42
Sanct Nikla s - Ab end.
phanten; wie die gezähmten, der Freiheit beraubten sich gern
und willig brauchen lassen, um ihre freien Brüder einzu-
fangen, so zieht ein geknechtet Volk mit Begierde aus, um
seine freieren Nachbarn, die sich Wähler und glücklicher fühlen,
I unter dieselbe Knechtschaft zu bringen.
Wenn durchaus ein Streit beginnen soll, so ist die Ur-
! sache dazu schnell gefunden, das ist aller Orten und aller
Zeiten so gewesen. Von neuem wurden dem Fremden die
j Krüge dargeboten, um Bescheid zu thun, und die Zurück-
! Weisung erschien den Martialischen nun als eine Beleidigung;
drohend wurde die Frage laut: Warum er nicht Bescheid
thun wolle, ob er sich zu vornehm dünke, mit ihnen zu
: trinken? — Jetzt fliehen, oder du bist verloren ! hieß es in Hein-
richs Seele. Jählings fuhr er auf, ein gewaltiger Stoß vor
die Brust ließ die zwei Nächststehenden zurücktanmeln, und
ehe die Ueberraschten sich noch besinnen konnten, war der
Fremde zur Thür hinaus. Aber nun: ihm nach! Zu den
Fenstern schrieen sie hinaus: „Haltet ihn auf! Haltet ihn!" Die
Trommler warfen ihre Trommeln ab und jagte» dem Flüch-
tigen nach. Dieser rannte in athemloser Hast über den Markt
, weg in die dunklen Gassen hinein, immer weiter und weiter,
i hinter sich der nacheilendcn Tritte Schall. Mitten im Lauf
' gedachte er daran, wie des Städtleius Thore jetzt in der
Dunkelheit schon geschlossen sein würden. Ehe der Thorwächter
dem Flüchtigen aufgethan, wenn er überhaupt dazu bereit
war, einem athemlosen, offenbaren Flüchtling das Pförtlein zu
öffnen, mußten die Verfolger ihn erreicht haben. So war
denn kein Entkommen möglich! Da gewahrte er, als er der
dunklen Sadtmauer schon nahe war, seitwärts ein Garten-
thürlein, welches offen stand. Es gehörte ein scharfer Blick
dazu, in der tiefen Dämmerung das offenstehende Pförtlein
zu bemerken. Hastig schlüpfte er dort hinein und drückte das
Thürlein hinter sich zu. Gesehen konnte ihn Niemand haben,
die Verfolger jagten sicherlich an dem Pförtlein vorüber; in-
dessen fand er wohl eine Stelle, wo er die Stadtmauer über-
steigen mochte, oder ein Versteck bis znm nächsten Morgen,
um daun durch das offene Thor die Stadt zu verlassen.
Frau Sabine war mit einbrechender Dämmerung heim-
gekehrt. Es war draußen an der Kirche bitterkalt, und in
der Dunkelheit kam ohnehin Niemand mehr, um nach ihren
Maaren zu fragen; was sollte sie vergeblich frieren und oben-
drein das Licht in ihrer Laterne umsonst verbrennen. Daheim
schallt sie in mütterlicher Sorge ihre stille trübe Pflegetochter,
daß diese sich nicht längst ein Feuer im Ofen angezündet, und
in der Kälte sitze. Sie hatte darauf flugs Feuer gemacht
und ein wärmendes Süpplein bereitet. „Komm', Lucie," !
sagte sie, als sie die Suppe anfgetragen, „komm', Du armes
Kind! Das wird Dich wärmen! Hab' heut etwas Besondres
gekocht, ein Aepfelsüppchen, ist ja doch heut so eine Art Feier-
tag. Weißt wohl gar nicht, Du armes Kind, daß heut
Sanct Niclas-Abend ist. Uns," setzte sie lächelnd hinzu, „wird
er wohl freilich nichts in die Stube hereinwerfen, aber ein
gut Abendsüpplein können wir uns doch machen!"
