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26

Sauet Niklas-Abend

stieg jene ungelöste Frage: Warum und woher dies Alles,
woher ihr eigen Dasein und wohin es gehe? in ihrem Denken
zum ersten Mal auf. Es waren Fragen ohne Antwort, aber
schon das Bewußtwerden jener Fragen war verbunden mit
einem wunderbaren noch nie empfundenen Staunen und einer
seltsamen Tiefe und Ruhe des Empfindens. Es war ihr,
als sie sinnend hinausschaute in die endlose Ferne drüben,
zum ersten Mal das Bewußtsein der Weite der Welt aufge-
gangen; die engen Schranken kindlicher Anschauung, für die
über die nächsten Dörfer hinaus nichts da war, sie waren
gefallen. Dort, weit weit hinaus wohnten ja auch Menschen,
Wesen, wie sie, und lebten und dachten, und soweit nun ihre
Gedanken schweiften, überall gingen solche ihr gleichgeartete
Wesen! Der Eindruck der ungeheuren Menge der Menschen
drang übermächtig auf sie ein — und alle diese unzähligen
Leute, sie lebten eine Zeit lang und starben und waren dann
nicht mehr da — und die Jahrtausende zurück, was für ein
unübersehbares Heer war über die Erde hingezogen! Wo
waren nun Diese alle? Wo würde sie und Alle, die jetzt
lebten, nach vielen Jahren sein? Wo waren jetzt die, welche
dann leben werden? Sie däuchte sich selbst ein wunderbar
Mährlein nritten in einer mährchenhaften Welt. Alles, was
in ihr war, was sie je gehört und bis daher gedankenlos
hingenommen, es gewann Leben und ward ihr eben dadurch
unverständlich und unbegreiflich. Jene dunklen Lehren des
Katechismus von dem Einen Gott, der doch zugleich drei
Personen sei, von dem Allmächtigen, der alle Gewalt in Hän-
den, und dem doch wieder ein Anderer, der Teufel, so viel-
fach in die Herrschaft greife, der Menschen verschiedenartiges
Geschick, wie der Eine reich, geehrt, der Andere arm und
verachtet, und welchen Grund wohl solche Verschiedenheit habe,
solches Alles vermischte sich mit den Mährlein und abenteuer-
lichen Geschichten der Kinderstube und erfüllte, ein unermeß-
liches Meer des Denkens, ihre erwachende Seele. Es war
das erste noch halb bewußtlose tiefere Nachsinnen, das in der
erwachenden Jungfrau innerstem Wesen sich entfaltete, und so
stand geheimnißvoll, wunderbar und voll halbverschwommener
Erinnerung seltsamer Gedanken und Empfindungen jene Stunde
voll Sommernachnüttagsstille und Ruhe ihr vor der Seele, weh-
»lüthig flüsternd, wie so glücklich, wie so friedevoll sie doch
damals gewesen. Da war »och manches Bild auf den zahl-
reichen Scheiben des Fensters, unb jedes weckte eine liebliche
Erinnerung und rief ihr zu: Weißt Du noch, wie es damals
war, und wie da Alles so heiter, so licht, so fröhlich ge-
wesen? Da war eine Scheibe, deren Zacken und Spitzen das
Bild einer großen Stadt vorzustellen schienen, die in der
Ferne mit ihren Thürmen und Mauerzinnen nritten aus den
Fluren auftaucht, und sie weckte eine Erinnerung, die ihr,
ach, so fest, so beständig in der Seele gestanden, ehe die
Schrecknisse der letzten Monate Alles verwischt, um dem trüben
finstern Grunde nur die furchtbaren Bilder jener Zeit einzu-
prägen, die Erinnerung an einen treuen Burschen, den sie
vordem Tag für Tag und Stunde für Stunde im Geiste
begleitet hatte, in die Ferne hinaus, in manche Stadt, die

