl einbilde
I man könne selber Alles ausrichte, Wenns aber dann gelinge,
solle man Gott die Ehr' gebe, der müsse wie immer und
überall seinen Segen Spende sonst helfe Alles Nir. Daran
halt ich mich und es bleibt also' auch in diesem Stück beim
„Bet' und Arbeit."
Mit des Herrn Pfarrers sind wir halt immer recht
Gut. Sonst komm ich Nirgend mer vil hin und auswerts
, schir gar nicht mer. Da muß man sich das Maul sauber
! halte bei so schwerer Haushaltung. Und jetzt verlier ich erst
j noch aufs Frühjar meine alte Magd. Denkens Frau Tante
! die Heirath noch in ihre alte Dag. Am Verspruchsdag hats
erst noch einen rechten Gspaß gegebe mit ihr. Es war aus-
' gemacht, zu den Ackern und Wiesen und der Kuh hin solle sie
auch noch Stroh mitkriege, 25 Bund. Wie nun ihr Vater
dem Gegenschwähcr die 25 Stück vom Heuboden heruntcr-
geworfen hat und damit fertig war, ruft dieser hinauf:
„Schmeiset nur noch 25 runter, sie ist so gar alt und wüst."
Jez ists aber Gnug. Komme Sie gwiß zur Tauf.
Ihre Rcspcgtvolle und Gehorsame Base,
Dorle Müllerin Ambtmännin.
Sechster Brief.
Waldhausen, im August 1859.
Heißgeliebte Taute!
Ich habe lange nicht geschrieben. Wer kann auch mit
Privatinteressen sich abgebcn in einer Zcitepochc wo Europa
in Geburtswchen liegt und auf einer Nadelspitze tanzt, wie
Schiller sagt. Politik ist jetzt mein Alles, ich stecke mit
Haut und Haaren darin. Wie sich doch der Geist und Geschmack
ändern kann! In der Pension waren wir oft voll Gift und Galle
über unsere Gouvernante, die uns die Zeitung erklären und
für die Politik intercssircn wollte. Damals war uns an den
Zeituugöblättcrn Nichts wichtig als wenn von einem Wett-
rennen oder einem Heirathsgcsuch Etwas zu lesen war oder
die Schako's der Lieutenants eine andere Form bekommen
sollten, statt besten sollten wir uns für grauhaarige Staats-
männer, für langweilige Friedensunterhandlungen oder lang-
athmige Parlamentsreden enthousiasmiren. Und jetzt! wie
schmachte ich nach jedem Zcitungsblatt, hungre und dürste
nach diplomatischen Depeschen, nach neuen Thaten und Reden
meiner Helven! Ja ich darf mir sagen ich bin geistig weit
vorgeschritten in wenigen Jahren. Nach der lumpigen Ge-
sellschaft, meiner Umgebung frage ich fast gar Nichts mehr,
ich lebe auf den Höhen der Menschheit, da athmc ich welt-
geschichtliche Luft und schaue auf die ordinäre Welt herab
wie ein Adler auf die Käfer im Mist.
Leider ist Niemand in der Peripherie meines Daseins,
der meinen Geistesflügen Nachfolgen kann. Mein Mann
lebt einzig seinen Gütcrhändeln, Zielerkäufcn, Aktiengeschäften
und solchen Lumpereien. Alles sonst ist ihm sämmtlich wurst.
Er wird auch unleidlich dick und das Kartenspiel macht ihn
für die Geselligkeit und Ideale ganz todt. So ist er wie
alle solche Fettbäuche, stockconservatif, ich dagegen ströme über
von Humanität Freiheit und Gleichheit und schwärme in
Allem waö edeldenkender Köpfe würdig ist. Jedes von unö
geht jetzt seine eigenen Wege, wie das ja auch sonst das Loos
in der Ehe ist. Es ist in höheren Ständen einmal nicht
anders.