Lucie antwortete nicht, sie seufzte nur leise und trat
zum Tisch. Die gute Alte bemühte sich, wie sie dies schon
oft vergeblich gethan, ihrem bekümmerten und niedergeschla-
genen Gast die trübe Stimmung hinwegzuplaudern und er-
zählte, während sie Beide mit den Löffeln fleißig in die
Schüssel langten, was sie heut verkauft, was die und jene
der Käuferinnen gesagt, und mancherlei andere Dinge, die
Lucie alle schweigend anhörte, und als die Gegenwart erschöpft,
kam die Alte auf die Vergangenheit zu reden, wie es daheim
gewesen in ihrer Jugend, wie sie da Sanct Niklas-Abend
gefeiert und Sanct Niklas den Kindern Allerlei in die Schuhe
gesteckt und mancherlei Päcklein in die Stube geworfen habe
und Nüsse und Aepfel, und fragte dann, um die Schweigende
zum Reden zu bringen: „Habt ihr denn daheim auch etwas
angestellt an dem Abend?"
Lucie nickte und sagte d'rauf mit wehmüthig klagender
Stimme: „Ja, Muhme, als sie noch lebten, die Eltern, die
Geschwister, als wir noch glücklich waren, da haben wir auch
Sanct Niklas-Abend gefeiert. Ach, ich weiß mich noch auf
gar viele solche Abende zu besinnen von früher Zeit an, als
ich noch ein klein Kind war und mich gar sehr fürchtete vor
Sanct Niklas; später bin ich selbst ein paar Mal der Sanct
Niklas gewesen. Das waren glückliche Zeiten!"
„Horch," unterbrach sie die Muhme, „da haben sie wie-
der oben auf dem Boden zu thun! Der Herr Scabinns ist
ein gar fleißiger Mann, läßt sich durch Nacht und Finsterniß
nicht abhalten, mag es freilich auch jetzt besonders viel zu
thun geben, da es auf's Christfest zugeht; sie mögen wohl
wieder Mehl heraufschaffen!"
Lucie nickte und sprach weiter, denn die Erinnerung glück-
licherer Zeiten >var in ihr erwacht, und zum ersten Mal seit
dem unsäglichen Unglück, das ihren Muth völlig gebrochen,
fühlte sie das Bedürfniß, von den Tagen zu reden, da sie
noch heiter und frohen Mnthes gewesen.
„Ja, daheim," sagte sie, „das war eine schöne Zeit.
Wir Kinder sprachen schon Wochen lang vorher von diesem
Abend, und in den Tagen zuvor riefen wir Abends auf die
dunkle Hausflur hinaus: Sanct Niklas, bring' mir dies und
jenes! und nannten dann, was wir uns besonders wünschten;
am Morgen aber, wenn wir erwachten, war's das Erste, daß
>vir uns noch aus den Betten zuriefen: Heut Abend kommt
Sanct Niklas! Da ging dann der Tag hin in halb banger,
halb froher Erwartung. Wir freuten uns auf das, was
Sanct Niklas bringen würde, und fürchteten uns doch auch
wieder vor ihm, dem schwarzen Mann mit der Ruthe. Wenn's
dann anfing dunkel zu iverden, saßen wir beisammen und
lauschten, und Jedes dachte bei sich, ob es nicht in letzter
Zeit unartig gewesen, und Jedes hoffte, der Niklas werde
Gnade vor Recht ergehen lassen; dann sagte wohl Eines:
Jetzt zieht sich Sanct Niklas die Stiefeln an! nun wird er
bald kommen! Dann rückten wir näher an einander, es gruselte
uns, und war uns doch zugleich gar erwartungsfröhlich zu
Muth'. Und dann kam's endlich die Stiege herauf, schweren
Trittes, und nun that's einen, heftigen Schlag an die Thür
und."
