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Sanct Niklas-Abend.

Hagelschauern, und mo das Unwetter gewüthct, da lagen auf
lange Zeiten hinaus die Felder verwüstet, die Dörfer, die
Städte verbrannt, Habe und Besitz zerstört; der Kriegsfurie
folgten Hunger und Pest und fraßen, was das Schwert übrig
gelassen. Strichweise zog Anfangs Jammer und Schreck durch
Deutschlands Fluren; erst Böhmen und Oesterreich verwüstend,
dann die Oberpfalz, die Rheinlande und Westphalen, d'rauf
auch im Norden blutig dahinziehend, bis endlich weit uub
breit in deutschem Lande keine Stätte gefunden ward, wo
nicht des Krieges Wuth getobt und ihre zahllosen Opfer ge-
fordert hätte. Hier längcrj furchtbarer hausend, dort schneller
vorüber tobend, hier häufiger, dort seltener zurückkehrend.
Kein Ort, keine Gegend aber war während jener langen
Jahre sicher, nicht jählings der Schauplatz neuer Verheerung
zu werden. Und welcher Verheerung! Zu bald nur schien
der Krieg, der erbarmungslose, nicht mehr das Mittel zu
sein, unhaltbar gewordene Zustände zu irgend einem Ende zu
bringen; er war Handwerk geworden, sein eigener Zweck, und des
Friedens Kunst und Gewerbe schienen nur geduldet, um die
Kriegsbestie zu nähren. Die rohen wüsten Söldnerhaufen,
aus allen Stämmen des Vaterlandes, ja aus allen Völkern
Europas geworben, schienen weniger zusammengerufen, um
wider einander zu kämpfen im offenen Felde, als zum schon-
ungslosen Kampfe wider der Landleute und Städtebewohner
wehrlos Geschlecht. Der Lanzknecht wider den Landmann!
war jener Zeiten Losung, und Feind war, wer keine Waffen
trug. Freundes- und Feindesland gab es nicht mehr; wo
immer die wilden Kriegshorden einfielen, da war Feindes-
land, und mochte siegen, wer da wollte, die wehrlosen Ein-
wohner hatten des Krieges Gräuel von Siegern und Be-
siegten in gleicher Weise zu erfahren. Da aber, wo die Kriegs-
horden in den langen Leidensjahren rasteten, Monate lang
und länger, verödete das Land, wie wenn Heuschreckenschwärme
auf die Gefilde einfallen. Der Lanzknecht, der Söldner war
Herr, sein war des Landmanns Haus, sein, was Fleiß und
Mühe in langen Jahren gesammelt, und was er nicht brau-
chen und verzehren konnte, vernichtete sein roher Uebermuth.

Einem unter den schirmenden Flügeln des Friedens her-
angewachsenen glücklicheren Geschlecht, das unter des Gesetzes
und der Sitte Schutz Hab' und Gut gesichert fühlt, das ge-
wohnt ist, sorglos seine Straße zu ziehen, seinem Erwerb
nachzugehen, dünkt es ein fast unverständlich Räthsel, wie der
Mensch in solchen Zeiten des Daseins rastlose Schrecken er-
tragen mochte. Aber einmal war, wie schon erwähnt, der
Kriegsgräuel nicht aller Orten zugleich, sondern bald hie,
bald da, und außerdem liegt in des Menschen Wesen eine
unsägliche Kraft des Duldens und Ertragens und die Ge-
wohnheit lehrt, sich auch in das Anfangs Unerträgliche zu finden
und stumpft selbst gegen Schreck und Entsetzen die Gemüther
ab. Wenn die Kriegswuth vorübergebraust, Brandstätten,
Erschlagene, grauenhaft Ermordete und verwüstete Felder hinter
sich lassend, erhoben die Ueberbleibenden und Verstörten ihr
Haupt, die Geflüchteten wagten sich hervor aus ihren Ver-
stecken, suchten bebend und zitternd unter den Trümmern nach