Also von Politik wollte ich reden. Ach daß es anno 48
mißglückt ist! Republik ist eben natürlich meine Losung. So
wie aber jetzt die Dinge stehen, muß man als Weg dazu,
die Drhas ansehen, wie unlängst ein edler Geist in einem
Clubb, dem ich angehöre, ausgesührt hat, ein Fcuerkopf voll
idealer Freiheit und Ewigkeitsgedanken. Ja eine Dryas, das
glaube ich auch ist das einzige Heil für unser armes Vater-
land. Schon der Name spricht dafür, wie ihn mein mytholo-
gisches Wörterbuch mir erklärt hat, „ Baumgöttin" heißt das ja,
also Freiheit wie im freien naturwüchsigen Wald, ein prächtiger
Gegensatz von den steifen, abgestandenen Formen des ge-
schichtlichen Rechtsbodenö, von dem die Strohköpfe so viel
faseln.
Aber der Napoleon ist dann doch auch mein Held.
Das ist ein Kerl gegen den die Andern alle Hunde führen
müsien. Ach! ich war auf der Rückreise, von meiner Bade-
cur einen halben Tag in Straßburg. Tage und Nächte hatte
ich mich schon des Glücks gefreut, sein Land betreten zu
dürfen, ja — ich gestehe dies — ich malte mir in meinen
Träumen als ganz gewiß aus: der große Mann müsse gerade
an diesem Tag in Straßburg anwesend sein, ich sähe ihn, er
sähe mich an mit seinen universalhistorischen Augen, ein süßer
Traum flüsterte mir sogar Etwas von einem Kuß zu von
diesen olimpischen Lippen des Heilands unseres Jahrhunderts;
Aus zwei Jahrhunderten.
I Schreibe und Rechne und so vil Latein als sie beim Herrn
Pfarrer lerne, sagt mein Mann, das zusamme ist genug, .das
sie könne durch d' Welt komme, ein auspuzter Kopf und
Gottesfurcht bringe Einen schon vorwärts, sagt Er. Und
' Mancher hat schon vil Hundert Verstndirt und ist erst zu
Nix z'brauche, wie des Pfarrers sein Karl von Nordwciler.
Der hat am Stephanstag seine erste Predigt gethan und
. beim Ausderkirchegehc steht seine Mutter eine Bäurin sich
: die Auge wische. „Nicht wahr, Nachbarin, sagt sie, mei
' Karl hat ihr auch 's Herz recht gerührt." „Des net, sagt
das Bauernweib, aber i han denke müsse, der Karl Hot des
Herrn Pfarrers schon so viel Geld Gekost und jez kann er
erst Nir." Aber Musik lerne unsre Bube und Mädle auch
recht schön beim Schullehrer, und Erdbeschreibung, die ist ja
mein Mann sein Steckenpferd.
So wirds schon recht werde. Versäume thun wir grade
Nir an unfern Kindern und lasse es uns recht Sauer werde
für sie. Ordentlich Acker und Wiesen hat mein Mann auch
; schon Gekauft für alle Fälle, die kan mir und den Kindern
einmal Niemand wcgtrage, sagt Er. Und Rechtschaffene Leut
solle sie einmal ebe werde, das ist die Hauptfach. Da hat
; mir vor vier Woche in der Predigt unser Herr Pfarrer
wohl gefalle. Er hat Einem die Erziehung der Kinder recht
wichtig Gmacht und zum Ausgang Gsagt, man soll ja
Alles Thun was man könne, und dürfe sich wohl einbilde
I man könne selber Alles ausrichte, Wenns aber dann gelinge,
solle man Gott die Ehr' gebe, der müsse wie immer und
überall seinen Segen Spende sonst helfe Alles Nir. Daran
halt ich mich und es bleibt also' auch in diesem Stück beim
„Bet' und Arbeit."
Mit des Herrn Pfarrers sind wir halt immer recht
Gut. Sonst komm ich Nirgend mer vil hin und auswerts
, schir gar nicht mer. Da muß man sich das Maul sauber
! halte bei so schwerer Haushaltung. Und jetzt verlier ich erst
j noch aufs Frühjar meine alte Magd. Denkens Frau Tante
! die Heirath noch in ihre alte Dag. Am Verspruchsdag hats
erst noch einen rechten Gspaß gegebe mit ihr. Es war aus-
' gemacht, zu den Ackern und Wiesen und der Kuh hin solle sie
auch noch Stroh mitkriege, 25 Bund. Wie nun ihr Vater
dem Gegenschwähcr die 25 Stück vom Heuboden heruntcr-
geworfen hat und damit fertig war, ruft dieser hinauf:
„Schmeiset nur noch 25 runter, sie ist so gar alt und wüst."