Sanct Nikla s - Ab end.
phanten; wie die gezähmten, der Freiheit beraubten sich gern
und willig brauchen lassen, um ihre freien Brüder einzu-
fangen, so zieht ein geknechtet Volk mit Begierde aus, um
seine freieren Nachbarn, die sich Wähler und glücklicher fühlen,
I unter dieselbe Knechtschaft zu bringen.
Wenn durchaus ein Streit beginnen soll, so ist die Ur-
! sache dazu schnell gefunden, das ist aller Orten und aller
Zeiten so gewesen. Von neuem wurden dem Fremden die
j Krüge dargeboten, um Bescheid zu thun, und die Zurück-
! Weisung erschien den Martialischen nun als eine Beleidigung;
drohend wurde die Frage laut: Warum er nicht Bescheid
thun wolle, ob er sich zu vornehm dünke, mit ihnen zu
: trinken? — Jetzt fliehen, oder du bist verloren ! hieß es in Hein-
richs Seele. Jählings fuhr er auf, ein gewaltiger Stoß vor
die Brust ließ die zwei Nächststehenden zurücktanmeln, und
ehe die Ueberraschten sich noch besinnen konnten, war der
Fremde zur Thür hinaus. Aber nun: ihm nach! Zu den
Fenstern schrieen sie hinaus: „Haltet ihn auf! Haltet ihn!" Die
Trommler warfen ihre Trommeln ab und jagte» dem Flüch-
tigen nach. Dieser rannte in athemloser Hast über den Markt
, weg in die dunklen Gassen hinein, immer weiter und weiter,
i hinter sich der nacheilendcn Tritte Schall. Mitten im Lauf
' gedachte er daran, wie des Städtleius Thore jetzt in der
Dunkelheit schon geschlossen sein würden. Ehe der Thorwächter
dem Flüchtigen aufgethan, wenn er überhaupt dazu bereit
war, einem athemlosen, offenbaren Flüchtling das Pförtlein zu
öffnen, mußten die Verfolger ihn erreicht haben. So war
denn kein Entkommen möglich! Da gewahrte er, als er der
dunklen Sadtmauer schon nahe war, seitwärts ein Garten-
thürlein, welches offen stand. Es gehörte ein scharfer Blick
dazu, in der tiefen Dämmerung das offenstehende Pförtlein
zu bemerken. Hastig schlüpfte er dort hinein und drückte das
Thürlein hinter sich zu. Gesehen konnte ihn Niemand haben,
die Verfolger jagten sicherlich an dem Pförtlein vorüber; in-
dessen fand er wohl eine Stelle, wo er die Stadtmauer über-
steigen mochte, oder ein Versteck bis znm nächsten Morgen,
um daun durch das offene Thor die Stadt zu verlassen.
Frau Sabine war mit einbrechender Dämmerung heim-
gekehrt. Es war draußen an der Kirche bitterkalt, und in
der Dunkelheit kam ohnehin Niemand mehr, um nach ihren
Maaren zu fragen; was sollte sie vergeblich frieren und oben-
drein das Licht in ihrer Laterne umsonst verbrennen. Daheim
schallt sie in mütterlicher Sorge ihre stille trübe Pflegetochter,
daß diese sich nicht längst ein Feuer im Ofen angezündet, und
in der Kälte sitze. Sie hatte darauf flugs Feuer gemacht
und ein wärmendes Süpplein bereitet. „Komm', Lucie," !
sagte sie, als sie die Suppe anfgetragen, „komm', Du armes
Kind! Das wird Dich wärmen! Hab' heut etwas Besondres
gekocht, ein Aepfelsüppchen, ist ja doch heut so eine Art Feier-
tag. Weißt wohl gar nicht, Du armes Kind, daß heut
Sanct Niclas-Abend ist. Uns," setzte sie lächelnd hinzu, „wird
er wohl freilich nichts in die Stube hereinwerfen, aber ein
gut Abendsüpplein können wir uns doch machen!"