sic nimmer gesehen, deren Bild ihr aber die heiße stille Sehn-
sucht nach dem fernen Wanderer vorzauberte, die Erinnerung
an ihn, dem all' ihr Sinnen und Denken sich zuwendete, so.
bald sie vom Schlaf erwachte, und dessen Bild sic beschäftigte
und umschwebte, bis der Schlummer der Nacht Sinnen und ;
Denken einhüllte. In der Spenglergasse drüben in der Stadt
hatte ein Haus gestanden — jetzt lag es in Schutt und
Asche — dort hatte der Goldschmied Bernd gewohnt, und
beim Vater lernte und arbeitete sein Sohn Heinrich, ein flinker
schlanker Bursch. Da traten vor ihre Seele jene Tage, als
die Beiden, der junge Goldschmiedsgeselle und die herange-
wachsene Lucie, sich schüchtern von ferne angeschaut, als ein
neues, bisher unbekanntes, wunderbares Sehnen sie immer
wieder an jenen Heinrich erinnerte und ihr ihn nicht aus dem
Sinn kommen ließ, als sie erschrocken erbebte, wenn sie ihn
auch nur von weitem erblickte, und doch wieder, so oft sic
über die Straße ging oder zunr Fenster hinausschaute, an
nichts anders dachte, als ob er nicht etwa irgendwo zu sehen
sei; sie gedachte der Zeit, als sie Beide von einander wußte»,
wie sie einander zugethan gar innig und herzlich, ohne daß
sie noch je ein Wort miteinander gewechselt; dann zog an
ihrer Seele vorüber der Abcnd, (es war nach Feierabend im
Frühjahr) an dem Heinrich zum ersten Male schüchtern und
bebend sie angeredet; ivas er damals gesagt, sie wußt' eS
nicht, aber ein freudiges Erschrecken hatte ihr ganzes Wesen
durchzittert, und die Stimme hatte ihr schier versagt zur Ant-
wort und das Herz gepocht, wie noch nie vorher. Unb dann
waren die Tage, da sie immer vertrauter und herzlicher mit
einander sprachen, — es waren schon längst gar schwere böse
Zeiten, und Vater und Mutter waren oft recht sorgenvoll, -
und daheim nahm auch Lucie Theil an dein Bangen und
Sorgen, das Aller Gemüth erfüllte; wenn sie aber in der
Abenddämmerung mit Heinrich zusammentraf vor der HauS-
thüre, da war alle Noth und Angst der Zeit vergessen. Es
mar eben nichts Besonderes gewesen, was sic mit einander
geredet, aber es waren doch wunderbar süße Stunden, denn :
das Empfinden der Nähe des Geliebten und die Blicke, sic
redeten gar viel inniger und herrlicher als die Lippen, und -
aus den gleichgiltigsten Worten flammte und leuchtete eine i
unsägliche Wärme gegenseitiger Zuneigung. Da war dann
der Tag, als Heinrich ihr bekümmert sagte, wie er nun bald
werde hinausziehen in die Frcinde, denn er müsse noch in
anderen Städten arbeiten, vor allem in Nürnberg, um seine
Kunst noch besser zu lernen, der Tag, da er ihr treuherzig
gestand, er hätte sich allezeit, wenn er an's Wandern gedacht,
gar hoch gefreut — „nun aber, seit ich Dich kenne," hatte er,
in verschämter Gluth des Mädchens Hand ergreifend, in unbe-
holfener Herzlichkeit gesagt, „seit ich Dich kenne, denke ich
nicht gern daran und möcht' am liebsten immer hier bleiben!"
Und als Lucie ihn darauf erglühend angeschaut) das ganze
innige Sehnen ihres Herzens im Auge, da hatte er sie an
sich gezogen, und sie hatten sich geküßt zum ersten Mal. Und
da waren noch manche Tage, deren sie gedachte, manche
Stunde des glücklichen Beisammenseins, und endlich jener letzte
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