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Sanct Niklas-Abend.

| legene Waldschlucht, der angstvolle Abschied, als der Vater
! in die Stadt zurückkehrte. Das arme Mädchen sah sich,
sah die'Mutter, die Geschwister alle, schluchzend den Vater
umschlingen, der bleich und in dumpfer Ergebung stand,
Worte des Trostes auf den Lippen, von denen das Herz nichts
wußte. Da war er endlich gegangen, und zitternd waren die
Angstvollen zurückgeblieben. Da kamen die Tage, in denen
! die von tausendfachen Qualen der Furcht und Sorge Ge-
peinigten unter freiem Himmel lagen Tag und Nacht, die
Tage, in denen kalter Regen unablässig herniederfiel auf die
Obdachlosen, und sie in nassen Kleidern, zitternd vor Kälte,
auf dem feuchten Boden lagen, da waren kranke Kinder,
die hilflos wimmerten, da war die Erinnerung jener Zeit,
die ihnen viele viele Tage lang keinen Bissen warmer Speise
! darbot, da war die aufreibende Spannung, mit der die
Versteckten den einen oder den anderen der Männer zurück-
erwarteten, die mit ihnen geflüchtet und sich nun bebend her-
ausschlichen aus dem Wald, um hinüber nach der Stadt zu
spähen, ob sie noch stehe, oder ob aufsteigender Rauch nur
! die Trümmerhaufen bezeichne, in welche der furchtbare Krieg
das friedliche Städtlein verwandelt. Da war die fast zum
Wahnsinn treibende Angst, als wilde, wüste Gestalten den
Wald durchstreiften, von den Bebenden nur durch wenige Büsche
i getrennt, die athemlose Furcht, cs möchte der Kühe und
1 Ziegen Blöcken ihr Versteck verrathen. Das war der herz-
crstarrende Schreck, als von drüben her, wo ein ander Häuf-
lein Geflüchteter sich geborgen, ein gellend Jammergeschrei
ertönte, ein Weherufen und Bitten, das Aechzen des Schmer-
zes , das wilde Lustgeheul der Plünderer. Das waren die
Stunden, in denen das Herz im Krampfe namenloser Angst
stillstehen wollte, als die Entsetzlichen jeden Augenblick auch
i zu ihnen hinabsteigen konnten, da war die unsägliche Schwüle,

! als es wieder still geworden, und erneutes Entsetzen, als
1 endlich Einige, die sich hinübcrgeschlichen nach dem benach-
> barten Versteck, wo nun tiefes Schweigen herrschte, die
Kunde zurückbrachten von dem grauenhaften Anblick drüben,

! wo nackte Leichname, Blutlachen auf dem Boden, zerwühlt
und zerhauenes Gesträuch, linnene Fetzen hie und da in den
i Zweigen und am Boden Alles war, was übriggeblieben von
! den Mitgeflohenen, den Nahbckannten. Da war der Tag, als
! ein Bote verstört und verschüchtert kam aus der Stadt mit
der Nachricht, der Haufe sei fortgezogen, da die Geängsteten
i und Ab gematteten sich aufmachten, um zurückzukehreu. Ta
j war der trostlose Anblick der geplünderten Stadt, zerschlagene
! Thüren und Fenster, Aschenhaufen von Lagerfeuern auf den
1 Gassen, deren Flammen genährt worden mit dein Hausgeräth
der umliegenden Häuser, todtes Vieh, hie und da eines Er-
schlagenen Leichnam. Da war das Erschrecken, als sie daheim
im verödeten Hause den Vater wieder sahen und kaum er-
kennen mochten, denn Furcht, Schrecken und vielfache Miß-
handlung hatten den Bejahrten in wenigen Tagen zum Greis
gemacht. Da waren die Tage, in denen man fragte nach
Bekannten und sie waren verschwunden, oder hie und da
wußte Einer zu erzählen,' wie und wann der Vermißte den

Qualentod gefunden, da war der Blick in die Kammern und
Gemächer, wo die Zerstörungswuth gehaust, der Anblick der
roh verwüsteten Habe, da waren die Tage, als es auf Allen
wie eine unsägliche Ermüdung, eine dumpfe, trostlose Ver-
zweiflung lag. Da waren Tage neuer entsetzlicherer Schrecken,
als jählings ein wilder Haufe Merodebrüder in der Stadt
war, man wußte nicht wie, nicht woher sie gekommen. Da
war Jammern und Aechzen aus den Häusern, auf den
Gassen, als die Beutegierigen den Besitzlosen durch qualvolle
Martern das vermeintlich Verborgene abnöthigen wollten, da
war das Erstarren, als eine Schaar des wilden Gesindels in
die Stuben, in die Kammern drang. — Da sah Lucic den Vater
bleich und entsetzt stehen, ein wüster Kriegsgesell hatte ihm
das Pistol an die Stirne gesetzt und schwor unter gräulichen
Flüchen, wenn er bis drei gezählt, ehe nicht der Schurke (so
nannte er den Vater) herausgerückt habe mit dem Versteckten,
so schieße er ihn nieder, wie einen Hund; da stand vor des
Mädchen Seele, wie sie, die Mutter und Geschwister der
wüsten Gesellen Kniee umschlungen, um Erbarmen jammernd,
da tönten in ihren Ohren Worte unsäglicher Rohheit, sie sah
den Vater gewürgt von einem Wüthenden und des Pistolen-
kolbens Schläge sielen unbarmherzig nieder auf sein graues
Haupt, sie sah ihn zu Boden fallen; endlich rief neuer Lärm
von der Gasse her die Unholde hinweg aus dem von neuem
verwüsteten Hause; da drang in ihr Ohr das Hilferufen, das
Feuerschreien, eine ganze Gasse stand tu Flammen. Sie sah
den Vater wie leblos liegen, das Haupt im Schooße der j
schwerathmcnden Mutter, und über das bleiche Angesicht rann
das Blut. Und als nun die Plünderer davongezogen und der
Brand gelöscht war, da lag es wieder wie eine Wolke uu- >
nennbarer Verzweiflung und Trostlosigkeit über der Stadt.
In muthloser Furcht erzählte Einer detn Andern flüsternd,
als ob ein lautes Wort neue Feinde herbeilocken könnte, was !
er und die Seinen erduldet; bestürzt und erschüttert sammelten j
sich die verschont Gebliebenen um jene Unglücklichen, die wim- ■
mernd und ächzend, in Folge unerhörter Mißhandluitgen dem
Tode nahe, in den Häusern lagen, oder um die Leichname
derer, die den Qualen unterlegen waren.

Da standen vor der Seele des Mädchens jene Tage, als
in der ausgeplünderten Stadt die Hungernden vergebens alle
Räume durchsuchten nach ein wenig Mehl oder sonst etwas i
Eßbarem, als man sich glücklich schätzte, auf den Bäumen im
Garten einige unreife Früchte zu entdecken, um des Hungers j
Qual zu stillen. Es kamen die Tage, als das Sterben
begann, die wüsten Häuser verödeten unter dem Walten der >
furchtbaren Seuche, die Tage, die immer neue Botschaft |
brachten, wie nun auch hier und dann dort die Pest ein-
gezogcn. Da war endlich der Tag voll Schrecken und Be-
stürzung, an dem auch in ihrer Familie der gefürchtete Gast
eintrat, eines der Geschwister erkrankte und nach schmerz-
lichem Kampfe der Wuth der Krankheit erlag, bald dar-
auf ein anderes klagte, sich niederlegte, um ein Opfer der
Pest zu werden; da waren jene schwülen Tage, als unauf-
haltsam die Seuche um sich griff in dem engen Kreis der
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