Lucie antwortete nicht, sie seufzte nur leise und trat
zum Tisch. Die gute Alte bemühte sich, wie sie dies schon
oft vergeblich gethan, ihrem bekümmerten und niedergeschla-
genen Gast die trübe Stimmung hinwegzuplaudern und er-
zählte, während sie Beide mit den Löffeln fleißig in die
Schüssel langten, was sie heut verkauft, was die und jene
der Käuferinnen gesagt, und mancherlei andere Dinge, die
Lucie alle schweigend anhörte, und als die Gegenwart erschöpft,
kam die Alte auf die Vergangenheit zu reden, wie es daheim
gewesen in ihrer Jugend, wie sie da Sanct Niklas-Abend
gefeiert und Sanct Niklas den Kindern Allerlei in die Schuhe
gesteckt und mancherlei Päcklein in die Stube geworfen habe
und Nüsse und Aepfel, und fragte dann, um die Schweigende
zum Reden zu bringen: „Habt ihr denn daheim auch etwas
angestellt an dem Abend?"
Lucie nickte und sagte d'rauf mit wehmüthig klagender
Stimme: „Ja, Muhme, als sie noch lebten, die Eltern, die
Geschwister, als wir noch glücklich waren, da haben wir auch
Sanct Niklas-Abend gefeiert. Ach, ich weiß mich noch auf
gar viele solche Abende zu besinnen von früher Zeit an, als
ich noch ein klein Kind war und mich gar sehr fürchtete vor
Sanct Niklas; später bin ich selbst ein paar Mal der Sanct
Niklas gewesen. Das waren glückliche Zeiten!"
„Horch," unterbrach sie die Muhme, „da haben sie wie-
der oben auf dem Boden zu thun! Der Herr Scabinns ist
ein gar fleißiger Mann, läßt sich durch Nacht und Finsterniß
nicht abhalten, mag es freilich auch jetzt besonders viel zu
thun geben, da es auf's Christfest zugeht; sie mögen wohl
wieder Mehl heraufschaffen!"
Lucie nickte und sprach weiter, denn die Erinnerung glück-
licherer Zeiten >var in ihr erwacht, und zum ersten Mal seit
dem unsäglichen Unglück, das ihren Muth völlig gebrochen,
fühlte sie das Bedürfniß, von den Tagen zu reden, da sie
noch heiter und frohen Mnthes gewesen.
„Ja, daheim," sagte sie, „das war eine schöne Zeit.
Wir Kinder sprachen schon Wochen lang vorher von diesem
Abend, und in den Tagen zuvor riefen wir Abends auf die
dunkle Hausflur hinaus: Sanct Niklas, bring' mir dies und
jenes! und nannten dann, was wir uns besonders wünschten;
am Morgen aber, wenn wir erwachten, war's das Erste, daß
>vir uns noch aus den Betten zuriefen: Heut Abend kommt
Sanct Niklas! Da ging dann der Tag hin in halb banger,
halb froher Erwartung. Wir freuten uns auf das, was
Sanct Niklas bringen würde, und fürchteten uns doch auch
wieder vor ihm, dem schwarzen Mann mit der Ruthe. Wenn's
dann anfing dunkel zu iverden, saßen wir beisammen und
lauschten, und Jedes dachte bei sich, ob es nicht in letzter
Zeit unartig gewesen, und Jedes hoffte, der Niklas werde
Gnade vor Recht ergehen lassen; dann sagte wohl Eines:
Jetzt zieht sich Sanct Niklas die Stiefeln an! nun wird er
bald kommen! Dann rückten wir näher an einander, es gruselte
uns, und war uns doch zugleich gar erwartungsfröhlich zu
Muth'. Und dann kam's endlich die Stiege herauf, schweren
Trittes, und nun that's einen, heftigen Schlag an die Thür
und."