dem Rest ihrer Habe, betrauerten die Erschlagenen und Er-
mordeten, bestatteten sie, wenn der Ueberbliebenen Kräfte zu
solch traurigem letzten Dienste hinreichten, bauten in stumpfer
Ergebung die dürftigen Hütten über dem Schutt der Brand-
stätten, begannen die Felder von Neuem zu pflügen, und
spannten sich wohl selbst vor den Pflug, wenn das Zugvieh
geraubt oder in frevelhaftem Uebermuth niedergestochen war,
in der Hoffnung, daß das Kriegsunwetter fürder ferne bleiben
solle. So bauten sie das verstörte Dasein von Neuem, bis,
nur zu oft, Hunger und Pest die Ueberbliebenen zahlreicher
noch als das Schwert lichteten. In den langen Jahren un-
erhörten Jammers aber war die Zahl derer, die den Frieden
»och gelaunt, dahingerafft worden, ein ander Geschlecht erwuchs
mitten unter den Drangsalen, das nichts anderes kannte, als
jene Unsicherheit und Rechtlosigkeit; sie wußten nichts von
den Zeiten des Friedens, als was ihnen die Eltern erzählt
in wehmüthiger Sehnsucht von den Tagen, da ein Jeder sorg-
los wohnte in seiner Hütte und sein Feld baute; sie meinten
wohl, es müsse so sein und hatten längst vergessen oder nie
gelernt, was der Friede lehrt: mit ruhiger Sicherheit auf
Jahre hinaus zu denken und zu bauen; sie lebten nur den
nächsten Tagen und Wochen und begnügten sich, wenn nur
für die folgenden Tage keine neuen Schrecken drohten. War
doch solche Unsicherheit und Hinfälligkeit alles Daseins und
Besitzes nur eine freilich furchtbare Steigerung der Unsicher-
heit und Ungewißheit menschlichen Daseins überhaupt! Wenn
der Bewohner einer besseren Welt, in der Frieden, Glück und i
nie alternde Jugend herrscht, und Tod, Leid und Krankheit
unbekannte Dinge sind, versetzt würde auf diese Erde, und
wäre es auch in Zeiten, die wir, ihres friedlichen Gedeihens
wegen, besonders glücklich nennen würden, wenn er gewahr
würde, wie Jedem des Todes Stunde kommt und Keiner !
weiß, wann und wie bald, wenn er schauen müßte, wie der
Elcnientc Walten und sonst tausend Gefährdungen auf Tritt
und Schritt jeden Einzelnen selbst, und was ihm das Liebste,
bedrohen, müßte er nicht voll Entsetzen ausrusen: Nein, hier
auf Erden kann Niemand, auch nur einen Augenblick lang
seines Daseins froh werden! und doch, das Völklein der Erde ;
ißt und trinkt und läßt sich's wohl sein; kommt einmal für
Einzelne oder für ganze Gesammtheiten Unglück und Jammer,
da ächzen sie wohl und klagen, sobald aber die Sonne wieder
scheint nach dem Unwetter, lebt, wer überblieben, wieder auf,
leichten Sinnes haben sie die überstandenen Schrecken, alle
Noth und Angst und ihre Todten vergessen! So war's zu
jenen Zeiten auch,, da das allgemeine Erdenloos des Unbe-
standes und der Unsicherheit, freilich in hundertfach vermehrtem
Maße an den Menschen herantrat.

So war es denn auch in dem Städtlein E. Man aß
und trank, legte sich des Abends nieder, stand des Morgens
auf, und Jeder brachte sein Leben hin, so gut er's eben ver-
mochte in der theuren Zeit. Feierabends besprach man der
Zeit Elend und Noth, erzählte von den Schrecken der Ver-
gangenheit, und je nachdem Einer getrosteren oder trüberen
Sinnes war, verkündete er ein baldiges Ende der 'schweren
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