Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
34

Sanct Niklas - Ab end.

dort eine Mauer, trostlos anfsteigeiid ans der Zerstörung!
Wie ihm da das Herz entfallen war, und es sich kalt und
erstarrend auf sein Empfinden gelegt hatte; wie er um sich
gestarrt, als müßte ein entsetzlicher Traum ihn peinigen! Und

als er nun fragte, vb denn hier nicht die Spenglergasse ge-
wesen? und er zur Antwort erhielt: die sei nicdergebrannt
im Kriege, und als er weiter fragte: wo denn der Gold-
schmied Bernd jetzt wohne? und: der ist gestorben! war die
Antwort. - Aber seine Frau, seine Kinder? — Sie sind
alle todt, die ganze Familie ist dahingestorben! Wie es ihm
da in's Herz gegriffen, eine entsetzlich kalte Hand, und ihn
war, als müßte das erstarrte Herz stille stehen in znsammen-
schnürendem Kranipf, als ivollte Denken und Sinnen ihm
entfliegen und entschwinden vor Entsetzen; wie hatte er kaum
Athem genug gefnndeii, zu fragen: Wie denn solches znge-
gaugcn? Und als nun der Befragte berichtete von den Tagen
des Krieges und von dem bösen Sterben, das denselben ge-
folgt und viele Familien dahingerafft, da war es ihm ge-
wesen, als höre er Emen ans weiter weiter Ferne kaum ver-
nehmlich reden. Er war d'ranf in eine Herberge gegangen,
er wußte nicht, wie er dahingekommen, er hatte sich nieder-
gesetzt und saß nun vor sich hinstarrend »nr halb seiner selbst
bewußt. Mit befremdetem Kopfschütteln hatte der Wirth den
sonderbaren Gast betrachtet, der, nichts begehrend, stumm vor
sich hinschanend da saß, wie Einer, krank an Seele und Leib,
der auf des Wirths endliche Frage, ob er einen Trunk Bier
haben wolle, nur mit stummem theilnamslosem Nicken geant-
wortet und den begehrten Trunk unangerührt vor sich stehen
ließ. Endlich verzog sich in des unglücklichen Bursche» Seele

die erste vollständige Betäubung, noch aber konnte er des
Unheils ganze Größe nicht faßen: Alle, Alle dahin! Der
Vater, die Mutter, die Geschwister, selbst das Vaterhaus
nicht mehr da. Sollte er nun, zerschmettert, aller Hoffnungen
und Erwartungen beraubt, des Rektors Hans anfsnchen?
Herr Gott! wie ganz anders hatte er sich das Alles in seinen
fröhlichen Erwartungen ausgemalt!. Wer weiß, wie es dort
aussah! Nur mit Aufbietung aller Kräfte hatte er sich end-
lich so weit ermannt, daß er nach dem Rektor fragen konnte
—- und wiederum dieselbe Antwort: der ist gestorben und
seine ganze Familie auch! So war auch die letzte Hoffnung |
dahin, war's ihm doch im Augenblick, als müßt' er sagen: !
Ich wnßt's ja! Es war so entsetzlich viel des Schreckens und !
Jammers mit einem Male auf seine Seele hereingestürzt, daß '
diese letzte Nachricht die Last kaum vermehren konnte. „Ihr |
seid wohl in der Stadt bekannt gewesen ?" fragte der Wirth, l
und da der Gefragte nickend bejahte, begann der Wirth: I
„Ja, das war eine böse schwere Zeit, die wir haben erleben
müssen, und entwarf nun redselig dem Betäubten ein Bild
jener grausen Tage voll Mord, Plünderung, Feuersbrunst,
Seuche und Sterben — aber Heinrich hörte kaum des Mannes
Schilderung, wiederum war es ihm, als träfe des Erzählen-
den Stimme nur ganz von ferne an sein Ohr. Er konnte
nicht länger bleiben in den Mauern der Stadt, welcher er
in nngednldiger, erwartungsvoller Freude entgegengeeilt ivar,
und: todt! todt! war die Antwort, die all seiner Sehnsucht
entgegenschallte, und von allen Denen, die er fröhlich begrüßen
und umarmen wollte, der Heimgekehrte, war auch nicht Eines
übrig geblieben! Wie das Rauschen wilder stürzender Wasser-
fälle klang es in seinen Ohren, er fühlte das Herz drinnen
in der Brust erstarrt, kalt und todt. Mit einem Male durch-
fuhr es ihn, ein unsäglich Weh, als ivürdc er jetzt erst wirk-
lich inne, daß er Alles, Alles verloren! Er mußte hinaus,
hinaus, in's einsame, freie Feld, hier drinnen meinte er er-
sticken zu müssen) er warf einen Weißgroschen hin für den
Trank, der unangerührt vor ihm gestanden und eilte von
dannen. Kopfschüttelnd schaute der Wirth dem wnnderlichtn
Gaste nach. Die Straßen hinaus! durch's Thor! blindlings
hinaus in die graue winterliche Luft, immer weiter, weiter!
Was das für ein Arbeiten und Aufbäumen war in seiner
Seele, wie er sich immer wieder mit der Hand über die Stirne
strich, als könnte er den bösen schweren Traum hinwegstreifen
und die Dinge, die alles Denken verstören und den Wahn-
sinn wachrufen wollten. Athemlos stand er endlich still auf
der einsamen Straße, allein in dem weiten dämmernden Schnee-
gefilde; ein einziges lautes Weh - und Klaggeschrei entrang
sich seiner Brust, dann senkte es sich von neuem auf ihn,
wie eine tiefe schwere Betäubung, llnd weiter schritt er, ohne
Ziel und Zweck, er wußte nicht, wohin er gehe, er ging und
ging, weil er doch etwas thnn mußte; ihm war, als müßt'
er nun für alle Zeit rastlos dahinwandern, um die Ruhe zu
fliehen, die Ruhe, in der alle Schrecken jener bösen Knude
mit entsetzlicher Macht über ihn herfallen würden.

So war es die schwere trostlose Zeit des Menschen
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Sanct Niklas-Abend"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Watter, Joseph
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Stadt <Motiv>
Haus <Motiv>
Verlust
Wanderer <Motiv>
Schrecken <Motiv>
Ruine <Motiv>
Leid <Motiv>
Kummer
Heimkehr
Passant
Nachkriegszeit
Zerstörung <Motiv>
Kriegszerstörung <Motiv>
Gespräch <Motiv>
Karikatur
Schmerz
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 50.1869, Nr. 1229, S. 34
 
Annotationen