Jez ists aber Gnug. Komme Sie gwiß zur Tauf.
Ihre Rcspcgtvolle und Gehorsame Base,
Dorle Müllerin Ambtmännin.
Sechster Brief.
Waldhausen, im August 1859.
Heißgeliebte Taute!
Ich habe lange nicht geschrieben. Wer kann auch mit
Privatinteressen sich abgebcn in einer Zcitepochc wo Europa
in Geburtswchen liegt und auf einer Nadelspitze tanzt, wie
Schiller sagt. Politik ist jetzt mein Alles, ich stecke mit
Haut und Haaren darin. Wie sich doch der Geist und Geschmack
ändern kann! In der Pension waren wir oft voll Gift und Galle
über unsere Gouvernante, die uns die Zeitung erklären und
für die Politik intercssircn wollte. Damals war uns an den
Zeituugöblättcrn Nichts wichtig als wenn von einem Wett-
rennen oder einem Heirathsgcsuch Etwas zu lesen war oder
die Schako's der Lieutenants eine andere Form bekommen
sollten, statt besten sollten wir uns für grauhaarige Staats-
männer, für langweilige Friedensunterhandlungen oder lang-
athmige Parlamentsreden enthousiasmiren. Und jetzt! wie
schmachte ich nach jedem Zcitungsblatt, hungre und dürste
nach diplomatischen Depeschen, nach neuen Thaten und Reden
meiner Helven! Ja ich darf mir sagen ich bin geistig weit
vorgeschritten in wenigen Jahren. Nach der lumpigen Ge-
sellschaft, meiner Umgebung frage ich fast gar Nichts mehr,
ich lebe auf den Höhen der Menschheit, da athmc ich welt-
geschichtliche Luft und schaue auf die ordinäre Welt herab
wie ein Adler auf die Käfer im Mist.
Leider ist Niemand in der Peripherie meines Daseins,
der meinen Geistesflügen Nachfolgen kann. Mein Mann
lebt einzig seinen Gütcrhändeln, Zielerkäufcn, Aktiengeschäften
und solchen Lumpereien. Alles sonst ist ihm sämmtlich wurst.
Er wird auch unleidlich dick und das Kartenspiel macht ihn
für die Geselligkeit und Ideale ganz todt. So ist er wie
alle solche Fettbäuche, stockconservatif, ich dagegen ströme über
von Humanität Freiheit und Gleichheit und schwärme in
Allem waö edeldenkender Köpfe würdig ist. Jedes von unö
geht jetzt seine eigenen Wege, wie das ja auch sonst das Loos
in der Ehe ist. Es ist in höheren Ständen einmal nicht
anders.
Also von Politik wollte ich reden. Ach daß es anno 48
mißglückt ist! Republik ist eben natürlich meine Losung. So
wie aber jetzt die Dinge stehen, muß man als Weg dazu,
die Drhas ansehen, wie unlängst ein edler Geist in einem
Clubb, dem ich angehöre, ausgesührt hat, ein Fcuerkopf voll
idealer Freiheit und Ewigkeitsgedanken. Ja eine Dryas, das
glaube ich auch ist das einzige Heil für unser armes Vater-
land. Schon der Name spricht dafür, wie ihn mein mytholo-
gisches Wörterbuch mir erklärt hat, „ Baumgöttin" heißt das ja,
also Freiheit wie im freien naturwüchsigen Wald, ein prächtiger
Gegensatz von den steifen, abgestandenen Formen des ge-
schichtlichen Rechtsbodenö, von dem die Strohköpfe so viel
faseln.
Aber der Napoleon ist dann doch auch mein Held.
Das ist ein Kerl gegen den die Andern alle Hunde führen
müsien. Ach! ich war auf der Rückreise, von meiner Bade-
cur einen halben Tag in Straßburg. Tage und Nächte hatte
ich mich schon des Glücks gefreut, sein Land betreten zu
dürfen, ja — ich gestehe dies — ich malte mir in meinen
Träumen als ganz gewiß aus: der große Mann müsse gerade
an diesem Tag in Straßburg anwesend sein, ich sähe ihn, er
sähe mich an mit seinen universalhistorischen Augen, ein süßer
Traum flüsterte mir sogar Etwas von einem Kuß zu von
diesen olimpischen Lippen des Heilands unseres Jahrhunderts;